„Bonn. Alte Freunde, neue Feinde“ in der ARD: Unter Nazis

19 Jan 2023
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Erstellt: 19.01.2023, 05:06 Uhr

Von: Judith von Sternburg

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Toni (Mercedes Müller, l.) übersetzt für Gehlen (Martin Wuttke, r.) bei einer Verhandlung.

Toni (Mercedes Müller, l.) übersetzt für Gehlen (Martin Wuttke, r.) bei einer Verhandlung. © ARD/Odeon Fiction/Zuzana Panská

Bundesrepublik 1954: Die sechsteilige ARD-Serie „Bonn. Alte Freunde, neue Feinde“ ist zwar eine Schmonzette, erzählt aber in exzellenter Besetzung auch von einem abgedrängten Stück Nachkriegsgeschichte

Bonn. Alte Freunde, neue Feinde“ ist eine markante Serie und der ungewöhnliche Fall, dass im Einzelnen zwar alles vollgestopft und in der Überfrachtung vieles unwahrscheinlich bis ins Bizarre wirkt. Im Großen und Ganzen aber werden politische und gesellschaftliche Grundstimmungen der 50er Jahre greifbar. Nicht nur das Feiern, das Elektrogerätekaufen und der Gehorsam, neuerdings selbstverständlich als Demokrat und, nicht ganz so dröhnend, als Demokratin, sondern auch und vor allem der Wunsch, dabei lieber unter sich zu bleiben.

Unter sich: ohne Leute, die gegen Hitler gewesen waren und nun womöglich gar zurückkehrten, nachdem sie dem Krieg von „Logen und Parterreplätzen des Auslands“ aus zugeschaut hatten, wie der „innere Emigrant“ Frank Thiess in Richtung Thomas Mann schrieb (und es ist ein geringer Trost, dass nachher ansonsten nicht viel von ihm blieb, von Frank Thiess, der in den Regalen der Großeltern noch gut vertreten war). Thiess gab damit die Linie für eine schamlose Interpretation der Ausgangslage vor: Die eigentlichen Opfer Hitlers waren demnach die Deutschen gewesen, die Front und Bombennächte durchlitten hatten und immerhin „reicher an Wissen und Erleben“ aus dem Krieg hervorgegangen waren. Das hörten sie gerne, die Deutschen.

Unter sich: mit den ganzen anderen Nazis, vor denen man sich nicht zu genieren brauchte. Was privat eine Schande war, war politisch überaus folgenreich. Davon erzählt „Bonn. Alte Freunde, neue Feinde“. Wie die junge Bundesrepublik alten Seilschaften Spielraum gab, in der Justiz, in der Bonner Politik, und wie das von Seiten der Westalliierten bald übergangen oder sogar protegiert wurde, flammte doch der Ost-West-Konflikt mächtig auf.

Regisseurin Claudia Garde, die (mit Martin Rehbock und Peter Furrer) auch das Drehbuch schrieb, konzentriert sich auf das Jahr 1954, mit guten Gründen. Der Hauptkonflikt spielt sich zwischen Otto John, dem Chef des nagelneuen Verfassungsschutzes, und Reinhard Gehlen ab, dem Chef der „Organisation Gehlen“, des späteren Bundesnachrichtendienstes. Eine exemplarische Konfrontation: der linksintellektuelle John, nach seiner Beteiligung an der Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli 1944 ins englische Exil entkommen, setzt als Heimkehrer auf Entnazifizierung, Aufklärung, Demokratisierung. Zum Behördenleiter wird er nicht zuletzt, weil die Auswahl an unverdächtigen Deutschen klein ist. Weder reißt er sich um den Posten noch hat er Erfahrung mit Geheimdienstarbeit – das wird in der begleitenden Dokumentation näher ausgeführt, aber Sebastian Blomberg spielt bereits ausgezeichnet vielsagend und doch dezent den sympathischen, integren und überrumpelbaren Außenseiter. Blomberg-John agiert mit offenem Visier.

Sein Widersacher ist das Paradebeispiel des ans rettende Ufer gelangten strammen Nationalsozialisten, Gehlen ist der Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“ gewesen und weiterhin bestens vernetzt und in Geheimhaltungs- sowie Spionageangelegenheiten ein Profi. Martin Wuttke spielt ihn – mit der offenbar typischen Sonnenbrille – als genießerischen Schurken und maximalen Geheimniskrämer. Gehlen kommt mit den US-amerikanischen Alliierten so gut zurecht wie mit der Adenauer-Regierung, vertreten hier vornehmlich durch den Kanzleramtschef Hans Globke, Sascha Nathan, der dem im Rückblick geradezu unerträglichen Beispiel für Kontinuität im deutschen Verwaltungswesen ein grandios selbstzufriedenes Gesicht gibt. Die alten Freunde erklären sich von selbst, die neuen Feinde sind die Kommunisten.

John ist allen hier ein Dorn im Auge, und Claudia Garde muss in keiner Weise zuspitzen. Die erwiesene heimliche paramilitärische Aufrüstung (noch vor der Gründung der Bundeswehr und um „dem Russen“ etwas entgegensetzen zu können) exerziert sie an der (fiktiven) Aktion „Scipio“ durch: Ehemalige SS- und Wehrmachtsangehörige sind dabei munter am Werke, dies – wie sich zu Johns Entsetzen zeigt – mit Rückendeckung der Amerikaner und der Bundesregierung. Parallel dazu helfen sich die Nazis emsig dabei, notfalls ins entfernte Ausland zu fliehen. Der Fall des Eichmann-Mitarbeiters Alois Brunner dient als hochdramatisch ausgeschmücktes Beispiel.

Die Serie endet mit einem – immer noch nicht und auch hier nicht ganz zu Ende erklärten – Knaller: John fährt am 20. Juli 1954 nach Ostberlin, Umstände und weiterer Verlauf merkwürdig. Nach seiner fluchtartigen Rückkehr Ende 1955 wird er zu einer Haftstrafe wegen Landesverrats verurteilt. Bis zu seinem Tod 1997 bemüht er sich um Rehabilitierung. Das ist eine andere Geschichte, hier genügt erst einmal Gehlens Satz „Einmal Verräter, immer Verräter“, den Wuttke sich auf der Zunge zergehen lässt. Der erste „Verrat“ ist der misslungene Anschlag gegen Hitler. So etwas konnte man in den 50er Jahren problemlos sagen.

„Bonn“ schönt das nicht. Womöglich fällt einem das erst im Rückblick so richtig auf. Denn beim Zuschauen wird es in detailreicher Ausstattung serientauglich bis zur Schmonzette, und die Liebe siegt über die größten Hindernisse hinweg.

Auch diesmal, das muss eine ehrbare Serienselbstverpflichtung sein, aber auf Dauer wird es zur Verschleierung der tatsächlichen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, steht eine Heldin im Zentrum, die sich beruflich nicht den Schneid abkaufen lässt. Mercedes Müller spielt mit Verve Toni Schmidt, die nach einem Jahr in London nicht mehr nur ihren schlichten, aber erfolgreich Fernsehgeräte verkaufenden Verlobten, Julius Feldmeier, heiraten, sondern auch Fremdsprachensekretärin werden will. Nachher will sie ihren Verlobten gar nicht mehr heiraten, sondern verliebt sich in einen attraktiven, wenngleich windigen Agenten, Max Riemelt. Wie gesagt, man kann sich lange Zeit schwer vorstellen, wie das gehen soll. Aber es geht.

Tonis Vater, Juergen Maurer, vermittelt die Tochter aber zunächst einmal an das Büro Gehlen. John und seine jüdische Frau Lucie, Inga Busch, hat sie schon in London kennengelernt. Die große weite Welt der Geheimdienste und Verbrechen, eine Nussschale. Denn just im Elternhaus der Protagonistin läuft die Geheimoperation „Scipio“ zusammen. Ebenso wird alles weitere Nennenswerte in ihrem unmittelbaren Umfeld abgehandelt: Vater Schmidt ist ein weiterhin aktiver Nazi, Mutter Schmidt, Katharina Marie Schubert, trifft den Mann ihres Lebens wieder, einen nach Israel emigrierten Juden, Christian Harting, von dem sie vor dem Einschreiten ihrer Eltern bereits schwanger war. Tonis Schwester, Luise von Finckh, illustriert den unbedingten Amüsier- und Verdrängungswillen, während Toni, ein Spionage-Naturtalent, alle Fragen in den Mund gelegt bekommt, die dann ungefähr zehn Jahre später auftraten.

Dass das ein sehr gutes Ensemble ist, hilft über vieles, aber nicht über alles hinweg.

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