Neuer „Polizeiruf“ aus München: Die Diversität verschlingt den Krimi

Polizeiruf 110

Für die neue PR-Kampagne der Münchner Polizei wird zum Auftakt des aktuellen „Polizeirufs 110“ auch die neue Kommissarin eingespannt. „Bunter, als du denkst“ steht auf der Papptafel, die Cris Blohm (Johanna Wokalek) lächelnd vor die Brust halten muss, während auf dem Unigelände eine Leiche liegt und der kriminalistischen Begutachtung harrt. Die Ermittlungsleiterin hat anderes zu tun. „Lachen Sie für den Bürger“, fordert die Polizeivizepräsidentin Beatrix Grandl (Christiane von Poelnitz) streng, die bald bemängeln wird, dass Kommissarin Blohm die Handreichung für gewaltfreie Sprache nicht studiert habe.

Nicht, Täter zu fassen oder die Kriminalstatistik, der Verdacht auf Rückständigkeit ist das drängendste (Schein-)Problem dieser Behördenleitung. Muss es nicht überhaupt „Tatperson“ heißen? „Neue, frische Sichtweisen“ brauche es bei der Polizei, diktiert Grandls alerter PR-Chef Wendelin Georgi (Matthias Bundschuh) der Reporterin ins Mikro, „Vielfalt ist so wichtig“. „Haben Sie ein Problem mit alten weißen Männern?“, fragt diese. Vizepräsidentin Grandl, äußerst verärgert: „Das fragt ausgerechnet jemand vom Bayerischen Rundfunk.“ Abbruch der Aufzeichnung, Neustart des Interviews, selten kaum so gelacht.

Wurde es nicht Zeit, dass sich eines der beiden Flaggschiffe der öffentlich-rechtlichen Krimireihenunterhaltung zum Thema Legitimationsdebatte des Rundfunks explizit äußert, dass es Diversitätsdiskussionen, „Cancel Culture“, „Wokistan“, „gewaltfreie Sprache“, strukturellen Rassismus und die Auseinandersetzungen um die Behauptung der rein sozialen Kons­truktion des Geschlechts, mithin die Forschungs- und Schlachtfelder der Postcolonial Studies explizit nachzeichnet? Mag sein. Schließlich ist Relevanz eine der Existenzberechtigungen des Formats. Wurde es Zeit, dass solche Themen, Thesen, Argumente als inhaltsleere Worthülsen und Totschlagsätze einen „Polizeiruf“ beherrschen, in langwierigen Statements, ermüdenden Reden und brüsken Infragestellungsabweisungen inhaltlich ausgebreitet und bis zur Konzentrationsaufgabe um und um gequirlt werden, sodass nicht nur die Spannung des verhandelten Todesfalls auf der Strecke bleibt, sondern selbst die „Kommissarsfigur“ Cris Blohm das Zuhören aufgibt? „Bitte nicht noch einen Vortrag.“ Eher nicht.

Weg mit den Vorurteilen

Wobei natürlich der Witz ist, dass hier die „Professorenperson“ am Institut für Postcolonial Studies nicht nur Parolen verbreitet, wie die Doktorandinnen, die Frauenbeauftragte und allerlei demonstrierende Studentinnen auch. Sie sichert sich auch Drittmitteltöpfe reichlich und – könnte den Mitarbeiter Dr. Dawoud Alrashid (Lucas Janson) umgebracht haben. Tot und nackt liegt er vor dem Institut, das Wort „Rapist“ mit Menstruationsblut auf den Rücken geschrieben. War Alrashid wirklich ein Vergewaltiger oder ein Opfer der Definitionswut, der Nichtanerkennung von polizeilichen Beweisführungen und Maßnahmen und entsprechender Selbstjustiz? Sollte am Institut systematisch zur Jagd auf Männer geblasen werden?

Urbayer Dennis Eden (Stephan Zinner), der vom „alten“ Team des BR-„Polizeirufs“ übrig geblieben ist und weiterhin eine gute Figur abgibt, müht sich so durch. Weg mit den Vorurteilen, weg mit der Heuristik! Der „genderfluide“ Tatzeuge ist ausgerechnet BWLer, der neue schwarze Ermittlungskollege Otto Ikwuakwu (Bless Amada) trägt aristokratischen Habitus und Maßanzüge, die derbe, dauerkiffende IT-Expertin der Polizei und Kommissarin Cris Blohm äußern sich herablassend sexistisch über Ikwuakwu. Der wiederum setzt auf Distanz und hält es mit Georg Friedrich Händel. Zur „Sprachpolizei“ („nächste Woche sprechen wir über Väter*innen“) hat er seine eigene Meinung.

Die Satire, falls nicht doch alles bierernst gemeint ist, zündet nicht im Drehbuch von Stefan Weigl (Regie Dror Zahavi, Kamera Gerhard Schirlo). Johanna Wokaleks Kommissarin Cris Blohm, zurückgekehrt von mehreren Auslandseinsätzen, ist offenbar angelegt als lebenserfahrene Humanistin. Ihr ist nichts Menschliches fremd, allen Zuspitzungen, Abweisungen und Albernheiten begegnet sie mit großer Gelassenheit. Was freilich zur Spannungsarmut dieses „Polizeirufs“ noch beiträgt. Dass Bayer Eden und Bildungshuber Ikwuakwu, als der Film festfriert, paartanzend zu „Ebony and Ivory“ durchs Präsidium schweben, funktioniert auch nicht. Johanna Wokalek, die als Nachfolgerin Verena Altenbergers mit eigenen Nuancen spielt, hätte mit ihrem Team Amada und Zinner einen besseren Einstieg verdient gehabt als diese zwischen Langeweile und Aggressivität angesiedelte lächerliche Diversitätsermittlung.

„Polizeiruf: Little Boxes“, Sonntag, 20.15, ARD

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