DFB unter Zugzwang: Nagelsmann verdient einen neuen Vertrag

Julian Nagelsmann

Julian Nagelsmanns Initiativbewerbung vor dem Spiel gegen Frankreich für einen Vertrag nach der EM hatte zunächst sehr nach dem Wunsch der Rückkehr vom Verband zum Verein geklungen. Der Bundestrainer beklagte die mangelnde Trainingszeit. Doch die wenigen Tage danach nutzten Nagelsmann und sein Team ideal, wie das formidable 2:0 in Frankreich samt einstudiertem Acht-Sekunden-Tor offenbarte.

Auch die Winterpause nach den Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich hat zu Ideen geführt, die sich als gewinnbringend erwiesen, allen voran Toni Kroos‘ Rückkehr. Die klugen Kompositionen um den Taktgeber lassen hoffen, dass nach langer Experimentierphase eine Grundordnung gefunden worden ist, damit Fußball-Europa im Sommer nicht zu Gast bei Verlierern weilt. Nagelsmann könnte die Potentiale, die der deutsche Fußball immer noch besitzt, rechtzeitig vor dem EM-Start freigelegt haben. Die Veränderungen bieten ein erfolgversprechenderes Gerüst.

Nur ein Anfang

Auch die Eingriffe des Bundestrainers abseits der Aufstellung wirkten. Wer die Selbstverständlichkeit der Leverkusener Wirtz, Andrich und Jonathan Tah, das Selbstvertrauen des Stuttgarter Debütanten Maximilian Mittelstädt und das Selbstbewusstsein des Premier-League-Tabellenführers Kai Havertz sah, erkannte das „Momentum“. Die Rollenverteilung in Stammspieler und Herausforderer half, Nagelsmanns Spaß-Anordnung umzusetzen.

Doch der Sieg von Lyon ist nur ein Anfang, wenn auch ein zauberhafter. Nach dem 2:1 über Frankreich im Rudi-Völler-Spiel nach der Trennung von Hansi Flick herrschte ähnliche Begeisterung. Der graue November kam schnell. Auch im Frühjahr kann die rosarote Fußballwelt schon an diesem Dienstag wieder düsterer aussehen, falls es gegen die Niederlande im neuen pinken Trikot schlecht liefe (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Nationalmannschaft und bei RTL).

Darüber hinaus drohen störende Ablenkungen. Die Aufregung um den Wechsel des Ausrüsters von Adidas zu Nike wird sich zwar legen. Doch die unsichere Zukunft der Führung der ersten Mannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erfordert zügig Antworten.

Die Verträge von Sportdirektor Völler und von Nagelsmann laufen bis kurz nach der EM. Seit der Bundestrainer öffentlich über seine Situation sprach, wabert das Thema. Selbst wenn Druckaufbau nach eigener Aussage nicht Nagelsmanns Intention war, so ist der Handlungsdruck doch eingetreten.

Personalie Nagelsmann drängt

DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Geschäftsführer Andreas Rettig tun gut daran, wie angekündigt die Zeit zur EM-Nominierung zu nutzen, um Klarheit und Ruhe zu schaffen. Wie sehr ungeklärte Themen belasten, zeigte der Umgang mit der „One Love“-Binde bei der in den Sand gesetzten WM in Qatar.

Die Personalie Völler ist recht simpel zu lösen, so ohne Zeitdruck und Alternativjob, die Lage beim Trainer drängender und komplexer. Die Optionen für eine Entscheidung vor dem Turnier sind, ohne zu wissen, wie es endet, nicht optimal.

Dennoch ist, da Neuendorf, Rettig und Völler so überzeugt sind von Nagelsmann, ein neues Vertragsangebot jetzt die richtige Wahl – ohne EM-Erfolgsklausel. Denn die birgt, falls sie kommuniziert würde, die Gefahr von Unruhe während des Turniers wie bei Handball-Bundestrainer Alfreð Gíslason. Es ist an der Zeit, dass die DFB-Spitze genauso mutig handelt wie ihr Wunschtrainer Nagelsmann im Winter.

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