BMW-Chef Zipse: „Die Deindustrialisierung in Deutschland nimmt ...

Eigentlich könnte Oliver Zipse hochzufrieden sein mit dem Geschäft von BMW . Das ist der Vorstandsvorsitzende des Münchner Dax-Konzerns auch, hat er doch gerade erst vor zwei Tagen die Gewinnprognose erhöht. Und trotzdem macht sich Zipse Sorgen um die Zukunft. Dazu spannt er den Bogen allerdings weit über die Bayerischen Motorenwerke und die Au­tomobilindustrie hinaus. „Die Dein­dus­trialisierung in Deutschland nimmt schleichend Fahrt auf“, sagte Zipse am Donnerstag in der Pressekonferenz zu den Halbjahreszahlen von BMW. „Wir sehen das schon jetzt im Mittelstand, wo die Zahl der Insolvenzanmeldungen in diesem Jahr um 16 Prozent zugenommen hat.“

Zipse sprach die lange Liste jener Themen an, die in der heimischen Industrie oft heruntergeleiert wird, angefangen von den teuren Energiekosten, über die lähmende Bürokratie bis hin zum andauernden Fachkräftemangel. All das treffe BMW jetzt nicht direkt, sagte Zipse, aber „viele Zulieferer spielen mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen.“ Und so ist ein Großkonzern wie BMW, der auf ein funktionierendes Lieferantennetzwerk und einen wettbewerbsfähigen Mittelstand angewiesen ist, indirekt dann doch betroffen.

„Anhaltend gute Auftragslage“

Zipse schlug die kritischen Töne an, die in der Wirtschaft seit einigen Wochen immer lauter zu vernehmen sind. Vor allem der Unmut über die Energiepolitik der Bundesregierung ist unter deutschen Wirtschaftsvertretern groß. Ein fehlendes Gesamtkonzept wird zunehmend als Bedrohung für den Standort Deutschland gesehen. In diese Debatte hatte sich Ende Juni bereits der BMW-Großaktionär Stefan Quandt eingemischt: Man werde die Herausforderungen der Zukunft nur dann bewältigen, wenn die Politik nicht Lösungen vorgebe, sondern lediglich Leitplanken festlege, innerhalb derer sie Unternehmern Freiraum für Gestaltung und Ei­genverantwortung gebe, hatte Quandt, der auch Aufsichtsratsmitglied der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH ist, erklärt.

Die mahnenden Worte von BMW-Chef Zipse waren am Donnerstag deswegen nur insofern überraschend, da er für das eigene Automobilgeschäft eigentlich den Optimismus seines Mercedes-Kollegen Ola Källenius teilt. Denn wie der Konkurrent aus Stuttgart blicken auch die Münchner einigermaßen gelassen auf den Rest eines konjunkturell womöglich schwieriger werdenden Jahres. Der Konzern veröffentlichte bereits zwei Tage vor dem Halbjahresbericht eine Pflichtmitteilung, in der er die Prognose anhob – gestützt auf eine „anhaltend gute Auftragslage“ sowie „die voraussichtlich bessere Verfügbarkeit seiner Premiumfahrzeuge“, wie es hieß.

Noch vor wenigen Monaten litt BMW wie andere Autohersteller wegen der Auswirkungen der Corona-Krise unter der fehlenden Teileversorgung aus China. Inzwischen hat sich die Lage deutlich entspannt. Vor allem die Versorgung mit den so dringend benötigten Mikrochips ist besser geworden. Auch im zweiten Halbjahr sei daher „eine positive Geschäftsentwicklung“ zu erwarten. So soll der Absatz den Vorjahreswert von 2,4 Millionen Fahrzeugen um 5 bis 10 Prozent übertreffen, und die opera­tive Gewinnmarge vor Zinsen und Steuern soll jetzt 9 bis 10,5 Prozent statt 8 bis 10 Prozent erreichen. Nur eitel Sonnenschein im eigenen Zahlenwerk macht der Vorstand indes nicht aus. Der neue Finanzvorstand Walter Mertl erklärte, dass noch mit Belastungen aus Zahlungen an Lieferanten wegen hoher Inflation und zur Stützung der Lieferketten gerechnet werde. Außerdem machte er Gegenwind durch Währungen und Rohstoffpreise aus. In Summe dürften es 300 Millionen Euro mehr sein als im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, sagte Mertl.

An der Börse büßte die BMW-Aktie zwischenzeitlich gut 2 Prozent ihres Wertes ein. Auch das war überraschend, nachdem der Titel bereits am Tag der veröffentlichten Prognoseanhebung 6 Prozent verloren hatte. Ein Grund für die Kursverluste am Dienstag war, dass der BMW-Vorstand mit einem niedrigeren Mittelzufluss rechnet. Am Donnerstag sagte ein Analyst, die Details zum zweiten Quartal erschienen zwar solide, der Ausblick bliebe aber verwirrend.

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