Zugunglück in Griechenland: Regierung vor Misstrauensvotum

26 Mär 2024
Griechenland

Vor einem Jahr kamen bei einem Zugunglück in Griechenland 57 Menschen ums Leben. Nun muss sich die Regierung am Dienstag (26. März) einem Misstrauensvotum stellen. Einem Pressebericht zufolge wurden Gespräche zwischen Zugpersonal in der Nacht des Unglücks verfälscht dargestellt.

Die Initiative zum Misstrauensvotum wurde von der oppositionellen Pan-Hellenischen Sozialistischen Partei (Pasok/S&D) ergriffen und von anderen Oppositionsparteien unterstützt.

Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Syriza (EU-Linke), Stefanos Kasselakis, ging noch einen Schritt weiter. Er forderte den griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis auf, zurückzutreten und Neuwahlen unter Anwesenheit „internationaler Beobachter“ anzusetzen.

Obwohl die Regierung über eine starke Mehrheit verfügt und die Abstimmung wahrscheinlich überstehen wird, gehen Analysten davon aus, dass die anschließende dreitägige Diskussion viele Regierungsvertreter auf die Probe stellen wird.

Vor einem Jahr kollidierte ein Intercity-Passagierzug mit hoher Geschwindigkeit mit einem Güterzug außerhalb der Stadt Larissa in Zentralgriechenland. Dabei kamen 57 Menschen ums Leben, hauptsächlich junge Studenten.

Seitdem kamen die Ermittlungen nur langsam voran. Oppositionsparteien und Angehörige der Opfer unterstellten der Regierung, den Vorfall verschleiern zu wollen.

Inzwischen haben die Angehörigen der Opfer mehr als 1,3 Millionen Unterschriften für eine Petition an das Europäische Parlament gesammelt, die kürzlich eingereicht wurde.

In der Petition wird die EU aufgefordert, den Unfall zu untersuchen und Politiker, die durch Immunität geschützt sind, für kriminelle Handlungen zur Verantwortung zu ziehen.

Die Abgeordneten aller Fraktionen des Europäischen Parlaments unterstützten die Petition und schlugen vor, dass die EU-Institutionen den Verlauf der Ermittlungen genau verfolgen sollten.

Die Regierung beharrt darauf, dass es keine strafrechtliche Verantwortung gibt, sondern nur eine politische Verantwortung für die Minister. Sie behauptet, dass die Beteiligten bereits zurückgetreten seien.

Die Zeitschrift To Vima enthüllte jedoch neue Beweise bezüglich des Unfalls, die am Wochenende ein politisches Erdbeben in Athen auslösten.

Insbesondere wurde in dem Pressebericht behauptet, dass die Gespräche zwischen den Zugmitarbeitern in der Nacht des Unfalls, die unmittelbar nach dem Unglück veröffentlicht wurden, „verzerrt“ wurden, um das Argument des „menschlichen Versagens“ zu untermauern.

Die Regierung wies den Bericht zurück und bezeichnete ihn als „Fake News.“ Allerdings hat sie bisher keine konkreten Angaben dazu gemacht, ob sie Zugang zu den Audiodateien der Gespräche der Zugführer hatte.

Einige Regierungsvertreter griffen auch die AlterEgoMedia-Gruppe an, zu der die Zeitschrift gehört. Sie sprachen von „organisierten wirtschaftlichen Interessen“, was eine empörte Reaktion der Mediengruppe zur Folge hatte.

„Die Medien von AlterEgoMedia werden weiterhin mit Beharrlichkeit, Geduld und professioneller Kompetenz in einem rein ethischen Kontext gegen die Praktiken der Regierung vorgehen, die das Land in Bezug auf die Pressefreiheit weltweit auf Platz 107 geführt haben“, so die Gruppe in einer Erklärung.

AlterEgoMedia war die einzige Mediengruppe, die sich während der Pandemie geweigert hat, staatliche Gelder anzunehmen, die von der Regierung bereitgestellt wurden.

EU-Staatsanwaltschaft unter Beschuss

Mehrere Analysten haben erklärt, dass der Unfall hätte vermieden werden können, wenn ein Vertrag aus dem Jahr 2014 über den Wiederaufbau und die Modernisierung des Signalsystems und der Fernsteuerung der Bahnstrecke Athen-Thessaloniki-Promachona umgesetzt worden wäre.

Der sogenannte „717-Vertrag“ wurde von der Leiterin der Europäische Staatsanwaltschaft Laura Kövesi unter die Lupe genommen. Sie erklärte kürzlich, die griechischen Behörden würden ihre Ermittlungen behindern.

Lesen Sie mehr: EU-Staatsanwältin: Griechenland behindert Ermittlungen zu tödlichem Zugunglück

„Wir werden daran gehindert, die Wahrheit zu finden und Gerechtigkeit walten zu lassen. Denn wenn man die Ermittlungen behindert, kann man die Wahrheit nicht herausfinden“, so Kövesi.

Ihre Äußerungen lösten eine Reaktion des Gesundheitsministers Adonis Georgiadis aus. Er bezeichnete ihr Eingreifen als „inakzeptabel“ und als Überschreitung der Grenzen ihrer institutionellen Befugnisse.

„Wenn es ein Verfahren gibt, sogar um ihren Posten infrage zu stellen, sollten wir es tun“, meinte er.

Die von Euractiv kontaktierte EU-Staatsanwaltschaft hat dazu keine Stellungnahme abgegeben.

[Bearbeitet von Kjeld Neubert]

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche