Wie Deutschland in die Zukunft investiert

25 Mär 2024
Deutschland

Die Verteilungskonflikte in Deutschland haben begonnen. Das wird nicht nur in der öffentlichen Debatte deutlich, in der Themen wie die Höhe von Sozialleistungen oder der Zugang zu günstigem Wohnraum eine immer wichtigere Rolle spielen. Auch in der Politik ist der Kampf um die schwindende Ressource Geld angekommen. Hier drückt er sich vor allem in einer entscheidenden Haushaltsfrage aus: Woher soll das Geld kommen, das in die Zukunft der Bundesrepublik gesteckt werden muss - in Infrastruktur, Bildung, Wirtschaft, Wissenschaft und Verteidigung?

Sparer oder Schuldner - wer hat recht?

In der Debatte streiten sich zwei Lager: die Sparer und die Schuldner. Beide sind sich einig, dass schnelle und massive Zukunftsinvestitionen unumgänglich sind, um Wohlstandsverluste in der Bundesrepublik zu vermeiden. Sie unterscheiden sich lediglich in der Frage der Finanzierung. Während die Sparer das Geld bereitstellen wollen, indem an anderen Enden gespart wird, wollen die Schuldner neue Schulden aufnehmen.

Wie ein Kompromiss aussehen könnte, hat das Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) skizziert. Ein solcher Kompromiss muss zwei Seiten haben. Auf der einen Seite steht die Schuldenbremse. Die ZEW-Forscher schlagen vor, die Möglichkeit einer Ausweitung der Neuverschuldung in Betracht zu ziehen, solange diese an strikte Kriterien der Zukunftsorientierung gebunden wird. Dafür haben die Wissenschaftler die sogenannte Zukunftsquote entwickelt, die den Anteil der zukunftsorientierten Staatsausgaben am Bundeshaushalt misst. Zu diesen Ausgaben gehören unter anderem Investitionen in die wachstumsrelevante Infrastruktur, in technisches Wissen oder in die Aus- und Weiterbildung der Bürger. Nach ZEW-Angaben lag die Zukunftsquote der Bundesrepublik im Jahr 2023 bei 20 Prozent. Mit anderen Worten: Vergangenes Jahr ist jeder fünfte Euro aus dem Bundeshaushalt in eine Zukunftsinvestition geflossen. Obwohl dies ein Rückgang um 0,4 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr bedeutet, ist der mittelfristige Trend erfreulich. Im Jahr 2019 lag die Zukunftsquote bei 19,3 Prozent, im Jahr davor sogar deutlich unter 19 Prozent. In der Corona-Pandemie sackte die Quote stark ab und erreichte im Jahr 2021 einen Wert von nur 18,2 Prozent. Dies war vor allem den umfangreichen Hilfspaketen zur Stützung der Privathaushalte und der deutschen Wirtschaft geschuldet, die nahezu vollständig aus Konsumausgaben und Gegenwartsinvestitionen bestanden.

Warum die Zukunftsquote einen Haken hat

Wie sind diese Zahlen zu bewerten? „20 Prozent sind für sich genommen nicht schlecht. Es kommt jetzt darauf an, das Geld noch zielgenauer einzusetzen, um die Wirkung zu steigern“, sagte Friedrich Heinemann, der am ZEW den Forschungsbereich Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft leitet. Problematisch ist dabei vor allem eine Sache: Die relativ hohe Zukunftsquote liegt nicht am Kernhaushalt, sondern an den in den vergangenen Jahren eingerichteten Sondervermögen. Nach ZEW-Berechnungen erreichte der Klima- und Transformationsfonds 2023 eine Zukunftsquote von 65,8 Prozent und der Fonds Digitale Infrastruktur sogar 81,3 Prozent. Selbst die Sondervermögen für die Bundeswehr und die Aufbauhilfe nach dem Hochwasser im Jahr 2021 lagen mit 48,4 und 44,0 Prozent noch deutlich über dem Durchschnitt des Kernhaushalts. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Zukunftsquote absackt, sobald die Sondervermögen auslaufen, es sei denn, es wird gegengesteuert - und zwar im Kernhaushalt, der an sich nämlich alles andere als zukunftsorientiert ist.

Damit kommt die zweite Seite des Kompromisses: Selbst wenn die Schuldenbremse gelockert wird, wird es ohne Einsparungen insbesondere im Sozialetat nicht gehen. Denn „angesichts des Drucks der Rentenkosten im Bundeshaushalt und der jüngsten Entscheidung über höhere Rentenleistungen in der Zukunft“ werde es nicht leicht, das derzeitige Niveau zu halten, sagte Friedrich Heinemann der „Schwäbischen Zeitung“. „Im Kernhaushalt ist es sehr schwer, die Zukunftsinteressen gegen die Interessen von Rentnern, Bürgergeldempfängern und Beamten zu verteidigen.“ Daher könnten die Sozialausgaben die Zukunftsausgaben weiter verdrängen. Schon heute liegen die Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme einschließlich Familie, Jugend, Arbeitsmarkt und Gesundheit bei weit über 50 Prozent, wie aus Daten des Bundesfinanzministeriums zum Bundeshaushalt hervorgeht.

Höhere Verschuldung wegen Zinsproblem problematisch

Mit steigenden Schulden kommen steigende Zinskosten hinzu, die den Spielraum zukünftiger Haushalte weiter beschränken. Die sogenannte Zinsausgabenquote, also der Anteil des Bundeshaushalts, der für Schuldzinsen ausgegeben werden muss, lag im Jahr 2023 bei rund 8,2 Prozent, wie aus dem vorläufigen Abschluss des Bundeshaushalts 2023 hervorgeht, den das Bundesfinanzministerium im Januar 2024 veröffentlichte. Mit anderen Worten: Schon heute geht knapp jeder zehnte Euro für Schulden aus der Vergangenheit drauf. „Eine Erhöhung der Verschuldungsgrenzen“ ist deshalb „mit äußerster Vorsicht und auch Skepsis zu betrachten“, sagte ZEW-Experte Heinemann. „Politiker argumentieren viel zu oft, dass sich bestimmte Maßnahmen über ihre Wachstumseffekte selber finanzieren. In der Realität dürfte das selten der Fall sein.“

Vorsicht vor Manipulationsversuchen

Deshalb raten Heinemann und seine Kollegen zwar zu einer Nutzung der Zukunftsquote zur effektiveren Bewertung des Bundeshaushalts, warnen aber zugleich vor ihrer politischen Instrumentalisierung: Denn es sei mit „Manipulationsversuchen in der Verbuchung von Ausgabeprogrammen zu rechnen, um eine höhere Zukunftsquote darstellen zu können“, heißt es in der ZEW-Studie. Aufseiten der Haushaltskontrolle durch Parlamente und Rechnungshöfe sei daher „eine besondere Wachsamkeit geboten“.

Wie solche Manipulationsversuche aussehen könnten, erläuterte Friedrich Heinemann an einem Beispiel: „Wenn es über ein zielgenaues Programm gelingt, Schulabbrecherquoten zu senken, dann kann das über ein ganzes Erwerbsleben hinweg dramatisch positive Effekte auf Einkommen und Steuerzahlungen haben“, so Heinemann. Ein solches Programm dürfe durchaus schuldenfinanziert werden. „Eine einfache Erhöhung von Lehrergehältern darf hingegen keineswegs schuldenfinanziert werden“, da höhere Gehälter für sich genommen nicht die Schulleistungen verbesserten. In einer solchen Konstellation ist es durchaus vorstellbar, dass eine Bundesregierung versucht, der Öffentlichkeit Lohnerhöhungen im Bildungswesen als Zukunftsinvestition zu verkaufen.

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