Science-Fiction-Serie »3 Body Problem«: Die Aliens kommen in 400 ...

21 Mär 2024

Die Außerirdischen sind in der Serie nicht zu sehen, sie schicken lediglich einen menschlich aussehenden Avatar vor

3 Body Problem - Figure 1
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Netflix

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Höher hinaus als mit »Game of Thrones« geht es auch für die an Superlative gewöhnte amerikanische Unterhaltungsbranche nicht. David Benioff und D.B. Weiss schufen mit dem Fantasy-Epos als Produzenten, Drehbuchautoren und Ideengeber ein Fernsehereignis. Eine der teuersten, erfolgreichsten, weltweit am heißesten geliebten und leidenschaftlichsten diskutierten Serien einer an heiß geliebten Serien nicht gerade armen Fernsehgegenwart.

Allerdings haben die Schulfreunde auch die Erfahrung gemacht, wie schnell sich das Blatt wenden kann: Die achte und letzte Staffel von »Game of Thrones« stieß weder bei Kritik noch Zuschauern auf Gegenliebe, im Gegenteil. Durch Twitter und Reddit wälzte sich anlässlich der Ausstrahlung 2019 eine Hasswelle, weil viele Fans sich ein ganz anderes Finale für ihre Helden ausgemalt hatten.

Und dann gab es da noch ein anderes Problem. Wohin bricht man auf, wenn der Gipfel erreicht ist?

Szene aus der ersten Folge von »3 Body Problem«: Eine politische Serie?

Foto: Netflix

Die Serie, die diese Frage beantwortet, ist jetzt bei Netflix zu sehen. Sie beginnt mit einer langen Sequenz, die 1966 vor einem Universitätsgebäude in Peking spielt. »Weg mit dem Ungeziefer!«, skandieren Hunderte Studierende, rote Mao-Bibeln schwenkend. Auf einer Bühne werden Wissenschaftler brutal misshandelt und dazu gezwungen, sich selbst als Konterrevolutionäre zu denunzieren. Ein Physiker, der sich weigert, wird totgeprügelt. Der Horror der chinesischen Kulturrevolution ist in vollem Gange.

Bisher hatten sich Benioff und Weiss eher mit den Drachen und dynastischen Verwerfungen in fantastischen Welten beschäftigt. Sollte »3 Body Problem«, die Verfilmung eines Romans des chinesischen Science-Fiction-Autors Liu Cixin, etwa eine handfeste politische Serie geworden sein?

So weit will Benioff dann doch nicht gehen, wenn man die Frage beim Videointerview stellt. Der 53-Jährige mit den grauen Haaren sieht müde aus, aber beim Reden über den Roman, der der Serie zugrunde liegt, flammt Leidenschaft auf. Ein Buch müsse viele Komponenten haben, um ihn davon zu überzeugen, fünf Jahre seines Lebens für eine Verfilmung zu geben: »Hier war es eine kosmologische Saga, die stark in der menschlichen Realität verankert ist. Aber mich haben auch die großen Bilder angezogen. Ich wollte auf dem Bildschirm sehen, wie Hunderttausende Soldaten der mongolischen Armee sich zu einem Supercomputer zusammenschließen. Ich wollte sehen, wie Nanofasern ein Schiff in Stücke zerlegen.«

3 Body Problem - Figure 2
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Lius Roman erschien in seiner Heimat bereits 2007. In Deutschland dauerte es zehn Jahre bis zur Übersetzung unter dem Titel »Die drei Sonnen«. Das epische Werk fand auch im Westen begeisterte Anhänger. 2015 gewann es in den USA den Hugo-Award für den besten Science-Fiction-Roman, Barack Obama und Mark Zuckerberg empfahlen es. Dabei ist das Buch alles andere als leichte Kost.

Liu, ausgebildeter Techniker und Ingenieur, der vor seiner literarischen Karriere in einem Wasserkraftwerk arbeitete, verwebt darin die Lebensläufe chinesischer Figuren von der Kulturrevolution bis in die jüngere Gegenwart mit komplexen naturwissenschaftlichen und kosmologischen Fragen. Es geht um das aus der Himmelsmechanik bekannte Dreikörperproblem, das dem Buch seinen Titel gab; um multidimensionales Denken und um den Einfluss, den der Kontakt mit einer überlegenen außerirdischen Zivilisation auf das Schicksal der Menschheit hätte.

In »Die drei Sonnen« haben sich Aliens auf den Weg zur Erde gemacht, die sich Trisolarier nennen, wegen der drei Sonnen, unter deren Einfluss ihr Heimatplanet steht und der von diesen Sonnen wieder und wieder zerstört wird. Weil ihr Sonnensystem mehr als vier Lichtjahre von der Erde entfernt ist, werden sie rund 400 Jahre benötigen, um dort anzukommen. Dann wollen sie die Menschheit vernichten und die Erde selbst kolonisieren.

