Deutschland: Jordanische IT-Expertin: German Angst als ...

Fachkräftemangel Jordanische IT-Expertin: German Angst als Standortvorteil

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Foto Capital - Wirtschaft ist Gesellschaft

Sewar Khalifeh möchte einen Beitrag zur Digitalisierung in Deutschland leisten

© privat

von Otis Schaffeld

24.03.2024, 12:00 3 Min.

Viele Menschen sehen in Deutschland nur noch Probleme. Sewar Khalifeh kommt aus Jordanien und hat sich als IT-Fachkraft bewusst für dieses Land entschieden. Sie erklärt, warum sie noch hier ist

22.03.2024

Sewar Khalifeh hat in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, an der Princess Sumaya University for Technology studiert und lebt seit 2023 in Deutschland. Sie arbeitet als Secure-by-Design-Consultant im Düsseldorfer Unternehmen Cloudyrion, das auf Cyber-Sicherheit spezialisiert ist

Als Sewar Khalifeh nach Deutschland einreist, macht ein dicker Stapel offizieller Dokumente ihren Koffer unnötig schwer. Noch heute, Monate nach ihrem Umzug, steht er bei ihr zu Hause auf dem Schreibtisch – aus Angst, die Behörden könnten eine Bescheinigung oder ein Zeugnis nachfordern. Man weiß ja nie.

Die Deutschen hängen an ihren bürokratischen Regeln, merkt Sewar Khalifeh schnell. Doch das stört die 25-Jährige nicht. Sie hat sich bewusst für Deutschland und all seine detailverliebten Regeln entschieden. 

Khalifeh hat in Jordanien Informatik studiert und arbeitet seit September vergangenen Jahres in dem Düsseldorfer Beratungsunternehmen Cloudyrion, das auf Cyber-Sicherheit spezialisiert ist. Ginge es nach der Bundesregierung, würden mehr Menschen wie sie den Weg nach Deutschland finden. Doch Leute wie Khalifeh zu finden, ist schwierig.

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Denn im Gegensatz zu ihr hadern viele Expats mit dem deutschen Naturell. Expats steht für Expatriate und meint eine Person, die in einem fremden Land lebt. Ein Report des Expat-Netzwerks InterNations zeigt, dass Deutschland zu den unbeliebtesten Ländern für Ausländerinnen und Ausländer zum Arbeiten gehört. Lediglich vier der 53 betrachteten Gastgeberländer sind noch unbeliebter. Die häufigsten Kritikpunkte an Deutschland: Fehlende Freundlichkeit, die Sprachbarriere und soziale Isolation. Dazu gesellen sich eine schleppende Digitalisierung und die undurchsichtige Bürokratie.

Die Bundesregierung versucht gegenzusteuern: Erst Mitte 2023 wurde das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. Fach- und Arbeitskräften soll der Weg nach Deutschland und der Start in die Erwerbstätigkeit hierzulande vereinfacht werden. Insgesamt fehlen laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft aus dem Februar 123.000 Fachkräfte in Digitalisierungsberufen – Tendenz steigend. Insbesondere hochqualifizierte Spezialistinnen und Spezialisten seien in Zukunft in der Branche Mangelware. 

Große Sicherheit und Datenschutz in Deutschland

Die Bemühungen, Digital-Expertinnen und -Experten von Deutschland zu überzeugen, sind also groß. Doch bisher verfangen sie nicht so recht. Einer Befragung der Beratungsgesellschaft BCG zufolge ist das Land der Faxe und Papier-Formulare unter Digital-Arbeitern weniger beliebt. Die meisten zieht es nach Kanada, Australien und in die USA. 

Warum also hat sich Khalifeh Deutschland ausgesucht? „Gute Universitäten, ausreichend Karrierechancen, die schöne Natur und die hervorragende allgemeine Lebensqualität“, sagt sie. „Und die Liebe der Deutschen für Sicherheit.“

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Schon während des IT-Studiums in Jordanien habe sie sich besonders für Fragen der Cyber-Sicherheit interessiert. Durch die Pandemie und die Verlagerung weiter Teile des öffentlichen Lebens in den digitalen Raum, habe sich das Bewusstsein in der Gesellschaft und Industrie für die Risiken, die damit einhergehen, erhöht – und damit auch die Anzahl der Stellenanzeigen in diesem Bereich. Der Ukraine-Krieg und Künstliche Intelligenz erhöhen zusätzlich die Bedeutung von Cyber-Sicherheit und Datenschutz. „Ich habe das Gefühl, dass man in Deutschland diese Gefahren sehr ernst nimmt“, sagt Khalifeh. Die deutsche Risikoaversion, die normalerweise als Innovationshemmerin beschrien wird, kann Fachkräfte wie Khalifeh im Bereich Cyber-Security sogar davon überzeugen, hier zu arbeiten.

Die Deutschen können auch nett

Ein Kulturschock war der Start in Deutschland für Khalifeh trotzdem. In Jordanien, so erzählt sie, laufe das meiste digital. Hier ging das nicht so problemlos. Ämter, Banken und Telefonanbieter setzen zu viel auf Papierkram, sagt sie. „Ich denke, dass Deutschland in diesem Bereich noch viel aufzuholen hat. Ich bin auch hier, um meinen Teil dazu beizutragen.“ Anders als die meisten Befragten im InterNations-Report erlebe sie ihre Mitmenschen aber als sehr freundlich: „Vom Supermarktmitarbeiter bis zu den Beamten auf dem Einwohnermeldeamt waren alle sehr nett und zuvorkommend.“

Dasselbe gelte für ihre Kolleginnen und Kollegen – was für Khalifeh vor allem an ihrem Arbeitsbereich liegt, und weniger an Deutschland. Die IT-Branche sei schon immer international und kulturell vielfältig geprägt. Die Tech-Welt nennt sie eine „Willkommens-Branche“: „Die Community ist jung und dynamisch. Meistens arbeitet man von Anfang an mit Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt zusammen. Deshalb ist interkultureller Austausch mein Normalzustand.“

Ein Normalzustand, der immer stärker aus dem rechten politischen Spektrum in Deutschland kritisiert und gefährdet wird. Schon allein das Wort „Remigration“, von dem auch die in Teilen rechtsextreme AfD spricht, kann ausreichen, um die Koffer wieder zu packen – oder gar nicht erst herzukommen. Sewar Khalifeh will dennonch bleiben. Ihr Ziel ist es, ihren Beitrag zu leisten, damit Deutschland noch digitaler wird. Auf die Frage, ob sie darüber nachdenke wieder wegzuziehen, antwortet sie: „Wieso sollte ich gehen? Ich habe doch gerade erst angefangen!“

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