Als Salman Rushdie im flugzeugtoilettenkleinen Lift die 21 Stockwerke Richtung Lobby herab rumpelte, beschäftigten ihn Sorgen profaner Natur. Damals, an jenem sonnigen Dezembertag 2012, kämpfte der Schriftsteller zum einen mit einer hartnäckigen Erkältung. Zuvor hatte – in einem Zimmer mit Ausblick in einen Lichtschacht – das profil-Gespräch in Rushdies Literaturagentur Wylie, 57. Straße, New York City, zu seinem damals gerade erschienenen Überlebensbericht „Joseph Anton“ stattgefunden, in dem er aus dem Leben eines Mannes unter Todesdrohungen berichtete und Einblicke in die Anatomie des gottesfürchtig motivieren Irrsinns gewährte. In anderen Worten: Es war ein Tag wie so viele im Leben des 1947 geborenen indisch-britischen Weltautors. Die Zeit der Fatwa, der im Februar 1989 durch den iranischen Despoten Ayatollah Khomeini erfolgte Mordaufruf gegen den Schriftsteller, schien Vergangenheit zu sein. 

Zum anderen nestelte der Autor im abwärts gondelnden Lift sein Handy aus dem Sakko, um die Fotos einer Beinahe-Katastrophe zu zeigen: Nahe der Wylie-Agentur hatte ein Hurrikan den Ausleger eines Krans auf Wolkenkratzer-Ebene geknickt; Rushdie präsentierte auf seinem Handydisplay Bilder von Einsatzkräften, die mit der Sicherung und Bergung des wankenden Stahlungetüms beschäftigt waren. Rushdie bewegte sich damals als freier Mann durch New York.

Bis vor zwei Jahren. „Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen“, notiert Rushdie in seinem gestern global publizierten Bericht „Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“ (Penguin). 

15 Mal sticht der Attentäter auf Rushdie ein, verschiedene Verletzungen sind die Folge: Hals, rechtes Auge, linke Hand, Leber und Unterleib. Schnittwunden im Gesicht – auf der Stirn, an Wangen und Mund – und auf der Brust. Die Notoperation dauert acht Stunden. Der Schriftsteller verliert ein Auge. In „Knife“ schreibt Rushdie über die Attacke: „Dieser Moment läuft noch immer wie in Zeitlupe vor mir ab. Mein Blick folgt dem Mann, der im Publikum aufspringt, losrennt und rasch näher kommt. Ich beobachte jeden einzelnen Schritt seines ungestümen Laufs, und ich sehe, wie ich mich aufrichte und zu ihm umdrehe. (Ich bleibe ihm zugewandt. Ich habe ihm nie den Rücken zugekehrt. Mein Rücken weist keine Verletzungen auf.) Um mich zu schützen, hebe ich die linke Hand. Er stößt das Messer hinein. Danach folgen noch viele Stiche – in meinen Nacken, meine Brust, in mein Auge, überallhin. Ich spüre, wie meine Beine nachgeben, und ich falle.“

Das Motiv des Attentäters, den Rushdie im Buch schlicht „A.“ nennt, um nicht jedes Mal, wie er ihn in Gedanken nennt, „Arschloch“ hinschreiben zu müssen? „Ansonsten hatte er nichts Interessantes zu sagen. Er ,verehre‘ Ajatollah Khomeini, und was seine Meinung über mich anging: ,Ich mag diese Person nicht. Ich denke nicht, dass er ein guter Mensch ist. Ich mag ihn nicht. Ich mag ihn ganz und gar nicht.‘ Von meinem Werk hatte er kaum mehr als ,ein paar Seiten‘ gelesen, doch habe er mich letztens auf YouTube gesehen und entschieden, ich sei ein ,unredlicher Mensch‘; ,Ich mag keine Menschen, die derart unredlich sind', erklärte er ein wenig nebulös. Derart unredlich? Wie denn? Er hat es nicht weiter ausgeführt.“

Immerhin: Seinen Sinn für tiefschwarzen Humor hat Rushdie nicht verloren. „Ich bin ein schräger Vogel“, bekennt er in „Knife“, „für die Missgeschicke in meinem Leben berühmter als für meine Bücher.“

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.