FAQ: Habeck unter Druck: Haben die Grünen beim Atomausstieg ...

von Victoria Robertz sowie von Lisa Becke, Veit Medick und Jan Rosenkranz

26.04.2024, 15:15 5 Min.

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Foto Capital - Wirtschaft ist Gesellschaft

Die beiden grünen Minister Habeck und Lemke wehren sich gegen Vorwürfe, beim Atomausstieg getäuscht zu haben. Was die AKW-Betreiber sagen und was das für die Grünen bedeutet

Inhaltsverzeichnis Wie unangenehm sind die Veröffentlichungen für die Grünen? Hat Robert Habeck in der Atomlaufzeit-Debatte die Öffentlichkeit getäuscht? Welches Detail ist besonders problematisch? Ist durch das damalige Agieren ein Schaden entstanden?  Was sagen die AKW-Betreiber zu den Vorwürfen gegen Habeck? Werden die AKW jetzt wieder hochgefahren?

Krisenmodus bei Robert Habeck und Steffi Lemke: Der Wirtschaftsminister musste sich am Freitag bei einer Sondersitzung des Energieausschusses verteidigen, die Umweltministerin wurde zu einer Sondersitzung des Umweltausschusses zitiert. Der Grund: ein Bericht des Magazins „Cicero“ vom Donnerstag, der den Grünen vorwirft, beim Atomausstieg getäuscht zu haben. Das Magazin stützt sich auf interne Dokumente der beiden grün-geführten Ministerien aus dem Frühjahr 2022, deren Herausgabe es vor Gericht erstritten hatte.

Eigentlich wollte Deutschland zum Jahreswechsel 2023 vollständig aus der Atomkraft aussteigen. Doch dann kam die russische Invasion in der Ukraine und mit ihr eine drohende Energiekrise – plötzlich stand der Atomausstieg wieder in Frage: Sollte man ihn in einer solchen Situation tatsächlich vollziehen? Könnte ein Weiterbetrieb die Lage etwas entspannen? Und unter welchen Umständen wäre eine Laufzeitverlängerung überhaupt technisch möglich? 

Damals forderten FDP und Union, die Atomkraftwerke (zumindest zeitweise) weiterlaufen zu lassen, bei vielen Grünen aber gab es dagegen Vorbehalte. Am Ende kam es, nach einem Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD), zu einer kurzzeitigen Verlängerung des Betriebs bis Ende April 2023, dem sogenannten Streckbetrieb.

Wie unangenehm sind die Veröffentlichungen für die Grünen?

Es sind schwere Vorwürfe, die das Magazin erhebt: „Strippenzieher der Grünen“ hätten die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung „manipuliert“. Die beiden zuständigen Staatssekretäre in den beiden Ministerien seien sich einig gewesen, dass fachliche Argumente, die für einen Weiterbetrieb sprechen könnten, „gar nicht erst bekannt werden sollten“. Die beiden Ministerien wiesen die Darstellung des Artikels zurück, diese sei „verkürzt und ohne Kontext“, so das Wirtschaftsministerium. Die „daraus gezogenen Schlüsse“ seien „nicht zutreffend“. 

Im April 2023 schaltete Deutschland seine letzten drei Kernkraftwerke ab – die Angst vor Blackouts und Strompreisexplosion war groß. Doch das Ende der Ära „Atom“ verlief lautlos. Die Bilanz ein Jahr später überrascht

Für die Grünen aber ist das eine gefährliche Erzählung: Gerade aus der konservativen Ecke werden sie immer wieder als eine „von Ideologie getriebene“ Partei dargestellt,  in Umfragen spiegeln auch Wähler häufig diesen Eindruck. Für die Opposition also ein gefundenes Fressen: „Der alte Verdacht erhärtet sich“, schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, am Donnerstag auf „X“, „beim Kernkraft-Aus wurden Parlament und Bevölkerung belogen“. Die Union droht mit einem Untersuchungsausschuss. 

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Foto Capital - Wirtschaft ist Gesellschaft
Hat Robert Habeck in der Atomlaufzeit-Debatte die Öffentlichkeit getäuscht?

