Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt: der Mann, ohne den Olaf ...

Der wichtigste Mitarbeiter des deutschen Kanzlers bleibt lieber im Hintergrund – es sei denn, Olaf Scholz hat ein Problem

Olaf Scholz - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Wolfgang Schmidt ist der Chef des Bundeskanzleramts in Berlin. Das ist schon fast alles, was man über einen der einflussreichsten Politiker in Berlin weiss. Wer ist der Mann, dem der deutsche Kanzler seit mehr als 20 Jahren vertraut wie niemandem sonst?

Wolfgang Schmidt im Bundeskanzleramt in Berlin.

Florian Gaertner / Imago

Wolfgang Schmidt sitzt in einem Sessel in seinem Büro im Kanzleramt, hinter ihm hängen zwei Gemälde von Gerhard Richter an der Wand. Es sind Leihgaben eines privaten Sammlers. Warum man ausgerechnet ihn porträtieren wolle, fragt er. Er sei niemand Besonderes und wolle auch lieber im Hintergrund bleiben.

So spricht der Chef des Bundeskanzleramts, Bundesminister für besondere Aufgaben und Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes. Das ist eine enorme Machtfülle. Deshalb wirkt seine Aussage, dass er niemand Besonderes sei, wie Koketterie. Schmidt gilt als engster Vertrauter von Olaf Scholz. Er hat das Ohr des Regierungschefs und ist doch viel mehr als nur ein Vertrauter. Ohne Schmidt wäre Scholz nicht da, wo er ist. Er ist das «Human Interface» des Kanzlers, seine menschliche Schnittstelle, sein «Übersetzer» und sein Alter Ego. Schmidt ist für Scholz die politische Überlebensgarantie.

Wolfgang Schmidt ist bekannt dafür, dass er selbst spätabends noch mit Journalisten und Fachleuten kommuniziert, die etwas Kritisches über Scholz gesagt oder berichtet haben, um ihnen seine Sicht der Dinge darzulegen. Nicht jeder ist damit glücklich. Schmidt selbst hat seinen Job einmal mit dem eines Heinzelmännchens verglichen: «Nachts da zu sein, Unkraut zu jäten, Rasen zu mähen, damit am Tag betrachtet das Gesamtensemble gut aussieht. Denn wenn das Gesamtensemble gut aussieht, dann sieht die Regierung gut aus. Und dann sieht auch der Kanzler gut aus.»

Er erklärt die Politik des Kanzlers

An einem Morgen Mitte Februar wird klar, warum viele Schmidt eine solche Bedeutung zumessen im Hinblick auf den Kanzler. In einem Saal in Berlin-Charlottenburg stehen runde Tische, daran sitzen vor allem Männer in dunklen Anzügen. Es riecht nach Kaffee. Kellner reichen Brötchen und Croissants. Ein Fotograf huscht umher.

Der Unternehmerverband der Hauptstadt hat zum Frühstück mit Vortrag gebeten. Die Presse, heisst es, sei gern eingeladen, über die Veranstaltung zu berichten. Sie freue sich, sagt die Verbandsvorsitzende auf der Bühne, «den Chef des Bundeskanzleramts und Minister für besondere Aufgaben, Wolfgang Schmidt», als Gast und Redner begrüssen zu können.

Der 53-Jährige tritt ans Rednerpult, weisses Hemd, rote Krawatte, schwarzer, etwas weiter Anzug. Niemand, der auffallen würde, wenn man nicht wüsste, dass er zum engsten Kreis der Macht im Land gehört. Die «TAZ» nannte ihn einmal den «Mann ohne Gesichtserkennung». Schmidt zieht einen Zettel aus dem Jackett und tut das, womit sich Olaf Scholz öffentlich oft schwertut. Er erklärt die Politik des Kanzlers, so dass es die Zuhörer verstehen. «Es ist ja ein bisschen was los, wie man bei uns in Norddeutschland sagt», beginnt Schmidt.

Schmidt stammt aus Rahlstedt-Oldenfelde, einem Stadtteil von Hamburg. Die Mutter war Lehrerin, der Vater Richter. Nach dem Abitur – wie Olaf Scholz in Rahlstedt – studierte er Rechtswissenschaften und legte elf Jahre nach Beginn des Studiums die zweite Staatsprüfung ab. Schmidt ist eingefleischter Anhänger des FC St. Pauli. Er hat eine Dauerkarte, Stehplatz im Fanblock. Das Domizil nahe der Reeperbahn, die alternative Szene, Antikapitalismus, Antifa, Antirassismus – das sind Markenzeichen des Hamburger Kultklubs. St. Pauli hat in dieser Saison gute Chancen, in die erste Bundesliga aufzusteigen.

Nichts weniger als der dritte Weltkrieg

Von der Bühne bei den Berliner Unternehmern referiert Schmidt zunächst über die wirtschaftliche Lage in Deutschland, die seiner Ansicht nach allmählich besser werde. Dann spricht er über den Ukraine-Krieg und wird deutlich. Es sei gut, sagt er, dass es «ein paar Führer in der Welt» gebe, die das «nicht so spielerisch machen». Die Zeitungskommentatoren wüssten immer genau, was zu tun sei. Sie seien aber nicht diejenigen, die im Geschichtsbuch als die Auslöser des dritten Weltkriegs landeten. «Da habe ich manchmal das Gefühl, diese Talkshow-Strategen machen es sich manchmal etwas leicht, weil die Dimension dessen, was die Konsequenz sein kann, sehr viel grösser ist.»

Zeitungskommentatoren und Talkshow-Strategen – das kann man als Seitenhieb auf all jene Journalisten, Wissenschafter und Politiker verstehen, die etwa eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine fordern. Scholz lehnt das ab, weil sich Deutschland sonst direkt am Krieg beteilige. Ob das wirklich so wäre, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Völkerrechtler halten diese Annahme für unbegründet. Doch Schmidt tut das, was er tut, seitdem er und Scholz vor 22 Jahren ihre gemeinsame Karriere begannen: Wie ein Prätorianer wirft er sich öffentlich vor den Kanzler und verteidigt ihn gegen seine Kritiker. Woher kommt diese Hingabe?

Man muss von Berlin nach Hamburg fahren, um eine Antwort darauf zu finden. In der Hansestadt kann man einen langjährigen Weggefährten von Scholz und Schmidt treffen, der nicht namentlich genannt werden möchte. Er kennt die beiden, seitdem sie zu dritt in der SPD Hamburg aufgestiegen sind. «Ich werde Ihnen über Wolfgang nichts Negatives erzählen können», hatte er am Telefon zuvor gemahnt und gefragt, ob sich die Fahrt da überhaupt lohne. Sie lohnt sich.

«Ja, der Wolfgang also», sagt der Mann und wählt die Worte mit Bedacht. Klug sei er, witzig, immer gut gelaunt und optimistisch, zugewandt, ein Menschenfänger, der die Leute im wahrsten Sinne des Wortes umarme, zudem ein treffsicherer Stürmer, damals beim Fussball mit Studienfreunden im Stadtpark oder auf der Moorweide in Hamburg. «Der Wolfgang», sagt der Wegbegleiter, habe viele Freunde. Und Scholz? «Kann man mit Olaf befreundet sein?», sagt er. Eine rhetorische Frage. «Nein, mit ihm ist man nicht befreundet.»

Antiimperialistischer Klassenkampf

Es gibt zwischen Scholz und Schmidt aber auch einige Gemeinsamkeiten. Beide hatten Führungsfunktionen in der «International Union of Socialist Youth», der Jugendorganisation der sozialistischen Internationale, und sassen im Bundesvorstand der Jusos, dem traditionell sehr linken Jugendverband der SPD. Scholz besuchte damals mehrfach auch auf Einladung der Staatsführung die DDR. Schmidt hielt sich länger in Nicaragua auf.

Eine gemeinsame Jugend im antiimperialistischen Klassenkampf kann zwei Menschen verbinden. Doch bei Scholz und Schmidt, sagt der Wegbegleiter, sei neben den sozialistischen Träumereien junger Jahre noch etwas anderes hinzugetreten. Es sei die Erkenntnis, füreinander geschaffen zu sein: Scholz, der zwölf Jahre ältere, aber schüchterne, eher steife und verschlossene Teil des Duos, dem jedes öffentliche Wort zu viel zu sein scheint, und Schmidt, der andere Teil, offen, beredt, charmant und gewinnend. Beide «Jungs aus Rahlstedt» profitierten voneinander.

Randalierer bewerfen Polizeikräfte auf dem G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg.

Fabrizio Bensch / Reuters

Schmidt und Scholz hatten gemeinsam schon einige Bewährungsproben zu bestehen. Als der G-20-Gipfel 2017 in Hamburg in Krawall und Chaos mündete, war Schmidt Staatsrat und Gipfel-Koordinator, Scholz war Erster Bürgermeister der Hansestadt. Beide trugen massgeblich die politische Verantwortung für das Desaster. Die Christlichdemokraten warfen Scholz anschliessend vor, die Sicherheitslage völlig falsch eingeschätzt zu haben. Scholz hatte vor dem Gipfel noch darauf verwiesen, dass Hamburg jährlich den Hafengeburtstag ausrichte, und damit angedeutet, dass alles nicht so schlimm werden würde wie befürchtet.

Cum-Ex als Bewährungsprobe

Dann kam der Cum-Ex-Fall. Die Opposition in der Hansestadt wirft dem damaligen Ersten Bürgermeister Scholz (und seinem Nachfolger und damaligem Finanzsenator Peter Tschentscher) vor, die Finanzbehörden Hamburgs dazu gebracht zu haben, millionenschwere Steuerforderungen gegen die Warburg-Bank wegen krimineller Geschäfte fallen gelassen zu haben. Scholz bestreitet jede politische Einflussnahme auf das damalige Steuerverfahren, zieht sich zugleich aber auf Erinnerungslücken zurück, wenn es um die Inhalte der erst durch Tagebucheinträge bekannt gewordenen drei Treffen mit dem Warburg-Banker Christian Olearius geht.

Scholz war bereits Bundesfinanzminister in der letzten Regierung Merkel und Schmidt sein beamteter Staatssekretär, als der Cum-Ex-Skandal ins Rollen kam. Die Bürgerschaft in Hamburg richtete einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein, in dem Scholz und Schmidt aussagen mussten. Zu jener Zeit schon tauschte sich Schmidt intensiv mit Journalisten aus. Die bewerten dieses Vorgehen unterschiedlich. Die einen halten es für legitim, dass Schmidt auf sachliche Fehler der Berichterstattung hinweist. Es ist nun einmal sein Job, Medienarbeit für Scholz zu machen. Andere finden, dass er dabei durchaus nerven kann.

Der Fall Cum-Ex ist für Schmidt und Scholz noch nicht ausgestanden. Sowohl Union als auch AfD und Linke fordern, der Bundestag solle einen Untersuchungsausschuss zur Rolle von Scholz und Schmidt im Cum-Ex-Fall der Warburg-Bank einrichten. Bis jetzt scheitert das Vorhaben an SPD, Grünen und FDP, die einen solchen Ausschuss als verfassungswidrig ansehen, weil es bereits einen Untersuchungsausschuss in Hamburg gebe und es sich nicht um eine Bundesangelegenheit handele.

Die Union hat gegen die Weigerungshaltung der Koalition vor dem Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht. Ein Termin für die mündliche Verhandlung steht noch nicht fest. Mehrfach haben Oppositionsvertreter erklärt, dass sie in einem Untersuchungsausschuss besonders Wolfgang Schmidt ins Visier nehmen wollten. Er sei, sagt etwa der christlichdemokratische Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer, «eine zentrale Figur im System Scholz».

Juristischer Ärger

Man kann das als politisches Gerangel abtun. Fakt aber ist, dass Schmidt einige Male juristischen Ärger hatte, den er zur Verteidigung von Scholz in Kauf zu nehmen scheint. So hatte sich das Kanzleramt – Schmidt war zu diesem Zeitpunkt schon Kanzleramtschef – etwa geweigert, dem «Tagesspiegel» darüber Auskunft zu geben, ob Schmidt kurz nach seiner Aussage im Hamburger Untersuchungsausschuss Ende September 2022 einen Journalisten informiert hatte. Im Raum stand auch die Frage, ob Schmidt dabei verlangt habe, im Falle eines Berichts nicht als Informant genannt zu werden.

Das Verwaltungsgericht Berlin verfügte im März 2023, dass das Kanzleramt dem «Tagesspiegel» Auskunft erteilen müsse. In der Begründung hiess es, es gehe um eine «mögliche Einflussnahme des Staates, und zwar eines amtierenden Mitglieds der Bundesregierung, auf Berichterstattung von Medien». Das könnte die in der Demokratie hoch bedeutsame Vermittlungs- und Kontrollfunktion der Medien beeinträchtigen.

Im Juni 2023 kassierte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg jedoch die Entscheidung und gab einem Einspruch des Kanzleramtes recht. Die Fragen des «Tagesspiegels» hätten sich nicht auf tatsächlich vorhandene, amtliche Informationen bezogen, zu denen das Kanzleramt auskunftspflichtig wäre, argumentierte das Gericht. Anders gesagt: Nicht jedes Gespräch Schmidts mit Journalisten muss zu seinen Amtsgeschäften gehören. Daher ist er auch nicht zwingend zur Auskunft darüber verpflichtet.

Ein weiterer juristischer Fall datiert vom Spätsommer 2021. Kurz vor der Bundestagswahl kam es zu einer Durchsuchung in dem damals von Scholz geführten Finanzministerium. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelte gegen Mitarbeiter der beim Zoll angesiedelten Geldwäsche-Einheit FIU. Kurzzeitig konnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass sich die Untersuchungen auch gegen den Minister und damaligen Kanzlerkandidaten Scholz richteten.

Rechtsverstoss in Kauf genommen?

Schmidts Reaktion darauf zeigt, wie er seinen Job versteht. Er twitterte einen Auszug des Durchsuchungsbeschlusses, um zu belegen, dass gegen Scholz persönlich nicht ermittelt werde. Die Veröffentlichung von amtlichen Dokumenten aus laufenden Strafverfahren ist aber in Deutschland verboten, «wenn sie ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitgeteilt werden, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist». Damit soll eine Einflussnahme auf noch laufende Strafverfahren begrenzt werden.

Die Berliner Staatsanwaltschaft eröffnete aus diesem Grund ein Strafverfahren gegen Schmidt, stellte es allerdings im Dezember 2021 ein. Schmidt musste eine Geldbusse in Höhe von 5000 Euro an zwei gemeinnützige Einrichtungen zahlen. Kurz darauf hat er als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts im Bundestag seinen Amtseid abgelegt.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (vordere Reihe rechts) im Kreise seiner Kabinettskollegen, unter ihnen der Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (hintere Reihe rechts), am 20. März 2024 in der Regierungsbank des Bundestags.

Imago

Schmidt hat einmal die deutsche Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine als «pubertär, getrieben von Hormonschüben und Unreife» bezeichnet. Das waren harte Worte, die auch in Richtung der Grünen und der FDP zu zielen schienen. Die beiden Parteien fordern seit langem eine entschiedenere Unterstützung für die um ihre Existenz kämpfende Ukraine.

Schuld sind Grüne und FDP

Schmidts Sicht auf Grüne und Liberale wird an jenem Februarmorgen bei den Berliner Unternehmern deutlich. Ja, sagt er, es gebe sehr viel Streit in der Regierung. Aber das liege zum einen daran, dass es gerade um «richtig was geht», etwa um die Rolle des Staates, Steuern, Schulden, um Krieg und Frieden. Zum anderen hätten erstmals drei sehr unterschiedliche Parteien eine Koalition eingehen müssen. Daran müssten sich alle erst noch gewöhnen, vor allem aber Grüne und FDP. Der Streit in der Regierung werde daher nie ganz weggehen. «Ist nicht ein Teil dessen, was beschrieben wird, auch die Auseinandersetzung zwischen Grünen und FDP, weil sie eben wirklich so ideologisch unterschiedlich sind?», fragt Schmidt.

Man kann das so verstehen: Die anderen sind schuld an der schlechten Performance der Regierung, nicht die SPD, nicht Scholz, nicht Schmidt. Es gibt einen Politiker in Berlin, der den Kanzleramtschef für einen gnadenlos berechnenden Menschen hält. Er gehört der Opposition an und kennt Schmidt seit mehr als zehn Jahren. Schmidt bauchpinsele die Leute, sagt dieser Mann. Sie merkten gar nicht, wie er sie mit Leim einstreiche und festklebe. Wie ein «Machtabsicherungsapologet» ziehe er einen Schutzwall um Scholz, intransparent und unkontrollierbar.

Eine der wichtigsten politischen Aufgaben des Kanzleramtschefs ist es, dafür zu sorgen, dass die Regierungskoalition funktioniert. Schmidt aber, so sagt es der langjährige sozialdemokratische Weggefährte aus Hamburg, gehe es nicht darum, dass Grüne und Liberale neben Scholz gut dastünden. Ihm gehe es darum, dass Scholz gut dastehe.

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