„Hart aber fair“ diskutiert über Leitkultur und Islam

Die Frage, ob man über den Konservatismus stundenlang oder überhaupt nicht diskutieren kann, bleibt auch nach dieser Sendung unbeantwortet – was anscheinend vor allem daran liegt, dass man Leute, die den Begriff mit Inhalt füllen können, lange suchen muss und diesmal leider nicht gefunden hat. Nicht in der Redaktion von „Hart aber fair“ und auch nicht unter den Gästen.

Hart aber fair - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sahra Wagenknecht, die alles in allem die Rolle eines Aiwangers mit Bücherschrank spielte, zitierte Edmund Burke, den Begründer des Konservatismus, mit dem Satz, es gehe um die Weisheit in der Tradition. Und lobte als konservative Tugenden den Fleiß und die Disziplin, von denen aber heute ein deutscher Mensch noch so viel haben könne; es reiche trotzdem nicht für ein gutes Leben. Konservatismus im Sinne Sahra Wagenknechts wäre also die Forderung, unser Wirtschaftssystem zu überdenken.

Unser Land, unsere Regeln

Mario Voigt, CDU-Vorsitzender in Thüringen, ein Mann, der sicher nicht beleidigt wäre, wenn man ihn einen Konservativen nennte, wagte zwar keine Definition. Er versuchte aber seine Vorstellungen am Begriff der Leitkultur zu erläutern, was immer wieder aufs allgemeine Gerede von unseren Werten (welche meint er denn: Freiheit oder Sicherheit?), auf verbindliche Maßstäbe, auf „unser Land, unsere Regeln“ hinauslief. Spezifischer war nur, dass sich für ihn die thüringische Leitkultur in der Bratwurst materialisiert. Was sehr schön korrespondierte mit Markus Söder. Der hatte, in einer Art Vorab-Interview zur Diskussion, über den Islam gesagt hatte, dass der zwar irgendwie auch zu Bayern gehöre. Aber für die bayerische Identität nicht konstitutiv sei, im Gegensatz zur Weißwurst beispielsweise.

Markus Söder sagte in einer Art Vorab-Interview zur Diskussion über den Islam, dass der irgendwie auch zu Bayern gehöre.WDR/Oliver Ziebe

Außerdem, auch darauf kam Voigt immer wieder zurück, sei die Kenntnis deutscher Gedichte ein schönes Bekenntnis zur deutschen Leitkultur. Was eine Forderung ist, zu der, vor Jahren schon, Thilo Sarrazin das vorletzte Wort gesagt hat. Nämlich als er forderte, „Wandrers Nachtlied“ solle man als Eingewanderter schon aufsagen können, dann aber die 140 Zeichen (das ganze Gedicht passt in einen Tweet) doch nicht aufsagen konnte.

Das letzte Wort dazu hatte aber, jetzt in der Sendung, die junge Künstlerin Enissa Amani. Sie wies darauf hin, dass, während ältere Herren mit den Fingern auf Muslime und andere Migranten zeigten, die sich endlich an deutscher Leitkultur orientieren sollten, deren eigene, ganz und gar unmigrantische Kinder von Goethe, Nietzsche, Hegel keinen Schimmer hätten. Von einem schönen auswendiggelernten Hölderlin-Gedicht ganz zu schweigen.

Alles muss sich ändern

Wer den Konservatismus – im Spannungsfeld zwischen dem Bewahren dessen, was er bekämpft hat, als es neu war, und Tomasi di Lampedusas Forderung, dass alles sich ändern müsse, damit alles bleibe, wie es ist – vermutlich ganz gut beschreiben und definieren hätte können, das war Robin Alexander, der stellvertretende Chefradakteur der „Welt“, der auch nach fünfhundert Talkshowauftritten mit seiner gelassenen Kompetenz überzeugt.

Aber Alexander hatte genug damit zu tun, die ganzen anderen Halbwahrheiten zu kontern, zum Beispiel die Empörung des Mario Voigt darüber, dass so viele Muslime den Koran über das Grundgesetz stellen. Was Alexander mit der Bemerkung konterte, dass gläubige Katholiken das mit der Bibel genau so hielten. Er hätte hinzufügen können, dass „Liebe deinen Nächsten“ nicht im Grundgesetz steht. Oder dass der konservative Rechtsprofessor Volker Rieble vor ein paar Jahren geschrieben hat, dass, wenn es Sportgerichte, Schulstrafen und Exkommunikationen gibt, auch gegen islamische Friedensrichter nichts einzuwenden ist. Solange sich alle an die Gesetze halten.

Und dann beschämte Alexander auch noch die linken Verächter wie die eher konservativen, aber argumentationsschwachen Verfechter der Leitkultur, indem er daran erinnerte, dass nicht Friedrich Merz, sondern der eher linke syrisch-deutsche Politikwissenschaftler Bassam Tibi den Begriff erfunden habe. Und zwar deshalb, weil er Zugehörigkeit nicht länger ethnisch und mit Blut und Boden definieren wollte. Sondern mit Teilhabe auch der Zugewanderten an der Kultur. Warum, fragte man sich da, bekommen Leute wie Voigt oder Friedrich Merz so eine Erklärung nicht hin? Ist es wirklich nur ihr Unvermögen – oder schwingt eben doch die Absicht mit, den Unterton von Gängelung, der immer mitschwingt, weiter schwingen zu lassen?

„Rechtsruck oder Kurs der Mitte: Soll Deutschland konservativer werden?“: Wäre die Sendung ihrem leicht konfusen Titel einigermaßen gerecht geworden, hätte man wohl antworten müssen: bitte nicht. Wo doch, mit Ausnahme der AfD, die alles umstürzen und kaputtmachen will, alle Parteien konservativ sind, nur dass die einen die Natur, die zweiten den Sozialstaat, die dritten und vierten das Recht, den Planeten weiter auszubeuten, vor den Zumutungen der Zukunft bewahren wollen. Und selbst Sahra Wagenknecht den sogenannten Normalbürger vor jeder Veränderung zu beschützen verspricht. Reicht es uns wirklich, nur zu retten, was zu retten ist? Oder darf es ein bisschen mehr sein an politischen Zielen und Visionen? Das wäre eine Frage, auf die man die Antworten der Konservativen gerne hören würde. Und die der Progressiven, falls es die noch gibt, auch.

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