Kommt drauf an, wen man fragt. Dass die Grünen vierzig Jahre lang für eine Ende der Atomkraft gestritten haben, ist kein Geheimnis. Dass sie dieses Ende auf den letzten Metern nicht mehr infrage stellen wollten – auch bekannt. Habeck hatte seinerzeit dennoch angekündigt, unideologisch prüfen zu lassen, ob eine Laufzeitverlängerung helfen könnte, die drohende Gaskrise im kommenden Winter abzuwenden.

Der „Cicero“-Bericht weckt zumindest Zweifel daran, wie „unideologisch“ das Thema in den Häusern behandelt wurde. Aber war das Ergebnis falsch? 

Sieht man vom damals internen, heute öffentlichen Streit um Vermerke ab, dann kommt es vor allem auf den Prüfbericht an, der für die Öffentlichkeit bestimmt war. Hier scheint zumindest die Faktenlage korrekt dargestellt: Stillgelegte AKW können ohne neue Genehmigung nicht wieder ans Netz, ein Weiterbetrieb der drei damals noch laufenden Meiler wäre nach erneuter Sicherheitsüberprüfung möglich, benötigt würden aber lange Pausen und neue Brennstäbe – hilft im Winter also nicht. Option 3, „Streckbetrieb“, wäre machbar, würde zwar in Summe nicht mehr Strom liefern, könnte im Winter aber Lastspitzen abfedern. Dafür hätte man allerdings bereits mehr Kohlekraftwerke in der Reserve. Fazit: „auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen“.

Das ist zumindest ein politisch zulässiger Schluss. Dass der Kanzler ein halbes Jahr später, im Lichte neuer Fakten und Stimmungen trotzdem anders entschieden hat – also pro Streckbetrieb – , hatte mit seiner Richtlinienkompetenz zu tun. Auch das war keine fachliche, sondern eine politische Entscheidung. 

Welches Detail ist besonders problematisch?

Im Kern geht es um Widersprüche zwischen Vermerken der Fachabteilungen und der offiziellen Einschätzung von Umwelt- und Wirtschaftsministerium. Zwei Papiere werfen Fragen auf. In einem Vermerk der zuständigen Arbeitsgruppe im Umweltministerium vom 1. März 2022 wurden „Szenarien“ für eine Laufzeitverlängerung durchgespielt, die mit der nuklearen Sicherheit vereinbar wären. Zwei Tage später schrieb der Leiter der Nuklearabteilung eine eigene Vorlage, wonach eine Laufzeitverlängerung „sicherheitstechnisch nicht vertretbar wäre“. 

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Während der Fachvermerk also eine Laufzeitverlängerung zumindest für denkbar hielt, machte das Papier der Leitungsebene diese Option zu. Wurde der Rat der eigenen Arbeitsgruppe ignoriert? Eher nicht, aber er wurde übergangen. Das allerdings ist nicht per se ein Skandal. Eine politische Entscheidung bedeutet nun mal, dass sie besonders entlang weltanschaulicher Haltungen getroffen wird. In vielen anderen Fragen ist das auch so. 

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Was die Widersprüche aber zeigen: wie voreingenommen die politische Spitze in den Ministerien war. Während Habeck betonte, die AKW-Entscheidung unideologisch treffen zu wollen, stützen sich seine Helfer vor allem auf jene Argumente, die ihrer Linie entsprachen.

Ist durch das damalige Agieren ein Schaden entstanden? 

Man könnte es sich leicht machen und sagen: Die Lichter sind nicht ausgegangen in diesem Winter 22/23. Also alles gut? Sicher ist: Um das bisschen AKW-Strom gab es damals und heute mehr Streit als seiner energiewirtschaftlichen Bedeutung angemessen wäre. Im Jahr zuvor hatten die drei damals noch laufendene Meiler zusammen noch etwa sechs Prozent der gesamten deutschen Strommenge produziert. Wegen des Streckbetriebes konnten sie in besagtem Winter nicht mehr unter Vollast laufen. Stattdessen waren mehr Kohlekraftwerke ans Netz gegangen. 

Bliebe die Frage, ob die Strompreise mit Atomstrom im Mix dann nicht wenigstens günstiger gewesen wären. Antwort: Eher nicht. Das liegt am inzwischen wieder in Vergessenheit geratenen Merit-Order-Modell. Danach bestimmt immer die letzte nachgefragte Kilowattstunde den Strompreis. Und diese letzte Kilowattstunde wäre – egal, ob mit oder ohne Atomkraft – immer der teurere Kohlestrom gewesen.

Was sagen die AKW-Betreiber zu den Vorwürfen gegen Habeck?

Die drei Betreiber der zuletzt abgeschalteten AKW wollen die Vorwürfe gegen Habeck nicht kommentieren und halten sich bedeckt. Der Energiekonzern RWE, Betreiber des AKW Emsland in Niedersachsen, bestätigt aber gegenüber Capital – wie der Stern Teil von RTL Deutschland –, dass Unternehmenschef Markus Krebber dem Bundeswirtschaftsministerium seine Einschätzung zur Kernenergie sowohl in einem Gespräch als auch schriftlich dargelegt habe. 

In einem Schreiben von RWE an Habeck, das dem Stern vorliegt, warnt der Energiekonzern im Februar 2022, dass ein Weiterbetrieb „mit erheblichen juristischen und ökonomischen Risiken verbunden“ wäre. „Wie dieser Vermerk im Ministerium bewertet wurde, können und wollen wir nicht kommentieren“, so ein RWE-Sprecherin. Das Unternehmen will schon länger weg von der Atomkraft. Krebber sagte etwa im Sommer 2022, dass er eine mögliche Laufzeitverlängerung für rückwärtsgewandt halte. Lieber solle man die Energiewende beschleunigen. 

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Ähnliches hört man von EnBW, Betreiber des AKW in Neckarwestheim. Chef Georg Stamatelopoulos erklärte kürzlich im Capital-Interview, dass man an einem beschleunigten Kohleausstieg und wasserstofffähigen Gaskraftwerken arbeite. Man habe die Bundesregierung „im Sinne einer sicheren Energieversorgung“ auf die Bereitschaft für Gespräche und die Bereitstellung von Informationen hingewiesen, so ein EnBW-Sprecher auf Nachfrage. „Davon wurde Gebrauch gemacht, aber es ist nicht Sache der EnBW, diese Gespräche öffentlich zu dokumentieren.“

Werden die AKW jetzt wieder hochgefahren?

Dass die vor einem Jahr abgeschalteten AKW wieder hochgefahren werden, ist äußerst unwahrscheinlich. Für das Betreiberunternehmen von Isar 2 in Bayern, Preussen Elektra, ist der Weiterbetrieb des Kraftwerks „kein Thema mehr“. Noch kurz vor der Abschaltung 2023 hatte Chef Guido Knott zwar mit der Entscheidung der Politik gehadert und übers Weitermachen gesprochen.  

Doch das ist jetzt vom Tisch: „Die Debatte um den Weiterbetrieb von Isar 2 ist Geschichte“, schreibt das Unternehmen auf Capital-Anfrage. „Wir haben zwischenzeitlich die Genehmigung zur Stilllegung und zum Abbau erhalten und der Rückbau von Isar 2 hat am 2. April begonnen.“ Daher werde man die Recherche von Cicero nicht kommentieren.  

Die Betreiberunternehmen fokussieren sich also auf den Rückbau der Anlagen. In Deutschland herrsche eine klare Rechtslage, nach der die Kernkraftwerke abgeschaltet wurden und nun zurückgebaut werden, teilt RWE mit. Auch EnBW beruft sich auf das deutsche Atomgesetz. Es gebe „keine Betriebsgenehmigung mehr für die Stromproduktion“ durch Kernkraftwerke und „keine Grundlage, diese wieder in Kraft zu setzen“, sagte der EnBW-Sprecher. „Eine Diskussion über die weitere Nutzung der Kernkraft hat sich für uns vor diesem Hintergrund erledigt.“

#Themen Atomkraftwerk Atomenergie Die Grünen Robert Habeck Wirtschaftsministerium Umwelt Energiewende Energiekonzerne RWE EnBW
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