Debattenzirkel bei Maischberger: Waffen liefern, Waffen verweigern ...

14 Tage vor

Moderatorin Sandra Maischberger (r.) mit Talkgästen Sahra Wagenknecht und Katrin Göring-Eckhardt

Sahra Wagenknecht - Figure 1
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Foto: Oliver Ziebe / WDR

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Marcel Reif ist überfordert: »Wie jetzt?«, fragt er: »Geopolitisch? Oder als Mensch und Verwandter?« Maischberger hatte zuvor versucht, die Attacke Irans auf Israel ein wenig ins Private zu drehen: »Es wurde niemand getötet. Und dennoch, Marcel Reif, Sie haben Familie in Israel«, wie er denn da reagiert habe? Angemessen vermutlich. Und betroffen, das auch.

Im sprichwörtlichen Nahen Osten (Gaza) wie auch im buchstäblichen nahen Osten (Ukraine) toben gleich zwei kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Potenzial zur exponentiellen Eskalation ins Ungeheuerliche. Hier wie dort ist die Lage entsetzlich. Da klingt es beinahe wie eine Untertreibung, wenn der Journalist Claus Strunz mit Blick auf den iranischen Raketenregen sagt: »Diese Nacht hat die Weltordnung einmal gewackelt!« Die Frage ist nun, wie sich die wackelnde Ordnung wiederherstellen ließe – oder ob es noch schlimmer kommt.

Auskunft könnte Michael Roth erteilen. Der SPD-Politiker sitzt dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags vor, wo sich bestimmt Ein- und Überblicke gewinnen lassen. Sein Erstaunen über die Situation ist denn auch »nicht so groß«. Eine militärische Antwort seitens Israel, wie sie nun allgemein befürchtet wird, würde ihn auch nicht wundern.

»Wenn wir gar nichts tun, wirken wir schwach.«

SPD-Politiker Michael Roth

Der Staat habe sich am 7. Oktober »zum allerersten Mal als verwundbar« gezeigt. Zwar hat Iran bereits offiziell so etwas wie eine außer kriegerische Einigung angeboten (»Die Angelegenheit kann als abgeschlossen betrachtet werden«). Trotzdem richten sich jetzt wieder alle Blicke auf Israel, das sich Verwundbarkeit noch weniger leisten kann als andere Staaten.

»Wie kann, wie muss Israel reagieren?«, will Maischberger wissen. Offenbar ist es keine Option, dass Israel sich in weiser Gelassenheit übt. Das sieht Roth ähnlich: »Wenn wir gar nichts tun«, so das Kalkül der israelischen Politiker, »dann wirken wir schwach.« Er erinnert daran, dass Iran nicht nur den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eifrig unterstützt, sondern auch die »Terrorknechte« von der Hamas in Gaza, der Hisbollah im Libanon und den Huthis im Jemen.

Kristin Helberg hätte es gern differenzierter. Nach Ansicht der Nahostexpertin und Journalistin hat Iran »kein Interesse« an einer weiteren Eskalation. Überdies seien es keine »Terrorknechte«, mit denen Israel zu tun habe, sondern »hybride Akteure mit eigenen Interessen«. Neu sei, dass Iran selbst aktiv wird. Seine Botschaft habe gelautet: »Klares Signal, wir greifen massiv an« – aber mit Ansage, damit der Angriff als tendenziell symbolisch verstanden werden kann.

Drei Optionen für Israel

Drei Möglichkeiten lägen beim israelischen Kriegskabinett gegenwärtig auf dem Tisch, so Helberg:

Erstens könne Israel schlicht »weitermachen wie bisher«, sich also wie immer auf die Bekämpfung von Hisbollah & Co. konzentrieren.

Zweitens stünden wohl gezielte »geheimdienstliche« Operationen gegen Iran zur Debatte, wie es sie gegen dessen Atomprogramm und einzelne Verantwortliche ebenfalls bereits in der Vergangenheit gegeben hat.

