Türkei-Ekstase in Duisburg: Jubel mit Schönheitsfehlern

Duisburg. Tausende Türkei-Fans haben im Duisburger Norden friedlich den Achtelfinal-Einzug bei der EM gefeiert. Die Polizei musste aber auch einschreiten.

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Foto Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Fußball-Fans haben am Mittwochabend im Duisburger Norden frenetisch den Einzug der türkischen Nationalmannschaft ins Achtelfinale der Europameisterschaft gefeiert. Ein 2:1 gegen Tschechien bedeutete das Weiterkommen und sorgte vor allem in Marxloh und Alt-Hamborn für eine Jubel-Explosion bei den Anhängern.

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Kurz nach Abpfiff strömen viele erleichterte Anhänger auf die ohnehin noch sehr belebten Straßen von Marxloh. Sie kommen mit Trikots, Fahnen und Trillerpfeifen und Luftdruckhupen aus den Cafés, Wettbüros und aus den Wohnungen, wo sie das Spiel verfolgt haben. Der Großteil ist unterwegs zum Hamborner Amtsgericht, das wie gewohnt zum Zentrum der Siegesfeier wurde.

Zahlreiche Duisburgerinnen und Duisburger steigen zeitgleich in ihre Wagen und beteiligen sich am Autokorso. Unter anderem auf der Weseler Straße, am Pollmannkreuz und dem Willy-Brandt-Ring geht nicht mehr viel. Laut hupend rollen die Türkei-Anhänger in ihren Autos über die verstopften Straßen und schwenken die rot-weißen Fahnen. „Aufgrund des Autokorsos kam es zu starken Verkehrsbeeinträchtigungen bis hin zum zeitweiligen Stillstand auf der Duisburger Straße“, ordnet die Polizei am Donnerstagmorgen ein.

Laut Schätzung der Beamten versammelten sich rund 1000 Fans, teilweise motorisiert, vor dem Amtsgericht in Hamborn, um ihre Mannschaft zu feiern.

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Zusätzlich machte sich ein Fanmarsch, bestehend aus etwa 500 Personen, auf den Weg in Richtung Marxloh. Vor dem Hamborner Amtsgericht waren es vor allem jüngere Leute, die zu später Stunde, den Erfolg feierten und immer wieder „Türkiye! Türkiye!“ skandierten. Auch an anderen Orten im Stadtgebiet haben die Anhänger gefeiert: Auf dem Hochemmericher Markt in Rheinhausen kamen laut der Polizei etwa 700 begeisterte Fußballfans zusammen.

Große Freude über den Sieg der türkischen Mannschaft. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

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Foto Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Im Duisburger Norden ist die Polizei am späten Mittwochabend mit zahlreichen Kräften im Einsatz. Immer wieder sind auch Martinshörner zu hören. Behindert der Autokorso und das Verkehrschaos Rettungseinsätze? Davon sei nichts bekannt, teilt die Feuerwehr am nächsten Morgen auf Nachfrage mit.

EM 2024: Tausende Menschen feiern Türkei-Erfolg in Duisburg

Tausende Fans feiern ausgelassen, aber friedlich. Vor allem junge Familien mit Kindern sind dabei. Sie helfen eine riesige Fahne zu schwenken oder rufen inbrünstig „Türkiye“ mit der versammelten Menge. „Wir sind glücklich, dass wir überhaupt so weit gekommen sind“, frohlockt Melek Taşkin (28).

Nach der nervenaufreibenden Partie gegen Tschechien bricht bei ihr und den vielen anderen „echte Freude“ über den Einzug ins Achtelfinale hervor. Und Hoffnung keimt auf, dass jetzt „noch viel, viel mehr“ möglich ist. Vielleicht sogar der Turniersieg. Da verzichtet Melek Taşkin gerne auf ein paar Stunden Schlaf, bevor es morgens wieder zur Arbeit geht. An Schlaf denken nun die wenigsten, auch wenn es schon bald wieder ins Büro, in die Fabrik, die Uni oder die Schule geht.

Die Straßen im Duisburger Norden sind nach dem Türkei-Sieg voll. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Viel Kaffee wird morgens sicher auch die 23-jährige Kindergärtnerin Beyza trinken, die weit nach Mitternacht die warme Sommernacht mit Jubelrufen genießt. „Unsere Freude ist sehr echt“, bestätigt sie und lacht fröhlich. So fröhlich wie fast alle feiernden Menschen um sie herum. Sie sind deutsch, türkisch, kurdisch und „heute spielt das keine Rolle, weil wir alle zusammen feiern“, findet Cenk (22) aus Moers. Im roten Fahnenmeer ist auch vereinzelt Schwarz-Rot-Gold zu sehen sowie die Fahnen von Aserbaidschan und vom Libanon. Alle sind vereint im Siegestaumel und in der „unrealistisch optimistischen Hoffnung“ auf viele weitere Siege.

Zunächst fiebern die Türkei-Fans aber der Revanche gegen Österreich entgegen, deren Team beim EM-Testspiel im März mit 6:1 gewann. „Wir stehen hinter unserer Mannschaft“, gibt sich Ismail Çakan (31) zuversichtlich und verspricht sich durch die aktuellen Jubelfeiern im Ruhrgebiet auch einen zusätzlichen Motivationsschub für die türkische Nationalmannschaft.

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Foto Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Mit seinen Cousins und Cousinen ist der erstmals nach einem Fußballspiel nach Duisburg gekommen. Seit der Weltmeisterschaft 2002 sind ihm Alt-Hamborn und Marxloh als Feierhochburg bekannt. „Alle meine Erwartungen sind weit übertroffen“, sagt Ismail Çakan, insbesondere weil trotz der Euphorie alles „sehr, sehr friedlich“ und familiengerecht abläuft. Zuvor sollen „ein paar wenige Neider“ ihn und andere im Autokorso von Balkonen und aus Wohnungsfenstern mit Steinen beworfen haben. Passiert sei nichts, und seine gute Laune hat er sich davon nicht kaputt machen lassen. Mit seinen Verwandten will er auf jeden Fall wiederkommen.

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Doch längst nicht alle Feiernden drängen ins Zentrum der ausgelassenen Fußballparty. Einige Eltern stehen mit ihren Kindern ganz bewusst etwas abseits. Denn vereinzelt, aber immer wieder, werden rotbrennende Bengalo-Fackeln gezündet. Zudem explodieren extrem laute Böller und auch die eine oder andere Silvesterrakete fliegt in den Nachthimmel.

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Wegen der Pyrotechnik mischt sich der 33-jährige Bünyamin aus Oberhausen mit seiner Familie nicht mitten ins Getümmel. Sein Sohn Yusuf (7) hat stundenlang vorgeschlafen, um das Spiel im Fernsehen zu sehen und anschließend nach Hamborn zu kommen. Überwältigt verfolgt der junge Nachwuchsfußballer das große Spektakel, das insgesamt drei Stünden anhalten wird. Die vielen Polizistinnen, Polizisten und die Streifenwagen „erhöhen mein Sicherheitsempfinden“, sagt sein Vater. Dennoch freut er sich, dass die Beamten bis auf ein paar Bengalos kaum nötig sind.

Pyrotechnik, Platzverweise, Anzeigen: Die Bilanz der Polizei Duisburg

„Verletzt wurde niemand“, informiert die Beamten am Donnerstag. Die Polizei fertigte drei Ordnungswidrigkeitenanzeigen, erteilte drei Platzverweise und konnte dreimal Pyrotechnik sicherstellen. Ein Fan beleidigte trotz der überwiegend fröhlichen Stimmung einen Polizisten und muss sich nun mit einem Ermittlungsverfahren auseinandersetzen.

Zudem haben einige Fans, meist Jugendliche, den Wolfsgruß der türkischen Rechtsextremisten, der Grauen Wölfe, für Fotos, Selfies und Handyvideos gezeigt. Allerdings nur vereinzelt und deutlich seltener als noch bei der Siegesfeier gegen Georgien (18. Juni). Die Handgeste symbolisiert, dass die Welt den türkisch-islamischen Stempel aufgedrückt bekommen soll. Strafbar ist dieser Gruß in Deutschland – anders als in anderen Ländern – bislang nicht.

Vereinzelt ist beim Siegestaumel auch der Wolfsgruß der türkischen Rechtsextremisten, der Grauen Wölfe, zu sehen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Gegen ein Uhr nachts zieht ein weiterer großer Tross mit Polizeieskorte vom Amtsgericht zurück nach Marxloh. Nur noch einige Hartgesottene verbleiben in Hamborn. Eine gute Dreiviertelstunde später, ganze drei Stunden nach Abpfiff, neigt sich die große Siegesparty dem Ende zu, und die Polizei bittet per Lautsprecherdurchsagen die letzten Türkei-Fans, nach Hause zu fahren oder zu gehen.

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