"Polizeiruf 110" Rostock: Sie wartet seit zehn Jahren auf ein Wunder

17 Dez 2023
Polizeiruf 110

Die Müdigkeit vom Tatort in Münster letzte Woche verdankte sich auch dem Nachteil, den der ARD-Sonntagabendkrimi mit seinen Reihen hat. Weil die Filme in sich abgeschlossen sind und jedes Mal (fast) wieder bei null beginnen, entwickeln sich die Figuren kaum. Das fällt bei dem besonders starken Kontrast zwischen Underdog-Kommissar und Schnöselmediziner in Münster dann besonders ins Gewicht – die beiden Figuren haben so viel miteinander erlebt, sollen aber noch immer die Ausgangsdifferenz untereinander hochhalten.

Im Rostocker Polizeiruf ist das anders. Dort ziehen sich gewisse Erzählstränge über mehrere Filme, und so malt die neue Folge Nur Gespenster (NDR-Redaktion: Philine Rosenberg) weiter aus, was beim letzten Auftritt Daniel A. im Februar schon angelegt war. Ausgerechnet Sympathieträger Volker Thiesler (Josef Heynert) wird zum Stinkstiefel, weil er sich durch die Nachbesetzung der Führungsposition von Bukow (Charly Hübner) mit dessen Schwester Melly Böwe (Lina Beckmann) übergangen fühlt. Also sieht Volker alles negativ, ist eifersüchtig auf die privaten Gespräche, die Chief Röder (Uwe Preuss) mit Böwe hat, und kommentiert gehässig jedes Wort von ihr. Was beim letzten Mal nur gärte, wird dieses Mal offen ausgesprochen. Röder erklärt Volker, dass er eine Frau an der Spitze wollte und auf Gegenfrage noch klarer: dass eine gute Nummer zwei nicht automatisch eine gute Nummer eins sei. Später geht Böwe noch auf die Sticheleien ein, und zwar konsequent hierarchisch: Wenn sich der Umgangston nicht ändere, würde es unangenehm für Thiesler.

Eine hübsche Idee, weil so der Charakter des Mitarbeiters an Kontur gewinnt (ist gar nicht so nett, wie wir immer dachten) und damit zugleich die Selbstgerechtigkeit akzentuiert wird, die Volker in seinen Schmollwinkel getrieben hat: dass er alles an Böwe blöd findet, weil er aufgrund seiner Verletztheit glaubt, ein Recht darauf zu haben. Eine Verknatztheit, die alle Angestellten kennen. Es bleibt spannend, wie der Ermittler auf die Deutlichkeit reagieren wird, die ihm in Nur Gespenster von oben begegnet.

Der neue Rostocker Polizeiruf erzählt eine Rachegeschichte. Der Arzt Kai Wülker (Sebastian Herrmann) ist getötet und davor noch gefoltert worden. Haare am Tatort führen zu der lange vermissten und für tot erklärten Jessica Sonntag – und damit zu deren Eltern Evelyn (Judith Engel) und Robert (Holger Daemgen), der zum zweiten Opfer gegen Ende des Films wird.

Durch die Ermittlungen von Böwe, Frau König (Anneke Kim Sarnau), Volker und Pöschel (Andreas Guenther) kommt der sexuelle Missbrauch von Jessica Sonntag ans Tageslicht, der zuerst vom eigenen Vater ausging, dann von Wülker. Robert Sonntag wird gegen Ende des Krimis umgebracht, wenn der Grund für den Rachefeldzug bekannt ist. Für die Morde, das ist der eine Twist zum Schluss, war aber nicht die Vermisste selbst verantwortlich (die tatsächlich schon gestorben ist), sondern deren Bruder Henrik (Adrian Grünewald).

Der andere Twist betrifft die Mitwisserschaft von Mutter Evelyn, die nichts getan hat, um ihre Tochter vom Terror der Gewalt zu befreien. "Ich hab das doch als Kind auch überlebt", lautet der letzte Satz im Verhör durch Böwe und Frau König, auf den hin die beiden Polizistinnen dann nichts mehr zu sagen haben.

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