AfD-Chef Tino Chrupalla bei Caren Miosga: Die Krah-Frage

6 Tage vor

Caren Miosga und Tino Chrupalla

Foto: ThomasErnst / NDR / Thomas Ernst

Es ist einfach zu gemütlich in diesem Studio. Waren es die warmen Orange- und Türkistöne der Dekoration? Waren es die harmonischen, weichen Linien der Raumgestaltung? Oder woran lag es, dass alle konfrontativen Fragen an Tino Chrupalla in den ersten 20 Minuten sanft ins Leere trudelten?

Chrupalla - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

Dabei klang der Titel, unter dem Caren Miosga den AfD-Frontmann und Dauergast im Talk-TV in ihrer Sendung empfing, gar nicht nach Fengshui, sondern nach Fangfrage: »Zwischen Kreml-Nähe und Rechtsextremismus – wofür steht die AfD, Herr Chrupalla?«

Hackepeter oder Schnitzel?

Aber dann stellte Miosga im ersten Drittel eher Wohlfühlfragen. Beispiel: »Hackepeter in Görlitz oder Schnitzel im Borchard?«

Großer Lacher von Seiten des Gastes, der sich nicht ganz zu Unrecht an die große Hackfleischfrage beim »Welt«-Duell um den Thüringer Landtag vor zehn Tagen erinnert fühlte, wo der CDU-Mann Mario Voigt und der AfD-Mann Björn Höcke sehr lange und sehr aufgeregt darüber debattierten, was unter Thüringer Patrioten der korrekte Terminus für Mettbrötchen sei . Am Anfang wurde bei Miosga also viel gelacht, und so sollte es wohl auch sein.

Denn in den ersten 20 Minuten versucht die Moderatorin in ihrer Sendung meist die geladene Politprominenz ein bisschen locker zu quatschen , egal, ob es sich dabei um Friedrich Merz oder eben Tino Chrupalla handelt. Das ist nicht ganz falsch gedacht; wer sich locker macht, offenbart eventuell auch etwas, das er in formaler Atmosphäre für sich behält.

So hatte die Miosga-Ausgabe mit dem AfD-Gast mit einem Verweis auf einen lustigen semantischen, fast sympathischen Patzer begonnen: Bei einem öffentlichen Auftritt, wo sie den Erhalt des Bargelds forderten, standen Chrupalla und seine AfD-Vorstandskollegin Alice Weidel hinter Rednerpulten, an die man die Parole »Bargeld erhalten!« gepappt hatte – was man ja nicht nur als Forderung nach Beibehalten der geliebten Münzen und Scheine lesen kann, sondern auch als Empfangsbestätigung für Zahlungen aller Art. Etwa Korruptionszahlungen.

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Wieder großer Lacher bei Chrupalla. Dabei ahnte er wohl, wohin diese Anspielung auf den Patzer nach Plan der Miosga-Redaktion leiten sollte: zu der Entgegennahme jener Korruptionszahlungen aus prorussischen Quellen, der die beiden Männer beschuldigt werden, die bei der AfD auf den ersten Listenplätzen zur Europawahl stehen . Doch sowohl Maximilian Krah als auch Petr Bystron hielt Chrupalla bei Miosga erstmal die Stange.

Die Arbeitsteilung des AfD-Spitzenpersonals

Ob er denn gar keine Angst habe, dass bei der Verdichtung der Vorwürfe gegen die Parteifreunde nicht doch noch etwas komme, fragte die Moderatorin. »Es kann immer etwas kommen«, antwortete Chrupalla heiter. »Korruption gibt es in jeder Partei.« Miosga zeigte in Einspielern den offenen, aggressiven Rassismus und die offene, aggressive Misogynie des EU-Feindes Krah auf und zeichnete nach, wie massiv inzwischen die Indizienlage gegen den AfD-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl ist. Aber Chrupalla pochte darauf, erst zu handeln, wenn dessen Schuld rechtsstaatlich bewiesen sei. Mögen alle anderen doch über die Krah-Frage debattieren, ihm selbst stellt sie sich offenbar nicht.

