Machtkampf in Russland: Was über den Wagner-Aufstand bekannt ist

25 Jun 2023
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Stand: 24.06.2023 18:43 Uhr

Wie kam es zu dem Aufstand der Wagner-Söldner gegen die russische Armeeführung? Wie geht Kremlchef Putin gegen die Gegner im eigenen Land vor - und wie reagiert die Ukraine auf den innerrussischen Machtkampf? Antworten auf zentrale Fragen.

Wie ist der Machtkampf zwischen der Wagner-Truppe und dem russischen Militär eskaliert?

Seit Monaten kritisiert der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, die russische Militärführung. Immer drastischer attackierte er zuletzt Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow. Prigoschin warf ihnen vor, die Truppen im Krieg gegen die Ukraine nicht gut genug auszurüsten, machte sie für Misserfolge und hohe Verluste verantwortlich, beschuldigte sie der Verweichlichung und stellte sich auch gegen die offizielle Sprachregelung zum Krieg. Präsident Wladimir Putin sparte er bis Samstag mit Kritik aus.

Am Freitag warf Prigoschin der Militärführung vor, an der Front den Rückzug angetreten zu haben. Zudem erklärte er, die russische Armee habe Raketenangriffe auf seine Truppen angeordnet. Er kündigte an, die Militärführung zu stoppen. Daraufhin rückten in der Nacht zu Samstag seine Truppen von der Ukraine aus nach Russland vor.

Seinen Angaben zufolge besetzten sie militärische Einrichtungen in der südrussischen Stadt Rostow am Don, wo sich das Hauptquartier des russischen Militärbezirks Süd befindet - eine Kommandozentrale für den Krieg gegen die Ukraine. Das Armee-Hauptquartier sei "ohne einen einzigen Schuss" eingenommen worden, sagte Prigoschin auf Telegram. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Mittlerweile rücken Wagner-Söldner weiter in Richtung Moskau vor. Russische Behörden meldeten Kämpfe im Gebiet Woronesch im Südwesten des Landes. Das gleichnamige Gebietszentrum ist rund 560 Kilometer von der Hauptstadt Moskau entfernt. Es liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen Moskau und Rostow am Don. Nach Angaben des örtlichen Gouverneurs rückten die Wagner-Truppen später in die Region Lipezk ein, rund 360 Kilometer südlich von Moskau.

In der Innenstadt von Moskau waren am Samstag gepanzerte Fahrzeuge zu sehen. Soldaten mit Sturmgewehren waren vor dem Hauptgebäude des Verteidigungsministeriums stationiert.

Wie reagiert der Kreml?

Präsident Wladimir Putin, der Prigoschin lange Zeit gewähren ließ, hat ihm nun in einer Fernsehansprache Verrat vorgeworfen. Wer Waffen erhebe und einen bewaffneten Aufstand organisiere, werde bestraft. Er forderte die Wagner-Kämpfer auf, ihre Teilnahme an kriminellen Handlungen umgehend zu beenden. Er sprach von einer "tödlichen Bedrohung" für Russland und rief das Land zur "Einigkeit" auf. Ein Bürgerkrieg müsse verhindert werden. Russlands Geheimdienst FSB ermittelt gegen Prigoschin wegen Putschversuchs.

Zudem bestätigte der Kremlchef indirekt den Vormarsch der Wagner-Söldner im Südwesten des Landes: "Faktisch ist die Arbeit von Organen der zivilen und militärischen Führung blockiert." Über die Lage in dem an die Ukraine grenzenden Gebiet Rostow sagte er: "Sie bleibt schwierig."

Der Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, stellte sich an die Seite Putins und kündigte die Entsendung seiner Truppen an, um den Aufstand niederzuschlagen. Tschetschenische Kämpfer sind - wie bis vor kurzem die Wagner-Einheiten - an der Seite der regulären russischen Armee gegen die Ukraine im Einsatz. Der für seinen brutalen Führungsstil bekannte Kadyrow und Prigoschin gelten seit längerem als Kontrahenten.

ARD-Korrespondentin Ina Ruck berichtete, dass es mittlerweile sehr viele Hinweise gebe, "dass die russische Armee die Wagner-Söldnertruppen hier im Land bekämpft. Es soll möglicherweise sogar Luftschläge gegen sie gegeben haben auf dem Weg Richtung Moskau".

Dass Prigoschin jetzt den Machtkampf mit dem russischen Militär riskiert, "sieht für mich danach aus, dass er doch Verbündete irgendwo haben muss. Es müssen ja Leute in den Eliten sein, die ihn dazu zumindest ermuntert haben", so Ruck. Jene Unterstützer kämen aber bislang noch nicht aus der Deckung.

Als Reaktion auf Putins Rede erklärte Prigoschin, der Kremlchef täusche sich: "Niemand wird sich auf Verlangen des Präsidenten, des (russischen Geheimdienstes) FSB oder irgendjemand anderem ergeben", sagte er in einer Sprachnachricht im Onlinedienst Telegram.

Wie reagiert Kiew - und was heißt das für den Krieg gegen die Ukraine?

Nach Ansicht des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verdeutlicht der Aufstand die Schwäche der russischen Regierung. Je länger Russland Truppen und Söldner in der Ukraine halte, "desto mehr Chaos, Schmerz und Probleme wird es später für sich selbst haben".

Lange Zeit habe sich Russland der Propaganda bedient, "um seine Schwäche und die Dummheit seiner Regierung zu verschleiern. Und jetzt ist das Chaos so groß, dass keine Lüge es verbergen kann." Mit Blick auf Putins Angriffskrieg gegen sein Land sagte er: "Jeder, der den Weg des Bösen wählt, zerstört sich selbst."

ARD-Korrespondent Vassili Golod berichtete aus Kiew angesichts des Wagner-Aufstands von einem "vorsichtigen" Optimismus. "Alle verfolgen mit großem Interesse, was da in Russland passiert", sagte er. Es sei "auch offensichtlich, dass die Tatsache, dass Russland mit sich selbst beschäftigt ist, eine Chance für ukrainische Militäroperationen bietet." Trotz der Hoffnungen im Land werde aber weiter betont, dass man die Situation abwarten müsse, so Golod weiter. Russland führt seit 16 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine.

Wie reagiert die Bundesregierung - und was sagen die westlichen Verbündeten?

Die Entwicklung in Russland wird im Westen aufmerksam verfolgt. Bundeskanzler Olaf Scholz lässt sich nach Angaben eines Regierungssprechers "laufend unterrichten".

Im Auswärtigen Amt kam ein Krisenstab zusammen. Das Ministerium passte die Reise- und Sicherheitshinweise für Bundesbürger in Russland an. Dort heißt es nun, die betroffenen Gebiete und insbesondere die Stadt Rostow sowie deren Umland sollten gemieden werden. "In Moskau sollten staatliche, insbesondere militärische Einrichtungen weiträumig umgangen werden. Das Stadtzentrum sollte bis auf Weiteres gemieden werden."

Außenministerin Annalena Baerbock beriet nach Angaben ihres Hauses mit ihren Kollegen aus den anderen G7-Staaten über die Lage. Nach Angaben des Weißen Hauses telefonierte US-Präsident Joe Biden mit Scholz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Rishi Sunak. Die Staats- und Regierungschefs hätten über die Lage in Russland gesprochen und der Ukraine ihre ungebrochene Unterstützung zugesichert.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan telefonierte mit seinem russischen Kollegen Putin. Erdogan habe Putin aufgefordert, mit Vernunft zu handeln, erklärte das türkische Präsidialamt. Erdogan habe Putin mitgeteilt, dass die Türkei bereit sei, ihren Teil zu einer friedlichen Lösung der Situation beizutragen.

Zum Machtkampf in Russland sendet Das Erste heute einen Brennpunkt um 20:15 Uhr - direkt im Anschluss an die tagesschau.

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