Deutschland–Niederlande: Neue Deutsche Welle im pinken Trikot

27 Mär 2024
Deutschland Niederlande

Handkäse wird in Frankfurt in Zwiebelmarinade serviert. Traditionell isst man dieses derbe Regionalgericht ohne Messer und Gabel. Den Apfelwein dazu trinkt man aus dem Gerippten, einem kelchförmigen Glas, das außen mit Rauten besetzt ist, damit einem das Gesöff nicht aus den Händen gleitet. Das alles ist eine ziemlich ölige Angelegenheit. Offenbar hatte jemand vor dem Tag des Fußballspiels Deutschland gegen die Niederlande einen gigantisch großen Handkäsetopf auf den Rasen des Frankfurter Stadions verschüttet. Spieler fanden darauf keinen Halt, die deutschen insbesondere.

Vor dem frühen Gegentor strauchelte Jonathan Tah, Robert Andrich kam im selben Moment nicht vom Fleck, und Jamal Musiala rutschte immer wieder wie ein Welpe auf Glatteis. Die Standprobleme der deutschen Fußballer waren lange das einzig Unvorhersehbare im zweiten Länderspiel nach Julian Nagelsmanns Neuordnung.

Der Rest lief lange in geregelten Bahnen. 70 Minuten lang kontrollierte seine Elf das Geschehen auf gekonnte, auch ausrechenbare Weise. Es war Ballgeschiebe mit Niveau. Dann folgten 20 Minuten Sturmlauf, die den 2:1-Sieg brachten und die Hoffnung nährten, dass diese Elf bei der Heim-EM im Sommer ihr Land nicht enttäuschen wird.

Deutschland hat in zehn Tagen eine radikale Umwandlung vollzogen. Unter Hansi Flick und auch noch im Nagelsmann-Herbst spielte die Mannschaft wie eine Gang aus Halbstarken. Sie griff halsbrecherisch ohne Absicherung an, und am Ende spazierten Gegner wie Malta oder Jalta durch die deutschen Lücken. Das unterhielt die Leute, doch so gewinnt man natürlich nichts.

Jetzt spielt ganz Deutschland wie Kroos

Inzwischen ist Toni Kroos zurückgekehrt. Und siehe da, jetzt spielt ganz Deutschland wie Toni Kroos: technisch gefällig, fehlerarm, hoher Standard, niedrige Temperatur, Pass, Pass, Pass. Also exakt das Gegenteil der alten Version und definitiv ein Fortschritt. Aber auch wie ein Roman von Adalbert Stifter. Der beschrieb in seinen Romanen über zig Seiten Berge, Almen und Edelsteine höchst kunstvoll, ohne dass die Handlung auch nur einen Millimeter vorankam. Studien wollen ergeben haben, dass der Ruhepuls von Stifter-Lesern sinkt. Und auch im Frankfurter Stadion war es über Dreiviertel des Spiels meist sehr still.

70 Prozent Ballbesitz und mehr wies die Statistik für Deutschland aus, Gefahr ging davon nicht aus. Was der Elf früher an Struktur gefehlt hatte, ging ihr gegen die Niederlande an Tempo, Zielstrebigkeit und Leidenschaft abhanden. Es war ein gepflegter Stil, wie Wirtz, Gündoğan, Andrich, Havertz und Kimmich den Ball liefen ließen. 

Es war aber auch gepflegt langweilig. Es war Toni-Kroos-Fußball. So gut sein Einfluss dem Ganzen tun mag – es gibt auch ein Zuviel des Guten. Die Dosis macht das Gift, und Frankfurt erhielt eine Überdosis Kroos. Zu den Aufputschmitteln zählt man das nicht. Es ist empfehlenswert, wenn sich die Jungen etwas abschauen vom Star aus Madrid. Doch es müssen nicht alle so spielen wie Kroos.

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