"Polizeiruf 110" München: Das ist Bayern, mia san mia

26 Mai 2024

Z+ (abopflichtiger Inhalt); "Polizeiruf 110" München: Das ist Bayern, mia san mia

Polizeiruf 110 - Figure 1
Foto ZEIT ONLINE

Spannung ist nicht das Ding des neuen "Polizeirufs" aus München. Und Johanna Wokalek überzeugt auch in ihrem zweiten Fall als Ermittlerin Cris Blohm nicht.

26. Mai 2024, 21:47 Uhr

Ihr Browser unterstützt die Wiedergabe von Audio Dateien nicht. Download der Datei als mp3: https://zon-speechbert-production.s3.eu-central-1.amazonaws.com/articles/f68ce55d-395c-49f2-8b17-5a7337c94d86/full_8047d623eb8671937c2cf89b0fa3fad8379f02753a8f6a37a2a5cb1c2f2ff03f7e545a1c9f967231e4bb8fb7197fafe7.mp3

35 Kommentare
Kompliziertes Dreieck: Brandermittler Hanno Senoner (Golo Euler, links), Dennis Eden (Stephan Zinner, Mitte) und Cris Blohm (Johanna Wokalek, rechts) © BR/​Sappralot Productions GmbH/​Alexander Fischerkoesen

Der neue Münchner Polizeiruf 110: Funkensommer (BR-Redaktion: Claudia Simionescu, Tobias Schultze) führt übrigens vor, wie tief die Frauenverachtung in unserer schönen Kultur steckt. Genauer: in dem traditionsbewussten Schimpfwort Hurensohn. Das beleidigt bekanntlich den Adressaten dadurch, dass es dessen Mutter abwertet. "Dereinst" (Thomas Mann) meinte diese Abwertung auch uneheliche Kinder, die aktuell nicht mehr so schief angeguckt werden. Heute ist Hure als Begriff negativ besetzt, weil damit der Sexarbeiterin Integrität abgesprochen wird beziehungsweise einer Frau, die wechselnde Sexualpartner hat. Wenn Sexarbeit aber anstößig sein soll und nun mal zwei dazugehören, dann könnte man sich eben fragen, warum niemand als Sohn eines Freiers gescholten wird.

Im Polizeiruf kommt das Schimpfwort aus dem Mund von Co-Ermittler Dennis Eden (Stephan Zinner) und das markiert die kernige, leicht machoide Figur gut. Anders gesagt: Dennis Eden kann man sich schwer in Lesekreisen vorstellen, die sich einen Begriff von kritischer Männlichkeit machen wollen.

Die Selbstverständlichkeit, dass Eden seine Geschlechterrolle nicht reflektieren muss, illustriert der Film zu Beginn ganz hübsch. Da wird Kollegin Cris Blohm (Johanna Wokalek) von einer Kollegin bei der Tatortbegehung noch abgewimmelt, während Eden einfach durchmarschiert, weil er nicht auf die Idee kommt zu fragen.

In dem fast leeren Bürogebäude, das der Autovermietungsdynastie Hechtle gehört, liegt die Leiche der illegal beschäftigten Putzfrau Valentina Martinez (Veronica Santos Ruiz), die durch einen Brand ums Leben gekommen ist. Bald steht der Verdacht im Raum, die Hechtles um Firmenpatriarch Georg (Johann Schuler) hätten durch Brandstiftung die seit zehn Jahren beantragte Abrissgenehmigung befördern wollen, um durch Abriss und Neubau gewinnträchtigere Geschäftsmodelle im Immobiliensektor zu erschließen.

Die reichen Hechtle-Kinder Gioia (Marlene Morreis) und Sandro (Frederic Linkemann) sind so unsympathisch entworfen, dass man ihnen das auch zutrauen würde. Der Wachmann Busch (der Biotonnen-Hausmeister aus dem letzten Münchner Tatort: Gerhard Wittmann), der sich verklemmt eine Beziehung zu Valentina Martinez wünschte, scheint ebenfalls beteiligt, weil er offenbar vom Brand wusste. Allerdings liegt Busch irgendwann selbst tot in seiner Wohnung vorm offenen, angezündeten Gasherd.

Am Ende war es aber der Brandermittler Hanno Senoner, der gleich zu Beginn am Tatort rumhockt. Senoner wird gespielt von Golo Euler, dem Gaststar der Folge, und weil Euler abonniert ist auf vermeintlich arglose, tatsächlich abgründige Figuren, hat sich das mit dem Täterraten hier schnell erledigt. Spannung ist nicht das Ding von Funkensommer, auch wenn es final zumindest noch einen Twist gibt. Senoner hat – was man wegen seines idealistischen Geredes gegen die Reichen, die sich alles erlauben können, hätte vermuten können – den Brand nicht gelegt, um die Autovermietungsfamilie zu belasten. Er hat vielmehr seine Skills in den Dienst der Hechtles gestellt.

Die Grundidee mit dem Brandermittler, der Brände legt, hat etwas. Aber dass daraus ein bemerkenswerter Polizeiruf geworden ist, lässt sich nicht behaupten. Obwohl Drehbuchautor und Regisseur Alexander Adolph schon mehrfach große Folgen für den ARD-Sonntagabendkrimi gemacht hat – den Jubiläums-Tatort Taxi nach Leipzig (2016) als intelligentes Spiel mit Aspekten der gleichnamigen ersten Folge oder den legendären Münchner Gisbert-Tatort mit Fabian Hinrichs (2012).

Wo Spannung fehlt, müsste etwas anderes das Publikumsinteresse beschäftigen. Die Liebesgeschichte zwischen Cris Blohm und Senoner ist es nicht, dafür ist das alles zu freudlos, zu wenig betörend. Was auch mit den unterschiedlichen schauspielerischen Registern des Paars zu tun hat. Wo Euler den Ton seines scheinbar freundlich-zurückhaltenden, aber erahnbar manipulativen Charakters trifft durch dezentes Absetzen oder Rumrudern im Dialog, verkleidet Wokalek noch ein Startkommando wie "Und los" mit dem koketten Staunen, wie es einem auf der deutschen Theaterbühne häufig begegnet, weil das irgendwie als Innerlichkeitsperformance oder kunstvoll, wenn nicht beides, gilt. Die Distanz zur Welt, die dieses Ausstellen von neckischer Versonnenheit produziert, stört dann aber leider auch die Nähe zwischen zweien, die sich "Ich liebe dich" sagen sollen.

Die darstellerische Gestaltung der Hauptfigur macht noch an anderen Stellen Probleme. Im Finale stürzt Blohm den Brandermittler im Kampf von einem Berg, weil sie erkannt hat, dass sich Senoner an sie nur rangemacht hatte, um über ihre Arbeit auf dem Laufenden zu sein. Der mittelaufmerksamen Zuschauerin dürfte das sofort aufgefallen sein, im entrückten Spiel Wokaleks ist der Zweifel dagegen nie bedeutet worden durch eine mimische Irritation, ein kleines Zeichen von Skepsis, die Blohm doch qua Beruf zu besitzen behauptet.

So fällt der zweite Münchner Polizeiruf mit neuer Besetzung zwar besser aus als das missratene Debüt Little Boxes (vom damaligen Co-Ermittler Otto Ikwuakwu ist in dieser Folge mit keinem Wort die Rede), gibt aber weiter Rätsel auf, was es mit der Hauptfigur auf sich hat. Das lässt sich schon am Kostüm (Martina Müller) sehen, in dem Cris Blohm durch die Folge "schlumpst" (Franziska Giffey): die hochgetragenen Jeans mit dem dicken Gürtel, die blassen Hemden unter der parkafarbenen Jacke und die braune Outdoorhandtasche, die unterm Bauch getragen wird. Was soll diese trostlos-unvorteilhafte Kleidung über eine Figur sagen, die doch gar nicht als trostlos-unvorteilhaft entworfen ist? Man weiß es nicht.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten