Wolfgang Schäuble: Stoiber soll Union 2015 zu Widerstand gegen ...

3 Apr 2024

Edmund Stoiber habe interne Kritik an Angela Merkel befeuert, steht in Wolfgang Schäubles Memoiren. Die Aufforderung, Kanzler zu werden, wies Schäuble demnach ab.

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Aktualisiert am 3. April 2024, 12:37 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, AFP, ale

Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber mit der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen im Juli 2022 © Daniel Löb/​dpa

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) soll während der Flüchtlingskrise 2015 daran gearbeitet haben, die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu stürzen. Das geht aus den Memoiren des im Dezember 2023 verstorbenen damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) hervor, aus denen der stern Auszüge veröffentlicht hat.

Schäuble bezog sich auf einen Zeitraum im Herbst 2015, als vor allem die CSU heftigen Widerstand gegen Merkels Flüchtlingspolitik, etwa ihren Verzicht auf Grenzschließungen, geleistet hatte. "Höhepunkt war der CSU-Parteitag, als der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende (Horst Seehofer) der Kanzlerin wie einem Schulmädchen die Leviten las", steht in dem veröffentlichten Auszug. Seehofer hatte bei dem Parteitag in Merkels Anwesenheit unter anderem gesagt, die Kanzlerin werde bei der CSU "wieder herzlich willkommen" sein, wenn sie Kompromisse mit ihm eingehe. Die Äußerung war damals als öffentlicher Angriff auf Merkels Autorität gewertet worden.

"Inzwischen wurde auch Edmund Stoiber aktiv und feuerte Seehofer (…) in dessen Attacken gegen Merkel an", schrieb dazu Schäuble. "Und mich wollte er dazu bewegen, Merkel zu stürzen, um selbst Kanzler zu werden." Dem stern-Bericht zufolge hatte Schäuble bereits im Dezember 2022 in der ZDF-Sendung Markus Lanz von damaligen Überlegungen in der Union berichtet, Merkel zu stürzen. Mit Stoiber nannte er aber erst in seinen Memoiren einen Namen. 

Stoiber wollte Schäubles Darstellung auf Anfrage nicht kommentieren. Er habe nur mit wenigen Kollegen in seinem Leben so viele persönliche und vertrauliche Gespräche geführt "wie mit meinem langjährigen und eng verbundenen Kollegen Wolfgang Schäuble", sagte Stoiber. Berichte darüber habe er "niemals kommentiert", und das gelte auch nach Schäubles Tod weiter.

Schäuble wies Kanzler-Ambitionen als "absurd" zurück

In dem veröffentlichten Auszug von Schäubles Memoiren heißt es weiter, er habe die Aufforderung, Merkel im Kanzleramt zu ersetzen, abgelehnt. "Wie Jahrzehnte zuvor bei Kohl blieb ich bei meiner Überzeugung, dass der Sturz der eigenen Kanzlerin unserer Partei langfristig nur schaden könnte, ohne das Problem wirklich zu lösen." Das sei sein "Verständnis von Loyalität" gewesen. 

Schäuble, der seit einem Attentat 1990 gelähmt war, führte seinen gesundheitlichen Zustand als Argument an, den Kanzlerposten nicht anzustreben. "Die ganze Debatte amüsierte mich fast ein wenig, weil ich ja mein Alter kannte, seit mehr als einem Vierteljahrhundert querschnittsgelähmt war und insgesamt eine angeschlagene Gesundheit hatte", schrieb er. "Vielfach hatte ich in den Jahren zuvor meine Nachrufe lesen können – und jetzt sollte ich, dessen Karriere angeblich immer 'unvollendet' geblieben war, endlich den Sprung ins Kanzleramt wagen? Das war einigermaßen absurd."

In dem veröffentlichten Auszug bekräftigte Schäuble zwar seine grundsätzliche Unterstützung für die Flüchtlingspolitik Merkels. Der Verzicht auf Grenzschließungen im Herbst 2015, als in Budapest "Flüchtlinge zu Tausenden gestrandet waren", sei "aus humanitären und europapolitischen Gründen richtig" gewesen.

Merkel sei "in mancherlei Hinsicht beratungsresistent" gewesen

Allerdings führte der langjährige Spitzenpolitiker auch Kritik an: Merkel hätte klarer bekräftigen sollen, dass die Asylpolitik von 2015 als "einmalige Notmaßnahme unwiederholbar war". Die damalige Kanzlerin habe nicht klar genug verdeutlicht, "dass der Einsatz für die Flüchtlinge eben auch mit Kosten und Opfern verbunden ist". 

Diesen Aspekt habe sie nicht ausreichend betont, während er es für richtig gehalten habe, "den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einzuschenken", schrieb Schäuble. Er sei gelegentlich frustriert darüber gewesen, "dass Merkel in mancherlei Hinsicht beratungsresistent blieb. Nach meiner Einschätzung hätte sie ganz andere Möglichkeiten gehabt, um wirklich politisch zu führen und nicht nur zu reagieren."

So habe Merkel etwa zu lange gezögert, ehe sie in Verhandlungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegangen sei. 2016 hatte sie den sogenannten EU-Türkei-Deal vermittelt, der vorsah, dass die Türkei im Gegenzug für EU-Zahlungen in Milliardenhöhe die Fluchtbewegung aus dem Nahen Osten nach Europa über ihr Staatsgebiet eindämmt. Merkel habe "innenpolitischen Ärger", den die Gespräche mit Erdoğan hervorrufen würden, befürchtet, schrieb dazu Schäuble. "Ich drängte sie dennoch, und schließlich reiste sie tatsächlich in die Türkei. Bedauerlicherweise eher zu spät."

Schäuble hatte dem Bundestag von 1972 bis 2023 angehört, wo er von 1991 bis 2000 die Unionsfraktion anführte. Zwischen 1998 und 2000 war er Parteichef der CDU und von 2005 bis 2017 Minister in drei von Merkel geführten Kabinetten. Zwischen 2017 und 2021 war Schäuble Bundestagspräsident. Im Dezember 2023 starb er im Alter von 81 Jahren. Seine Memoiren mit dem Titel Erinnerungen. Mein Leben in der Politik sollen kommende Woche erscheinen.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels stand, Schäuble habe seine politische Karriere 2021 beendet. Tatsächlich war er zwar bis 2021 Bundestagspräsident, blieb aber bis zu seinem Tod Bundestagsabgeordneter. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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