César Luis Menotti: Der Mann, den Maradona Gott nannte

13 Tage vor

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César Luis Menotti war nicht nur Trainer, sondern auch Fußballphilosoph. Er prägte die Idee vom linken Fußball. Unsere Autorin lauerte ihm einst in einem Café auf.

6. Mai 2024, 10:59 Uhr

César Luis Menotti (rechts) neben Diego Armando Maradona, im August 1983 © Rene Jean/​Getty Images

An einem Tag im Sommer vor 15 Jahren saß ich in Buenos Aires in der Cafeteria Saint Moritz und wartete auf Gott. Gott, hatte mir der Sportreporter der argentinischen Zeitung, bei der ich ein Praktikum machte, zugeraunt, gehe nie ans Telefon. Aber er esse eben in jenem Café jeden Tag zu Mittag. Ich wartete also, auf einem Stuhl mit rotem Kunstlederpolster, ab und an kam ein älterer Ober vorbei und schenkte mir aus einer Blechkanne Kaffee nach. Bei einer seiner Runden fragte ich ihn, ob es denn stimme, dass Gott hier einkehre? Jaja, sagte er, nur Geduld.

Als Gott hereinkam, erkannte ich ihn sofort. Er bestellte ein Schinkensandwich.

Ich lauerte ihm auf, weil ich mit ihm über Diego Maradona reden wollte. Der hatte in seiner Autobiografie geschrieben: "El Flaco, er war, er war Gott!"

Die Argentinier lieben Spitznamen, "La Pulga", der Floh, Messi. "La saeta rubia", der blonde Pfeil, Alfredo Di Stéfano. Und eben "El Flaco", der Dünne, César Luis Menotti, Trainerlegende und Fußballphilosoph. 

Ich erhoffte mir von Menotti kluge Sätze über Maradona, der zu der Zeit Nationaltrainer von Argentinien war, ich sollte ihn porträtieren. Menotti kannte Maradona länger als alle anderen, er hatte ihn als Trainer in die Nationalmannschaft berufen, als dieser gerade mal 16 war. Aber ein Jahr später, 1978, nominierte er ihn nicht für die WM. Argentinien wurde Weltmeister, im eigenen Land, ohne Maradona. Trotzdem nannte der ihn Gott. Wem Maradona so etwas nicht nachtrug, der musste überirdisch sein.

Menotti, schlaksig, mit beeindruckenden Tränensäcken, das Haar grau, schütter, aber lang wie eh und je, saß an einem Tisch am Fenster. Ich ging zu ihm, bat ihn um ein Interview. Neugierig schaute er mich an. Dann gab er mir seine Visitenkarte, sein Büro sei direkt gegenüber, nachmittags habe er Zeit.

Als ich am Nachmittag die fünf Stockwerke zu seinem Büro hochfuhr, war ich mir nicht sicher, ob er tatsächlich da sein würde. Aber er öffnete mir die Tür. Vielleicht fand er es kurios, dass da jemand aus Deutschland war, dazu noch eine Frau, in all den Wochen war während der Pressekonferenzen der argentinischen Fußballer weit und breit sichtbar keine Reporterin gewesen. Vielleicht war ihm aber auch einfach nur langweilig. 

Im Vorzimmer zu seinem Büro hingen große Schwarz-weiß-Abzüge in Bilderrahmen: Menotti mit Johan Cruyff, mit Pelé, mit Michel Platini, mit Maradona, mit dem Schriftsteller Jorge Luis Borges, neben dem Menotti, so schrieb ich es später in meinem Text, selbst aussah wie ein Poet. Denn neben Trainerlegende und Fußballphilosoph war er ja auch das: Eine Stilikone, mit seiner lässigen Eleganz hätte er in jedes Pariser Intellektuellencafé gepasst. 

In seinem Büro war sein Schreibtisch unordentlich, ein Buch über Gartengestaltung lag da, ein Nagelknipser, eine Schachtel Parisienne – natürlich Parisienne, keine Zigarette hat eine schönere Schachtel – und ein Buch über argentinische Mythen.

Maradona ist einer dieser argentinischen Mythen, aber Menotti war es auch. Als das Land 1978 Weltmeister wurde, herrschten in Argentinien die Militärs, die ihre Gegner verschwinden und ermorden ließen. Lange hielt sich die Ansicht, Menotti habe damals bei der Siegerehrung dem Junta-Präsidenten den Handschlag verweigert. Er selbst hat das nie behauptet, aber ihm hat es missfallen, dass der große Sieg im eigenen Land auch ein Propagandasieg der Diktatur war. 

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