Jack Sparrow in Versailles: Johnny Depp meldet sich zurück

Jack Sparrow geht nach Versailles: Johnny Depp meldet sich als Louis XV. auf der Leinwand zurück

Ein alternder Mann und eine Frau, die sein Leben aufmischt: In «Jeanne du Barry» erzählt Maïwenn die Geschichte der Lieblingsmätresse des französischen Königs. Und inszeniert vor allem sich selbst.

Johnny Depp - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Im höfischen Protokoll von Versailles ist für alle Fälle vorgesorgt, nur Liebe hat darin keinen Platz: Jeanne du Barry (Maïwenn) und Louis XV. (Johnny Depp).

Stéphanie Branchu / Why Not Productions

Ja, es ist ein Comeback. In «Jeanne du Barry» der französischen Regisseurin und Schauspielerin Maïwenn hat Johnny Depp eine grosse Rolle. Die erste seit dem vor Gericht ausgetragenen Streit mit seiner Ex-Frau Amber Heard. Aber ein cooler Typ wie Depp nimmt das gelassen. Betont gelassen. Zur Pressekonferenz des Films, der in Cannes zur Eröffnung ausserhalb des Wettbewerbs zu sehen war, erschien er vierzig Minuten zu spät. Um dann klarzumachen, er habe nicht viel zu sagen. Zum Film nicht. Und zur Frage, ob er sich nach der Schlammschlacht trotz dem Freispruch gecancelt fühle, auch nicht.

Umso mehr hatte Maïwenn zu erklären. Zum Beispiel, warum sie in ihrem Historiendrama die Rolle von Louis XV. nicht mit einem Franzosen besetzt habe. Sie hätte schon, sagte sie. Nur hätten die reihenweise abgesagt. Namen nannte sie keine. Eine längere Suche also. Und dann Johnny Depp. Er sei trotzdem ein Wunschkandidat gewesen, gab Maïwenn zu Protokoll. Sie habe sich einen Darsteller gewünscht, mit dem sie sich emotional verbunden fühle. Schliesslich müsse sie ihn umarmen und küssen. So ist es. Maïwenn spielt Jeanne du Barry, die aus einfachen Verhältnissen zur Mätresse des Königs aufsteigt, selbst.

Puder und Perücke

Das Casting habe im Übrigen vor dem Prozess stattgefunden, betonte Maïwenn. Und einen Grund, den Entscheid nachträglich zu revidieren, habe sie nicht gesehen. Johnny Depp interessiere sie als Schauspieler. Verurteilt sei er nicht. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen. Dass die Schauspielerin Adèle Haenel ihre furiose Attacke gegen die «patriarchale» französische Filmindustrie auch mit einem Seitenblick auf sie formuliert haben dürfte, ist Maïwenn egal. Zu #MeToo hat sie sich stets kritisch geäussert, und vor allem ist es ihr sicher mehr als recht, dass dem König, der im überkandidelten Hofzeremoniell von Versailles fast erstickt, ein Hauch von Verruchtheit anhaftet. Auch wenn das unter Puder und Perücke manchmal nur noch zu erahnen ist.

Johnny Depp - Figure 2
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Die Geschichte der Jeanne Vaubernier sei für sie ein «Coup de foudre» gewesen, hat Maïwenn in einem Interview gesagt. Sie habe sich dieser Frau sehr nahe gefühlt und ihr Leben unbedingt erzählen wollen. Es beginnt 1743 in einer französischen Provinzstadt. Jeannes Mutter ist Angestellte in einem vornehmen Haushalt, der Vater vermutlich ein Franziskanermönch. Jeanne ist klug, der gnädige Herr nimmt sich ihrer an, macht sie mit Literatur und Kunst vertraut. Als sie zur jungen Frau heranwächst, muss sie ausziehen. Die Dame des Hauses empfindet sie als Gefahr für den ehelichen Frieden. Wohl nicht ganz zu Unrecht.

Jeanne kommt in eine Klosterschule, aus der sie bald mit Schimpf und Schande verjagt wird, weil sie Bücher liest, die im Lektürekanon der Nonnen nicht vorgesehen sind. Sie zieht nach Paris, arbeitet als Kurtisane in einem einschlägigen Etablissement. Schön, charmant und bereit, ihre Reize einzusetzen, wird sie zur Geliebten des Grafen Jean-Baptiste du Barry, der alles tut, um seine Stellung bei Hof zu verbessern. Er vermittelt Jeanne dem König als Mätresse. Um ihre einfache Herkunft zu vertuschen, fälscht du Barry ihre Geburtsurkunde und heiratet sie. Das gehört zum Geschäft.

