ESC 2024: Isaak gewinnt Vorentscheid – und singt für Deutschland ...

17 Feb 2024

Hoffen auf bessere Platzierung

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ESC 2024 - Figure 1
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Vertritt Deutschland beim ESC: Isaak beim deutschen Vorentscheid 2024.

© Quelle: IMAGO/Future Image

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• 8 Minuten

Das Publikum und acht (!) Jurys haben entschieden: Sänger Isaak vertritt Deutschland beim Eurovision Song Contest im Mai in Malmö. Kann seine Powerballade „Always On The Run“ die schlimme ESC-Durststrecke beenden? Es gibt Anlass zur Hoffnung.

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Mit Kracherstimme und Powerballade zum Eurovision Song Contest: Sänger Isaak Guderian (28) aus dem ostwestfälischen Espelkamp vertritt Deutschland beim größten Musikwettbewerb der Welt am 11. Mai in Malmö. Er beeindruckte mit seiner Powerballade „Always On The Run“ inklusive Ethno-Schuss, die musikalisch im Umland des Rag ‚n‘ Bone Man („Human“) zu Hause war. Der Lohn für den Sympathiebolzen: Platz eins und Standing Ovations.

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In einer musikalisch erfreulich vielfältigen ARD-Show lieferte Isaak die energiereichste und emotionalste Nummer ab. „Es ist unfassbar“, freute er sich nach dem Sieg. Die acht internationalen Fachjurys, deren Stimmen zu 50 Prozent zählten, hatten ihre Sympathien noch recht variabel verteilt. Bei den ESC-Experten und Expertinnen lagen am Ende allerdings auch Isaak und ESC-Rückkehrer Max Mutzke vorn.

ESC 2024 - Figure 2
Foto RND

+++ Lesen Sie hier die Show im Liveticker nach +++

Mit rauhem Ethnopop also will Deutschland endlich die hartnäckige Durststrecke beim ESC beenden. Und mit dem Jahrgang 2024 zeigte der zuletzt viel kritisierte NDR, dass er die Mission Pop doch ernst nimmt. Den Göttern des Pop ist dafür zu danken, dass diesmal kein fernes Echo der Trash-Nullerjahre durch den ESC-Vorentscheid wehte. Kein Ikke Hüftgold war am Start, kein Ballermann-Trash, kein durchgeschusseltes Shit-Show-Personal (Rudolph Mooshammer, Zlatko, „Die Gerd Show“).

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Eine üppige Bandbreite zeitgenössischer Popmusik

Stattdessen lieferte die Sendung eine durchaus üppige Bandbreite zeitgenössischer, junger Popmusik. Und das trotz des erneuten Zutuns der ARD-Popradiosender (oder wie sie im unvergleichlichen ARD-Jargon heißen: der „jungen Wellen“). Es geht doch!

"Für dich bin ich wieder naiv": Schlagersternchen und Schlagersternchentochter Marie Reim beim deutschen ESC-Vorentscheid 2024.

© Quelle: Christoph Soeder/dpa

Der 24‑jährige (und 1,99 Meter große) