Pride Month: Wie läuft heutzutage eigentlich ein Coming-out ab?

1 Jun 2023

„Ich saß da, ich hab geschwitzt. Die Angst war wirklich da. Man kennt ja nur die Horrorstorys“: Cel identifiziert sich als lesbisch, nicht binär, asexuell und demiromantisch. Im MADS-Interview berichtet Cel vom Coming-out gegenüber der Familie.

Pride Month - Figure 1
Foto mads.de

Cel ist 20 Jahre alt, Mitglied im queeren Jugendzentrum „Querunity“, identifiziert sich als lesbisch, nicht binär, asexuell und demiromantisch und benutzt das geschlechtsneutrale Pronomen dey.

Was bedeutet eigentlich …

nicht binär: Als nicht binär bezeichnen sich Menschen, die nicht ausschließlich in eine der beiden binären Geschlechterkategorien Mann und Frau fallen, sondern sich auf dem Spektrum der Geschlechtsidentitäten bewegen.

asexuell: Der Begriff bezeichnet Menschen, die keine oder wenig sexuelle Anziehung gegenüber anderen verspüren.

demiromantisch: Demiromantisch bezeichnet Personen, die erst romantische oder sexuelle Anziehung gegenüber einer anderen Person entwickeln, wenn eine emotionale Bindung vorliegt.

MADS: Wie ist dein Coming-out abgelaufen?

Cel: Das war am Esstisch, wo wir oft auch politische Themen besprechen. Ich meinte irgendwann: „Ich find‘ ja auch Frauen interessant.“ Das Outing bei der ganzen Familie war sehr spontan. Ich habe nicht realisiert, dass es ein Outing sein würde. Meine [jetzige] Ex war zum Wochenende da, und wir sind mit der Familie asiatisch essen gegangen. Vor Ort haben wir ein Gruppenfoto gemacht. Das Gruppenfoto ist in der Whatsapp-Gruppe gelandet, in der die ganze Familie ist. Zusammen mit den groben Worten: „Die Tante ist auch dabei und Cel mit der Freundin.“ Dadurch haben dann alle erfahren, dass Cel wohl nicht straight ist.

Was das Gender-Outing betrifft: Ich hab es mal erwähnt gehabt, weil bei meiner Familie auch gerne mal Trans-Thematiken aufkommen. Und dann kam es, dass ich gesagt habe: „Für mich ist Gender so: Ich sehe mich nicht wirklich als Frau.“ Ich habe auch Worte wie nonbinär erwähnt, aber damit konnten sie nichts anfangen. Dann habe ich es so erklärt: „Ich fühle kein Geschlecht. Ich bin einfach nur ich.“ Ich weiß nicht, ob die das heute noch auf dem Schirm haben.

Foto: Jakayla Toney/Unsplash

Wie hat deine Familie reagiert?

Bei dem Outing am Esstisch war meine Familie erst einmal ein bisschen skeptisch. Meine Familie ist katholisch und polnisch, kommt also ein bisschen aus diesem Ost-Religiösen. Aber nach einiger Zeit und nachdem man ein bisschen mehr darüber geredet hatte, sind sie inzwischen weirdly sehr accepting. Irgendwann habe ich auch gesagt: „So, ich hab jetzt eine Freundin“, und dann haben sie gesagt: „Oh cool, wann lernen wir sie kennen?“

Bei dem Outing in der Familiengruppe war ich nicht direkt dabei, weil ich zu dem Zeitpunkt kein Mitglied der Whatsapp-Gruppe war. Aber so, wie ich es von meiner Mutter gehört habe, haben alle sehr neutral reagiert. Es war auch ein bisschen dieser Schockmoment da, aber ich glaube nicht im negativen Sinne.

Wie hat dein soziales Umfeld reagiert?

Kommt darauf an. Der Hauptprozentanteil der Leute hat gesagt: „Okay, cool, mach, freut mich für dich.“ Die anderen wiederum waren so: „Hm, okay, aha.“ Also doch recht skeptisch und wiederum auf der neutral-negativen Seite. Meine derzeitige Freundesgruppe ist sehr accepting. Wenn die irgendwelche Fragen haben oder irgendetwas sagen, dann grätsche ich aber auch direkt dazwischen und sage „Komm, ich beantworte dir das“ oder „Oh, ich muss dich mal kurz aufklären, was das angeht“. Die freuen sich dann immer darüber, etwas zu erfahren und zu lernen. Ich bin ganz froh, da so einen Kreis um mich geformt zu haben.

Insgesamt fiel es mir wirklich schwer, die Worte herauszubekommen. Das war dieser Moment, in dem mir bewusst wurde: Jetzt geht es wirklich los.

Cel (20)

War es einfach für dich, dich zu outen?

Ich saß da, ich hab geschwitzt. Die Angst war wirklich da. Man kennt ja nur die Horrorstorys. Die schlimmsten Fälle von „du fliegst jetzt“ oder „wir akzeptieren dich nicht“ oder „wie wollen nichts mehr mit dir zu tun haben“. Das sind wirklich die Worst-Case-Szenarien. Da kann ich nur von Glück reden, was meine Familie angeht.

Insgesamt fiel es mir wirklich schwer, die Worte herauszubekommen. Das war dieser Moment, in dem mir bewusst wurde: Jetzt geht es wirklich los. Jetzt geht es wirklich an die Sache ran. Das ist jetzt nicht mehr nur eine Hypothese. Nein, das wird jetzt real.

Hast du Tipps für das Coming-out?

Was mich selbst beruhigt hatte, war, zu beobachten. Wenn Themen in der Richtung fielen, habe ich geguckt, wie die Leute reagieren. Was ich gut finde, ist, es vorzubereiten. Wie kann ich es verständlich erklären, sodass es auch ein kleines Kind verstehen könnte? Dadurch kann man auch Missverständnisse verhindern. Denn wenn man mit fremden Begriffen um die Ecke kommt, können Leute, die nicht in der Thematik drin sind, wenig mit damit anfangen. Deswegen hilft eine kleine Erklärung. Und dann kann man noch mal die eigene Sicht dazu erklären. Das kann ich auf jeden Fall empfehlen. Denn das bringt Verständnis untereinander, und dadurch kann auch eine offene Konversation entstehen. Und das finde ich persönlich wirklich wichtig.

Von Merle Pries

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