Warten auf den König, um den sich alles dreht: Am Hof in Versailles wird Haltung verlangt.

Stéphanie Branchu / Why Not Productions

Aus Jeanne Vaubernier ist Jeanne du Barry geworden. Als nunmehr Adelige wird sie am Hof eingeführt und zieht schon beim ersten Auftritt die Aufmerksamkeit des Königs auf sich. Mehr als das. Der alternde Herrscher verfällt der jungen Frau, die sich selbstbewusst in einer Umgebung bewegt, die ihr fremd ist, die sie als grotesk empfindet und von deren Regeln sie sich nicht verbiegen lassen will. Er holt sie sogar nach Versailles, wo sie als Paria gilt. Mit ihrem unbefangenen Auftreten eckt sie an. Allen ist klar, dass ihr Adel ein Fake ist. Und auch wenn sie nicht die erste Bürgerliche ist, die zur Mätresse des Königs wurde: Eine Kurtisane, das ist zu viel. Vor allem für die Familie des Königs, deren Weltbild von Kirche und Katechismus geprägt ist.

Johnny Depp - Figure 3
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ
Das schwache Geschlecht

Maïwenn inszeniert die Cinderella-Geschichte aus den märchenhaften Tiefen der französischen Geschichte als barocken Kostümfilm, mitunter mit feinem Humor. Vor allem aber inszeniert sie sich selbst. Jeanne muss «bella figura» machen, das ist das oberste Gebot. Sie mischt Versailles auf, wenn auch nur ein bisschen. Dass ihr Leben am Hof über weite Strecken die Hölle ist, scheint ihr wenig anzuhaben. Und dass daran nicht in erster Linie die fiesen Hofdamen schuld sind, die sie mobben, sondern ein System, in dem Frauen als dekorative Spielfiguren eingesetzt werden und die Männer in einem Geflecht von Abhängigkeiten gefangen sind, wird schlicht ausgeblendet.

Diese Madame du Barry versucht, in einer Welt, in der jeder Schritt vom höfischen Protokoll bestimmt ist, ein Stück Menschlichkeit zu schaffen. Und scheitert. Aber woran? Am König offenbar nicht. Johnny Depp, der einmal mit Vanessa Paradis liiert war und deshalb bestes Französisch parliert, gibt ihn als braven Trottel. Den Plänen seiner Minister kann sich dieser Louis XV. so wenig entziehen wie dem Ritual des morgendlichen Levers. Die Herren am Hof sind streng, aber nicht bösartig. In der ganzen Gemengelage darf Johnny Depp zwischendrin mal ein bisschen auf Jack Sparrow machen, aber die Weigerung, einer unbedeutenden Einladung der künftigen Schwiegertochter Marie-Antoinette nachzukommen, ist das Höchste an Opposition, das er sich erlaubt.

Natürlich gehören Gäste in einer vornehmen Gesellschaft nicht auf den Tisch, aber bei Jeanne du Barry (Maïwenn ) macht man in Versailles gern eine Ausnahme.

Stéphanie Branchu / Why Not Productions

Und Jeanne? Sie wird darauf reduziert, schön zu sein, verführerisch. Maïwenn scheint nicht mehr zu wollen, als das Bild zu bestätigen, das Jean-Jacques Rousseau zur Zeit von Louis XV. konzipiert hat: dass Frauen den Männern in jeder Hinsicht unterlegen seien. Das einzige Mittel, über das sie verfügten, seien die sexuellen Reize, durch die sie die Männer dann eben doch beherrschen könnten.

Oder auch nicht. Die Stärke von Maïwenns Jeanne du Barry zeigt sich am Ende darin, wie sie den an Pocken erkrankten König aufopferungsvoll pflegt. Bis er sich, kurz vor seinem Tod, aus Staatsräson von ihr abwendet und sie in ein Kloster schickt. Ein Plädoyer für die Liebe in einer von Intrigen und Machtgier beherrschten Welt? Vielleicht. Das wäre immerhin etwas. Auch wenn man von einer Filmemacherin wie Maïwenn mehr erwartet hätte.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten