Debatte über EU-Richtlinie: Nachtfahrverbot und Tempolimit für ...

22 Sep 2023

Fahrschülerin: Erst mal zwei Jahre Probezeit ohne Nachtfahrten, mit Tempolimit 110?

Foto: Thomas Barwick / Getty Images

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) warnt vor einem »massiven Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger«: Vorstöße aus dem Europaparlament für eine schärfere Führerscheinrichtlinie seien »empörend«, sagte der Minister der »Augsburger Allgemeinen«. »Deutschland wird den Vorschlägen in dieser Form nicht zustimmen«, ließ er bereits am Mittwoch mitteilen. Zuvor hatte etwa die »Bild«-Zeitung einen »Führerscheinhammer« gewittert. Politiker mehrerer Parteien gingen auf Distanz.

Führerschein - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

Dabei ist noch gar nichts zu entscheiden, in Brüssel und Straßburg bilden sich gerade die Meinungen, Vorschläge kursieren. Erst im Dezember soll der Verkehrsausschuss des Europaparlaments über das Thema beraten, bevor im kommenden Jahr ein Beschluss gefasst werden könnte. Im März machte die EU-Kommission einen Vorschlag , wie die bereits geltende Richtlinie für EU-weit einheitliche Regeln zur Fahrerlaubnis überarbeitet werden könne.

Das Ziel: Die Zahl der Verkehrstoten solle von 20.000 im vergangenen Jahr bis 2050 auf null gesenkt werden. Dafür schlägt die Kommission etwa vor, in der Fahrschule stärker auf Rücksicht gegenüber Menschen zu trainieren, die nicht in Autos sitzen. Auch ein digitaler Führerschein und grenzüberschreitende Kontrollen von Verstößen gehören zu dem Paket.

Die jüngste Aufregung bezieht sich auf ein am Montag veröffentlichtes Diskussionspapier  der Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, Karima Delli. »Fake News«, entgegnete die französische Grüne auf der Plattform »X«, ehemals Twitter, dem rechtsextremen Politiker Florian Philippot, dem zufolge die Führerscheinreform »die Hölle« bringe.

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Was ihre Änderungsvorschläge wirklich bedeuten, fasst die Politikerin so zusammen:

ein Tempolimit von 110 km/h nur für Fahranfänger sei gar nicht neu, es gelte in Frankreich bereits, Delli empfiehlt das aus ihrer Sicht erfolgreiche Modell europaweit; dagegen lehnt sie den Kommissionsvorschlag ab, das Führerscheinalter auf 16 Jahre bei einer technischen Beschränkung auf 45 km/h zu senken;

ein Nachtfahrverbot zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens für Fahranfänger habe sie mitnichten gefordert, sie wolle lediglich den Mitgliedstaaten besondere Regeln für diese unfallträchtige Zeit freistellen;

der Führerschein solle auch kein Verfallsdatum bekommen, weder am Ende der von ihr vorgeschlagenen zweijährigen Probezeit noch für ältere Fahrer. Vielmehr schlage Delli regelmäßige Auffrischkurse und Fahrsicherheitschecks für alle vor, in zehnjährigen Abständen auch medizinische Checks wie Seh- oder Hörtests. Dieses in Italien bewährte Modell bringt auch die EU-Kommission ins Spiel.

Delli hat jedoch auch Neues im Programm:

vor allem den Vorschlag, die Fahrerlaubnisklasse B auf Fahrzeuge bis 1,8 Tonnen zu beschränken. Ans Steuer schwererer Autos bis 4,25 Tonnen sollten sich nur Menschen setzen, die mit einer neuen Klasse B+ für die besonderen Gefahren trainiert haben und mindestens 21 Jahre alt sind – ein Extraführerschein für schwere SUV, Pick-ups oder Kleinbusse;

während die Kommission eine Null-Promille-Alkoholgrenze nur als Sonderregel für Fahranfänger vorsieht, will Delli das den Mitgliedstaaten für alle Fahrer freistellen. Null Toleranz beim Fahren möchte sie auch für andere Drogen .

Die neuen Regeln gelten, sollten sie je beschlossen werden, nur für neue Führerscheine – wer bisher SUV fahren durfte, behält dieses Recht in jedem Fall.

Lob erhielt Delli vom Europäischen Verkehrssicherheitsrat ETSC. Das Gremium verwies auf eine neue Studie  aus Belgien: Das rasant zunehmende Gewicht moderner Autos bedeute wachsende Lebensgefahr für Fußgänger, Radfahrer und auch die Insassen leichterer Pkw.

Auch schärfere Regeln für Fahranfänger begrüßte der ETSC. In 40 Prozent der Unfälle seien junge Menschen beteiligt, die nur acht Prozent der Europäer mit Fahrerlaubnis ausmachen. »Es ist absolut vernünftig, abgestufte Fahrerlaubnisse einzuführen«, erklärte ETSC-Politikchefin Ellen Townsend.

Deutsche Grüne auf Distanz

In der deutschen Politik wird das jedoch ganz anders gesehen, ein noch sensibleres Thema als die jungen Autofahrer sind hier die alten: Im Gegensatz zu Unfallforschern  sieht das Verkehrsministerium kein Problem, weil Menschen im Lauf ihres Lebens – etwa durch Demenz – weniger fahrtüchtig werden. »Wir haben bei den älteren Autofahrern keine signifikanten Unfallzahlen und damit keinen Grund für einen Generalverdacht«, sagte Wissing der »Augsburger Allgemeinen«. In der Unfallstatistik tauchen Ältere tatsächlich seltener auf, als ihrem Bevölkerungsanteil entspräche – gemessen an ihrem Fahranteil aber häufiger, vor allem als Hauptschuldige. Bei der Fahrerlaubnis gehe es um »gesellschaftliche Teilhabe«, hakte Wissing das Thema ab.

Der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke nannte die Vorschläge »ein einziges Verbotsprogramm gegen individuelle Mobilität«. Auch FDP und SPD kritisierten Delli, ebenso wie ihre deutschen Parteifreunde: »Wir als deutsche Grüne haben von Anfang an aus deutscher Sicht starke Bedenken angemeldet«, sagte die Verkehrspolitikerin Anna Deparnay-Grunenberg. Es sei problematisch, Mängel bei Sicherheitsstandards und in der Klimapolitik über die Führerscheinrichtlinie beheben zu wollen.

Ein Parteisprecher der Grünen machte am Mittwochabend deutlich: »Die genannten Ideen spiegeln nicht die Position der deutschen Grünen wider, auch nicht der deutschen Grünen im Europäischen Parlament.« Die Angst vor dem Vorwurf, sich an den Führerscheinen der Deutschen zu vergreifen, scheint schwer zu wiegen.

Karima Delli selbst stellt sich auf harte Diskussionen vor allem mit den nationalen Regierungen ein. Für besonders kontrovers hält sie ein Modell, das die Unfallzahlen um 15 bis 20 Prozent senken könne: ein Punktesystem, das über gehäufte Verstöße zum Verlust der Fahrerlaubnis führen kann. In Deutschland kennt man das bereits, als Fahreignungsregister beim Kraftfahrt-Bundesamt. Die Flensburger Punkte wären demnach Vorbild für eine neue Strenge in Europa.

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