Innenministerium: Nancy Faeser ist nicht zu halten – netzpolitik.org

9 Okt 2023

Als Nancy Faeser im Dezember 2021 überraschend die erste Innenministerin Deutschlands wurde, war dies nicht nur eine Chance für eine andere Innenpolitik, sondern auch der Versuch der Sozialdemokraten, die hessische Parteivorsitzende mit einem Amtsbonus für die gestrige Landtagswahl in Hessen zu stärken.

Nancy Faeser - Figure 1
Foto Netzpolitik.org

Nun ist beides nicht eingetreten: Faeser führte letztlich die konservative Innenpolitik von Horst Seehofer und seinen Vorgängern fort. Und sie holte bei der Hessenwahl das schlechteste Ergebnis, das den Sozialdemokraten in diesem Bundesland jemals serviert wurde. Nach Berlin kehrt sie jetzt im besten Fall als lahme Ente zurück. Da hilft es kaum, dass sie am Wahlabend von der vielen „Solidarität“ sprach, die sie nun aus Berlin erhalte. Das klingt tatsächlich mehr nach Mitleid als nach echter Unterstützung.

Sehr magere Bilanz

Faesers Bilanz im Innenministerium ist mager: In Sachen Bürgerrechte hat sich die SPD-Frau als Katastrophe herausgestellt. Das von ihr geführte Ministerium wollte an der nicht nur in der Ampel, sondern auch unter allen Sachverständigen umstrittenen Chatkontrolle unbedingt festhalten, lavierte ewig herum und verhandelte im Rat in Brüssel nur zögerlich die Position der Ampel.

Gegen den Koalitionsvertrag und höchstrichterliche Entscheidungen hat sich Faeser auch in Sachen Vorratsdatenspeicherung gestellt, indem sie an der anlasslosen Überwachung der Telekommunikationsdaten festhalten will. Seit einem ganzen Jahr liegt ein fertiger Entwurf des Justizministeriums für die Quick-Freeze-Alternative ohne anlassloses Massenspeichern in Faesers Haus vor – aber es passiert einfach nichts.

Doch nicht nur das: Der Koalitionsvertrag ist Faeser auch bei den gefährlichen Hackbacks, die sie beschönigend in „aktive Gefahrenabwehr“ umbenennt, offenbar das Papier nicht wert, auf dem er steht. Um staatliche Hackerangriffe zu legalisieren, will sie sogar das Grundgesetz ändern.

Auch bei der Reform des Bundesdatenschutzgesetzes agierte sie lustlos und scheint den Koalitionsvertrag nicht näher konsultiert zu haben. Denn ihr Gesetzentwurf fiel nur halbherzig aus. Selbst den Minimalkonsens aus dem Koalitionsvertrag setzte sie damit nicht um.

Dazu kommt der Umgang mit den Auswirkungen ihrer Entlassung von Arne Schönbohm, dem Chef des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI): Hier verweigerte sie zuerst einen Auftritt im Innenausschuss, konterte viel zu spät und ließ Zweifel aufkommen, ob sie den Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz zur Überwachung des ehemaligen BSI-Präsidenten instrumentalisiert habe. Überhaupt: Das BSI sollte laut Koalitionsvertrag unabhängiger aufgestellt werden – aber Faeser setzte das Gegenteil durch.

Bei der Informationsfreiheit hatte die Ampel ein Transparenzgesetz versprochen, Faesers Innenministerium hat bislang dazu noch immer keinen Gesetzesentwurf vorgelegt. Auch hier wird die Zeit knapp. Es fehlt offenbar der politische Wille, alles deutet auf eine Verschleppung hin. Wenn die Ampel für eins stehen wollte, dann war es ein transparenterer und partizipativer Politikstil. Nancy Faeser steht allerdings für das komplette Gegenteil.

Mit der Handschrift der Union

Für eine Koalition, die sich Fortschritt und Bürgerrechte auf die Fahnen geschrieben hat, ist das alles zu wenig. Aus Sicht der Grund- und Freiheitsrechte hat sich Faeser schon länger als Fehlbesetzung erwiesen. Eine SPD-Innenministerin, die letztlich die Politik der Union macht, braucht kein Mensch. Die Ironie der Geschichte aber ist: Faeser will allzu gern Hardlinerin sein, kann damit aber nicht einmal bei der Law&Order-Fraktion punkten.

Man muss ihr auch ihren Anteil am fatalen Aufschwung der AfD bei den Wahlen in Hessen und Bayern ankreiden: Denn die Innenministerin hielt nicht etwa dagegen, als sich die unsägliche aktuelle Migrationsdebatte entfaltete. Die Wahlkämpferin hoffte vergebens darauf, dass sie damit ein paar Punkte bei der früher Wutbürger genannten Wahlvolkgruppe einsammeln würde. Sich dem Rechtsruck offen entgegenzustellen, kam ihr offenbar gar nicht in den Sinn.

Dabei wäre es doch einem sozialdemokratischen Innenministerium würdig gewesen, mit sachlichen Argumenten, Zahlen und Fakten aus ihrem Haus gegenzuhalten. Wenn Friedrich Merz seine unwahren Zahnersatz-Aussagen im Springer-Fernsehen tätigt, sollte es für die Spitzenpolitikerin eine Selbstverständlichkeit sein, diesen Unsinn deutlich als solchen zu benennen. Eine gute Innenministerin müsste auch erkennen und klarmachen, welche Gefahr für die Gesellschaft davon ausgeht, wenn man Rechtspopulisten gewähren lässt.

Nach dem Wahldebakel in Hessen kommt sie nun auch noch geschwächt nach Berlin zurück. Das kann nichts mehr werden: Faeser ist nicht mehr zu halten, wenn die Ampel nicht noch mehr Schaden auf sich ziehen will.

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