Wikileaks: Assange bekommt Aufschub

27 Mär 2024

Der Royal Court of Justice in London hat den Berufungsantrag gegen die Auslieferung von Julian Assange in mehreren Punkten als begründet und stichhaltig angesehen. Das bedeutet, dass er nicht unmittelbar ausgeliefert wird, sondern weitere gerichtliche Schritte auf britischem Boden folgen werden.

Julian Assange Auslieferung - Figure 1
Foto Netzpolitik.org

Die Vereinigten Staaten hatten die Überstellung von Assange verlangt, weil ihm vorgeworfen wird, geheim eingestufte US-Militär- und Geheimdienstpapiere sowie Dokumente über Hacking-Werkzeuge der CIA veröffentlicht zu haben. Diese Vorwürfe könnten in eine 175-jährige Freiheitsstrafe nach dem US-Spionagegesetz (Espionage Act) münden. Die damalige britische Innenministerin Priti Patel hatte 2022 den Weg für seine Auslieferung freigemacht. Seither versuchten Assange und sein Team, auf rechtlichem Wege gegen diese Entscheidung anzukämpfen.

Assanges Berufung gegen die Auslieferung war von britischen Richtern zunächst abgelehnt worden. In einer zweitägigen Anhörung Mitte Februar versuchten seine Anwälte, dieses ablehnende Urteil mit alten und auch neuen Argumenten wieder zu kippen, um die Auslieferung zu verhindern. Das ist heute insofern gelungen, dass der Inhaftierte nicht sofort überstellt wird, sondern weiteres rechtliches Gehör bekommt.

Gericht verlangt Zusicherungen

Der High Court of Justice hält drei von Assanges Anwälten vorgebrachte Berufungsgründe für stichhaltig, wie das Gericht in seiner mehr als sechzigseitigen Entscheidung begründet. Das Gericht geht davon aus, dass für diese drei Gründe Erfolgsaussichten für die Berufung bestehen.

Sowohl der US-Regierung als auch dem konservativen britischen Innenminister James Cleverly wird nun auferlegt, dass sie bestimmte Zusicherungen geben müssen. Werden diese nicht gegeben, kündigt der High Court an, Assange die Berufung zu gewähren.

Konkret muss die US-Regierung dem Gericht zusichern, dass sich Assange erstens bei einem Prozess auf den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung (First Amendment) berufen kann, der Redefreiheit und Pressefreiheit garantiert, dass er zweitens in diesem Prozess nicht aufgrund seiner australischen Nationalität benachteiligt wird und dass ihm drittens bei einer Verurteilung nicht die Todesstrafe droht.

Gibt die US-Regierung diese Zusicherungen ab, könnte Assange in wenigen Wochen an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden. Die US-Zusicherungen müssen laut der Gerichtsentscheidung bis zum 16. April eingereicht werden. „Wenn keine Zusicherungen gegeben werden, werden wir die Berufung ohne weitere Anhörung zulassen“, schreibt das Gericht in seiner Entscheidung. Andernfalls soll eine Anhörung am 20. Mai stattfinden.

Assanges Ehefrau nannte die Entscheidung in einer ersten Reaktion „erstaunlich“ und betonte in einer kurzen Stellungnahme vor dem Gerichtsgebäude nochmals, Assange sei ein „politischer Gefangener“. Es sei eine „Schande in einer Demokratie“, dass er weiter in Haft sei.

Weiter isoliert in der Einzelzelle

Der Australier Assange wurde nach dem Entzug des politischen Asyls im April 2019 aus der ecuadorianischen Botschaft in London gezerrt und sitzt nun weiter in Auslieferungshaft im Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsh, isoliert in einer Einzelzelle. Unterdessen laufen die jahrelangen Gerichtsverhandlungen über den Antrag der US-Regierung, ihn auszuliefern. Denn Assange befindet sich nach wie vor im Fadenkreuz von US-Regierung, US-Militärs und US-Geheimdiensten, denen seine Veröffentlichungen zum Schaden gereichten.

Assanges Kontakt zur Außenwelt ist erheblich eingeschränkt, war pandemiebedingt sogar einige Monate vollständig gekappt. Nicht einmal die eigentlich unabdingbaren regelmäßigen Kontakte zwischen dem Inhaftierten und seinen Anwälten waren zugelassen. Deren rechtliche Versuche, wegen der Pandemie eine Haftverschonung zu erlangen, hatten keinen Erfolg.

Die harschen und teilweise entwürdigenden Bedingungen gelten seit 2019 einem Journalisten und Aktivisten ohne jegliche Verurteilung. Wer die Details des Assange-Falles nicht kennt, könnte meinen, er säße unter solchen Bedingungen im Gefängnis, weil er für ein Verbrechen verurteilt worden wäre. Zwar ermitteln die US-Behörden seit mindestens 2014 aufgrund eines Uralt-Spionagegesetzes von 1917 gegen Wikileaks und Assange. Fakt aber ist, dass ihm bisher lediglich unbewiesene Vorwürfe gemacht werden, nämlich Internetkriminalität und Spionage.

Folgen dieser Haftbedingungen sind eine schwer angeschlagene Gesundheit und mehrere psychische Erkrankungen, die auch gerichtlich wiederholt thematisiert und gutachterlich bestätigt wurden. Dass eine Suizidgefährdung besteht, war ein Grund dafür, dass die Auslieferung zwischenzeitlich gerichtlich gestoppt wurde.

Nun bekommt Assange einen weiteren Aufschub, und im wichtigsten Kampf für die Pressefreiheit im 21. Jahrhundert wird ein weiteres Kapitel aufgeschlagen. Das ist insofern eine gute Nachricht, weil Assange die Haftbedingungen in den Vereinigten Staaten vermeiden kann, die erwartbar noch schlimmer als in Belmarsh sein dürften.

Aber solange die Gerichtsverhandlungen weiterlaufen, verrottet der Mann in Einzelhaft, dessen wichtige Veröffentlichungen ohne Zweifel weltweite Aufmerksamkeit gefunden haben. Die US-Regierung sollte dem nun ein Ende bereiten und den Auslieferungsantrag zurückziehen.

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