Bundesregierung: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht tritt zurück – Zehn Zeilen zum Abschied

16 Jan 2023

Berlin, Ulm Am Montagnachmittag sang Bundeskanzler Olaf Scholz noch einmal ein Loblied auf die Verteidigungsministerin. „Ich habe viele, viele Jahre gut und gerne mit Christine Lambrecht zusammengearbeitet“, sagte der Regierungschef bei einem Besuch des Rüstungskonzerns Hensoldt in Ulm.

Nach dem fürchterlichen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine habe sich Lambrecht „mit ungeheurem Einsatz darum gekümmert, dass jahrzehntelang ausgetrampelte Pfade verlassen werden und wir den großen Aufbruch hinbekommen, der für unsere Landesverteidigung wichtig ist, aber auch konkret für die Unterstützung der Ukraine“, sagte Scholz.

Nur Stunden zuvor hatte Lambrecht eine nicht mal zehn Zeilen lange Erklärung verbreiten lassen, die den Schlusspunkt hinter ihr unglückliches Agieren als Verteidigungsministerin setzt. Sie habe den Bundeskanzler um Entlassung gebeten, heißt es in dem Schreiben, welches das Ministerium am Montagmorgen verschickte.

Da war die Ressortchefin schon nicht mehr im Haus. Eine Pressekonferenz, bei der die Ministerin drängende Fragen hätte beantworten können, gab es nicht.

Mit dem offiziellen Rücktrittsgesuch, das Scholz annahm, endete eine schon seit Freitag dauernde Hängepartie. Nur wenige Stunden nach einem offiziellen Termin Lambrechts im Verteidigungsministerium hatte zuerst die „Bild“-Zeitung gemeldet, dass die Ministerin hinwerfen wolle.

„Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu“, heißt es in der kurzen schriftlichen Abschiedserklärung Lambrechts. Die wertvolle Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und der vielen motivierten Menschen im Geschäftsbereich müsse im Vordergrund stehen.

Eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger wurde zunächst noch nicht genannt. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte, der Kanzler werde dem Bundespräsidenten „zeitnah“ einen Personalvorschlag machen. Dabei sei ihm die Parität im Kabinett weiter wichtig.

Scholz hatte bei der Benennung seiner Regierungsmannschaft darauf geachtet, dass sie zur Hälfte aus Frauen und Männern besteht. Lambrecht sei weiter im Amt, bis sie ihre Entlassungsurkunde erhalte, erklärte ein Ministeriumssprecher.

US-Verteidigungsminister besucht Deutschland – nur wen er trifft, ist unklar

Auch wenn der Bundeskanzler schon länger von den Rücktrittsabsichten gewusst haben dürfte, war der Zeitpunkt, an dem sie publik wurden, doch denkbar ungünstig. Am Donnerstag wird US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Berlin erwartet.

Einen Tag später findet auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein das nächste Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe statt. Bis dahin muss die Bundesregierung klären, wie sie sich in der Frage von Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine positioniert. Will sie selbst liefern oder wenigstens Ländern wie Polen, die gerne Leopard-Panzer aus deutscher Produktion abgeben würden, nicht im Weg stehen?

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht tritt zurück

Schwer vorstellbar, mit einer Ministerin auf Abruf in diese wichtigen Treffen zu gehen. Scholz steht also unter Zeitdruck, schnell über die Nachfolge zu entscheiden. In die Suche nach geeigneten Kandidatinnen oder Kandidaten sind dabei nur der Kanzler selbst und die Partei- und Fraktionsspitze eingebunden, wie es aus SPD-Kreisen hieß. Zwar kursierten verschiedene Namen möglicher Nachfolgekandidaten, für die es am Montag aber noch keine Bestätigung gab.

Am Wochenende hatte es geheißen, dass Arbeitsminister Hubertus Heil Verteidigungsminister werden und die frühere Bundesjustizministerin Katarina Barley das Arbeitsressort übernehmen solle, was ein Regierungssprecher aber dementierte.

Wer folgt auf Lambrecht? Heil, Högl oder Klingbeil?

Heil trauen viele den Job zu. Allerdings könnte er auf dem Chefsessel des Verteidigungsministeriums, der vielen als Schleudersitz gilt, auch verlieren. Wenn der Dienst am Vaterland es verlange, werde er den Job wohl machen, aber er müsste dann ein Amt aufgeben, in dem er in der Vergangenheit geglänzt habe, hieß es aus SPD-Kreisen.

Als mögliche Nachfolgerin wird auch die Wehrbeauftragte Eva Högl genannt. Die 54-jährige frühere Innenexpertin der SPD-Fraktion gilt für manche als Topfavorit, da mit ihr als Frau die Parität im Bundeskabinett gewahrt würde.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und eventuelle Nachfolgerin Eva Högl Quelle: Reuters

Eva Högl (r.) bei einer Vereidigung von Soldaten im Bendlerblock gemeinsam mit Christine Lambrecht

Für manche ist Högl Topfavorit auf Lambrechts Nachfolge als Verteidigungsministerin.

(Foto:&#160Reuters)

Ein weiterer möglicher Kandidat ist SPD-Chef Lars Klingbeil. Der 44-Jährige kommt aus einer Soldatenfamilie und hat sich als Mitglied im Verteidigungsausschuss einen Namen gemacht. Gehandelt wurden aber auch die parlamentarischen Staatssekretäre im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller und Thomas Hitschler, Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt oder der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider.

Die Nachbesetzung von Lambrechts Posten erinnert an die Formierung von Scholz’ Regierungsteam im Dezember 2021. Damals waren die Namen auch erst bei der Präsentation der Ministerriege bekannt geworden, einige Kabinettsmitglieder sollen selbst sehr kurzfristig von ihrer Nominierung erfahren haben. Scholz selbst sagte in Ulm: „Ich weiß, wie es aus meiner Sicht weitergehen soll.“

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) äußerte „hohen Respekt“ vor Lambrechts Entscheidung: „Der Anspruch war da, die Bundeswehr zu reformieren“, sagte der Wirtschaftsminister beim Energie-Gipfel des Handelsblatts in Berlin. „Ich wünsche ihr einfach alles Gute und hoffe, dass der Schritt, den sie jetzt gegangen ist, so ein bisschen auch zu einem inneren Frieden führt.“

Der Vizekanzler sagte, er habe „hohen Respekt“ vor Lambrechts Entscheidung zum Rücktritt. Quelle: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt

Robert Habeck

Der Vizekanzler sagte, er habe „hohen Respekt“ vor Lambrechts Entscheidung zum Rücktritt.

(Foto:&#160Marc-Steffen Unger für Handelsblatt)

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sieht den Rücktritt Lambrechts dagegen als „notwendige Konsequenz aus ihrem politischen Handeln in diesem Amt“. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Florian Hahn (CSU), forderte eine schnelle Nachfolgeentscheidung, die nicht zuvorderst dem „SPD-Proporz“ gehorchen dürfe.

„Bei der Nachbesetzung müssen Affinität zur Truppe, hohe Einsatzbereitschaft und gewisse Vorerfahrungen die entscheidende Rolle spielen“, schrieb Hahn auf Twitter. „Eva Högl wäre beispielsweise geeignet.“ Der AfD-Verteidigungsexperte Rüdiger Lucassen wertete den Schritt Lambrechts als „eine krachende Niederlage für Bundeskanzler Olaf Scholz“.

Nach Einschätzung des Berliner Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer bedeutet der Rücktritt Lambrechts zumindest in einer Hinsicht aber auch eine Entlastung für den Bundeskanzler. Mit ihrem Abgang biete die Ministerin nun keine Angriffsfläche mehr für die Union, sagte Neugebauer dem Handelsblatt. Allerdings komme die Rückzugsentscheidung zu einem „schwierigen Zeitpunkt“. „Denn der Nachfolger oder die Nachfolgerin erbt gewachsene wie neue Probleme.“

Lambrecht soll nie gerne Verteidigungsministerin gewesen sein

Lambrecht, die nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass sie lieber Innenministerin geworden wäre, stand schon lange in der Kritik.

Neben den öffentlich gewordenen Patzern, wie dem Mitflug ihres Sohns in einem Regierungshelikopter, wird ihr in Berliner Regierungs- und Sicherheitskreisen vorgeworfen, nie ein richtiges Interesse für das Amt entwickelt zu haben. Außerdem habe sie nicht die Führungsstärke gezeigt, die erforderlich sei, um die „Zeitenwende“ auch im Verteidigungsministerium durchzusetzen.

>> Lesen Sie hier: Deutschland bereitet sich auf Leopard-Lieferung für die Ukraine vor

Zuletzt hatte die Ministerin, die in der Großen Koalition Justiz- und kurzzeitig auch Familienministerin war, mit einem auf Instagram veröffentlichten Video aus der Silvesternacht für Aufsehen gesorgt. Darin waren ihre Äußerungen, die sich auch um den Ukrainekrieg drehten, im Geheul der Silvesterraketen untergegangen. Im Ministerium war das Video offiziell als private Angelegenheit abgetan worden. Intern wurde es aber durchaus als große kommunikative Panne gesehen.

Zuletzt steckte die Verteidigungsministerin in der Ukraine-Politik in einer schwierigen Lage. Quelle: AP

Lambrecht beim Truppenbesuch

Zuletzt steckte die Verteidigungsministerin in der Ukraine-Politik in einer schwierigen Lage.

(Foto:&#160AP)

Lambrecht war aber zugleich in der schwierigen Situation, die als zögerlich empfundene Haltung von Kanzler Scholz bei den Panzerlieferungen an die Ukraine erklären zu müssen. Gleichzeitig sah sie sich in der eigenen Fraktion mit einer starken pazifistischen Strömung rund um Fraktionschef Rolf Mützenich konfrontiert, die auf Verhandlungslösungen in der Ukraine drängt und weitere Waffenlieferungen zumindest skeptisch sieht. Zudem war es für die Amtsführung sicher nicht immer einfach, dass Kanzler Scholz die von ihm ausgerufene Zeitenwende für die Bundeswehr auch als Chefsache sieht.

Am Freitag hatte die Verteidigungsministerin noch ihren letzten offiziellen Termin absolviert. Zusammen mit Generalinspekteur Eberhard Zorn und den Chefs der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann berichtete sie in ihrem Ministerium, wie es nach der jüngsten Pannenserie mit dem Schützenpanzer Puma weitergehen soll. Dieser habe eine Zukunft bei der Bundeswehr, sagte sie. Nur wenige Stunden nach dem Termin vermeldete die „Bild“-Zeitung dann die Rücktrittsabsicht. Und seit Montag ist auch offiziell klar, dass Lambrecht keine Zukunft mehr im Verteidigungsministerium hat.

Mehr: Das sind jetzt die Anwärter auf die Lambrecht-Nachfolge

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