John Bradley in »3 Body Problem«: Ein Leben nach »Game of Thrones«

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In China, wo Liu zusammen mit Wang Jinkan und Han Song zu den Großen der Science-Fiction-Literatur zählt, wurden einige seiner Werke bereits verfilmt, darunter die Kurzgeschichte »Die wandernde Erde«, deren Kinoversion ein Kassenschlager war. Eine Serienversion von »Die drei Sonnen« stellte bereits Anfang des vergangenen Jahres der chinesische Internetkonzern Tencent ins Netz.

Netflix, das in China nicht vertreten ist, kommt mit seiner Fassung also recht spät, sieht aber offenbar großes Potenzial in »3 Body Problem«. Angeblich ließ der Konzern sich die acht Episoden 160 Millionen Dollar kosten, und das in einer Zeit, in der Hollywood nicht zuletzt wegen explodierender Kosten durch teure Serien und Filme vor allem im Streamingbereich die Budgets zusammengekürzt hat.

3 Body Problem - Figure 3
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Benioff und Weiss haben sich also offensichtlich dazu entschlossen, nicht vom Gipfel hinabzusteigen und kleinere Projekte zu verfolgen. »Wenn du einmal die große Packung mit Buntstiften bekommen hast, mit denen du arbeiten darfst, dann gibst du sie nicht mehr her«, sagt Weiss. »3 Body Problem« ist nur die erste Serie im Rahmen eines 200-Millionen-Dollar-Deals, mit dem Netflix sich exklusiv die Rechte der beiden Superproduzenten sicherte. Der Romanvorlage ließ Liu zwei weitere Bücher folgen, die sie zur sogenannten Trisolaris-Trilogie komplettieren und reichlich Stoff für weitere Staffeln bieten. Aber dafür muss die Erste zunächst einmal ein Hit werden.

Benioff, Weiss und Alexander Woo, der das Duo bei »3 Body Problem« verstärkt, spüren den Druck natürlich, aber das sei Teil ihres Jobs, sagen sie. Dass sie den Erfolg beim großen, weltweiten Netflix-Publikum unbedingt wollen, merkt man der Serie deutlich an. Mit dem Roman verbindet sie außer der Rahmengeschichte nicht mehr viel. Nach der ersten Folge, die noch zu großen Teilen in China spielt, verlagert sich das Geschehen mehr und mehr in den Westen, vor allem nach Oxford. Darauf angesprochen, zeigt zumindest Alexander Woo dann doch Nerven. Seine Antwort ist trotzig, defensiv: »Wir übersetzen den Roman mit unserer Verfilmung gewissermaßen neu, natürlich bleiben wir damit nicht in der Volksrepublik China.« Und – natürlich! – habe ihnen das die Möglichkeit gegeben, das Material zu erweitern und zu verändern: »Dazu hat uns übrigens der Autor selbst geraten!«

Die Veränderungen sind allerdings massiv. Die Macher führen Figuren ein, die zum Teil auf den Charakteren der Vorlage basieren, zum Teil völlig neu erfunden sind. Einige sind chinesischstämmig, aber im Westen sozialisiert, andere europäischer und amerikanischer Herkunft. Im Mittelpunkt stehen in der Serienversion fünf Freunde, die zusammen studiert haben und zu den führenden Forschern in ihren Fachgebieten gehören. Nach und nach werden sie in die Verteidigungsstrategien gegen die von den Trisolariern angekündigte Vernichtung der Menschheit hineingezogen und nehmen dabei bald zentrale Rollen ein. Oft sieht man sie aber lässig beim Bier im Pub sitzen, als träfen sie sich nach der Vorlesung zum abendlichen Besäufnis.

Diese Veränderung im Ton hat größere Auswirkungen als die Erweiterung des Figurenpersonals. Die Produzenten tun nach der Eingangssequenz alles dafür, die Düsterkeit des Romans aufzuhellen. Spezialeffekte und Actionszenen gibt es natürlich, aber sie stehen nicht im Zentrum. Schließlich muss die Serie damit umgehen, dass man die Außerirdischen nicht sieht und es zu keinem Kampf kommt. Aber die philosophischen Betrachtungen, die Liu in seinem Roman anstellte, werden in der Serie trotz des drohenden Endes der Welt zu lockeren Sprüchen. Oder zu kitschig ausgestalteten Liebesbeziehungen, die die Protagonisten manchmal mehr umtreiben als der Kampf gegen die Invasoren. Während einer komplizierten Aktion zur Vorbereitung auf die Verteidigung der Erde bleibt einem sich fremd gewordenen Paar Zeit, sich tief in die Augen zu schauen, und er fragt sie: »Was ist nur mit uns passiert?«

In solchen Momenten rutscht »3 Body Problem« sogar in die unfreiwillige Komik ab. Die Serie entzieht Lius fest in einer bestimmten Kultur und Zeit verwurzelten Stoff die DNA, die ihn unverwechselbar macht. Übrig bleibt eine generische Hollywoodsaga, die ihr Publikum unbedingt vor beinahe jeder intellektuellen und emotionalen Herausforderung bewahren will. Vielleicht ist es das, was passiert, wenn die Luft dünn wird, dort oben auf dem Gipfel.

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