Drittens böte sich Israel jetzt die charmante Gelegenheit, die Früchte der Diplomatie der vergangenen Jahre einzufahren und zarte Koalitionen mit arabischen Nachbarn zu stärken. Selten wäre das Land in einer günstigeren Situation gewesen, »langfristig eine strategische Allianz zur Einhegung Irans« schmieden zu können. Das Gemetzel in Gaza habe Israel weltpolitisch in die Defensive gedrängt. Die erfolgreiche Verteidigung gegen 300 persische Marschflugkörper allerdings sei moralisch wie militärisch als Sieg zu werten. Das Land könne nun aus »einer Position der Stärke heraus« handeln: »Israel hat gewonnen.«

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»Finden Sie das zynisch?«

Roth schnaubt vor Wut so laut, dass Maischberger fragt: »Sie schnauben? Finden Sie das zynisch?« Ja, das Kalkül von Helberg findet Roth zynisch und betont: »Dieses Land lebt nicht mehr in Sicherheit«, und die Regierung habe das Versprechen auf Sicherheit wieder zu erfüllen.

Israel solle es bei einer »strategischen Ambiguität« belassen, rät Roth, und das gebrochene Sicherheitsversprechen an die eigenen Bürger erneuern. In der Zwischenzeit könne Deutschland »regimetreuen Institutionen« hierzulande den Hahn zudrehen und Europa die iranischen Revolutionswächter als terroristische Vereinigung einstufen.

Roth ist so solidarisch mit Israel, dass es Maischberger nicht ganz geheuer ist. Sie möchte wissen, ob die berühmte »Staatsraison« (Merkel) nicht in Gaza an eine Grenze stoße – und eine wenigstens temporäre Einstellung von Waffenlieferungen geboten sei. Helberg würde ein solches Moratorium begrüßen, weil Israel sich mit seinem Vorgehen in Gaza vom Gebot der »Verhältnismäßigkeit« entfernt habe.

Roth hingegen hielte es »angesichts der Bedrohungslage« für »verantwortungslos«, Israel keine Waffen mehr zu liefern. Das aktuelle Gemetzel und das Hungern in Gaza nennt er einen »sehr, sehr schwerwiegenden Eingriff« – ein Wort, das Maischberger so nicht stehen lassen kann: »Manche nennen es Krieg!« Sei das nicht zu kritisieren? Solle man da nicht mäßigend einwirken?

Hier sind sich Helberg und Roth einig. Sie meint, es sei »sehr wohl diese Regierung zu kritisieren«, ohne damit dem Staat gleich das Existenzrecht auszusprechen. Defensive Waffen seien auch moralisch vertretbar. Er hält Kritik für »in Ordnung«, solange sie »ohne Schaum vor dem Mund« vorgetragen werde. Überhaupt könne in Deutschland von »kritikloser Solidarität« keine Rede sein – wohl aber von wachsender Verachtung gegenüber Israel und steigendem Antisemitismus.

Reizthemen in der Schnellabfrage

Um das Existenzrecht eines anderen Staates geht es in der zweiten Runde der Sendung. Bevor sich aber Sahra Wagenknecht vom gleichnamigen Bündnis und Kathrin Göring-Eckardt von den Grünen über die Ukraine streiten können, müssen sie noch schnell ihre politischen Unterschiede offenlegen.

Zu diesem Zweck fragt Sandra Maischberger, statt sich einfach die entsprechenden Parteiprogramme auszudrucken, ein paar Reizthemen ab: Schuldenbremse, Reichensteuer, Erbschaftsteuer, Bürgergeld, Mindestlohn, Atomkraft, Tempolimit, Cannabis. Ja oder nein? Die Positionen sind bekannt, und das gilt auch für den Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Die Grüne will »jetzt endlich die Waffen schicken, die notwendig sind«, damit es zu Verhandlungen »auf Augenhöhe« kommen könne. Wagenknecht will lieber Gerhard Schröder zu seinem »Männerfreund« im Kreml schicken, damit der dann herausfinde, unter welchen Bedingungen Putin einem Waffenstillstand zustimmen würde: »Das wäre doch eine wichtige Information.« Eine Information, die Göring-Eckardt bereits zu haben glaubt: »Putin will nicht verhandeln.«

Und so war zumindest in dieser Hinsicht am Ende der Sendung klar, was man auch zuvor schon wusste: Sahra Wagenknecht und Kathrin Göring-Eckhardt werden in diesem Leben keine gemeinsame Partei mehr gründen. Die Differenzen sind einfach zu groß. Geopolitisch, menschlich, verwandtschaftlich.

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