Auf diese Weise wurde Miosga mit ihrer Sendung Opfer der austarierten Arbeitsteilung des AfD-Spitzenpersonals. Die kriminellen Polit-Hasardeure und Rassenideologen der Partei treiben außerhalb der etablierten Medien ungeniert ihr menschenverachtendes Spiel. In die Talkshows schickt man dann aber fast immer den freundlichen Herrn Chrupalla, Malermeister aus Görlitz, der sich sympathisch schlicht (und absolut folgenlos) vom offen rechtsextremen Gepolter seiner Parteifreunde distanziert und den sächsischen und deutschen Mittelstand zu repräsentieren vorgibt. Heimspiel für den Handwerksmeister also?

Immerhin hatte die Redaktion von Miosga die Idee, im späteren Teil der Sendung Chrupalla genau in seinem Mittelstands-Malocher-Selbstbild zu demontieren. Eingeladen war auch der Manager Joe Kaeser, Ex-Vorstandsvorsitzender von Siemens, jetzt Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Energy. Er sollte erklären, was die Wirtschaftspolitik der AfD für den Wirtschaftsstandort Deutschlands bedeutet. Dass Siemens Energy auch ein Werk mit 800 Mitarbeitern in Chrupallas Heimatstadt Görlitz unterhält, schien der Auseinandersetzung noch mal besondere Schärfe zu verleihen.

Spoiler: Ob Innovation, Patente oder Integration – alle wichtigen Faktoren für eine vitale Wirtschaft sah Kaeser durch die Politik der AfD gefährdet.

Der Move in Richtung Ökonomie ist nicht ganz neu: Bei »Hart aber fair« hatte Louis Klamroth neulich mal einen AfD-Bundestagsabgeordneten mit der Cheflobbyistin der deutschen Automobilindustrie konfrontiert , die mit demoskopischen Daten das isolationistische Wirtschaftsprogramm der Partei auseinandernahm. Nach der Autofrau nun also Turbinenmann.

Kaeser gab sich als weltläufiger Konzernlenker, der sich von Freunden aus den Vorstands- und Aufsichtsräten anderer internationaler Unternehmen in Bezug auf Germany immer wieder fragen lassen müsse: »Joe, is that a safe place?« Wenn aber AfD-Politiker im Bundestag über »alimentierte Messermänner« oder »Kopftuchmädel« sprächen, so Kaeser, ließe sich das Land immer weniger als weltoffener Ort für ausländische Firmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verkaufen. Auch der so wichtige Export sei durch Abschottung bedroht.

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Die schönsten Turbinen der Welt

Zum Beleg brachte der Konzernlenker nun endlich ein paar konkrete Zahlen bei. 800 Leute arbeiten demnach bei Siemens Energy in Göritz, bis zu 1300 seien indirekt beschäftigt. »Wir haben im letzten Jahr in Görlitz wunderbare Turbinen produziert, die schönsten, die besten der Welt, 31 Stück«, sagte Kaeser. »Jetzt schätzen Sie mal, wie viele von diesen 31 Turbinen in Deutschland verkauft wurden – fünf, zehn, 20?«

Chrupalla lustlos: »Wahrscheinlich unter fünf.« Kaeser triumphierend: »Eine!«

Klar, das ist ein schöner Beleg für die Abhängigkeit vom Export und die Notwendigkeit eines freundlich Antlitzes des Landes für den Rest der Welt. Weltoffenheit, so Kaeser, sei das wichtigste Gebot, auch damit Fachkräfte angezogen werden. Chrupallas Replik: »Wenn sie von Fachkräften sprechen – weshalb hat Siemens denn seit 2017 in Görlitz 1300 Stellen abgebaut?« Die Wirtschaft – und auch da schaue das Ausland auf Deutschland – schmiere gerade massiv ab. »Wir haben eine Deindustrialisierung, und vor der haben wir vor zwei Jahren schon gewarnt, da wurden wir als Verschwörungstheoretiker bezeichnet.«

An dieser Stelle hätte eigentlich eine punktgenaue Debatte einsetzen müssen, der Schreckensbegriff der Deindustrialisierung hätte detailliert verhandelt werden müssen. Stattdessen wurde eine weitere infame rassistische Attacke von Maximilian Krah thematisiert, als wolle man schon wieder die längst abgehandelte Krah-Frage auf den Tisch bringen.

Ein Video belegte zwar noch mal den abscheulichen Fremdenhass des AfD-Spitzenkandidaten – die in der Auseinandersetzung mit der AfD so wichtige Wirtschaftsdebatte dürfte da nach Meinung vieler Zuschauerinnen und Zuschauer aber längst Chrupalla für sich entschieden haben. Als wäre es tatsächlich ein Heimspiel für den Handwerksmeister gewesen.

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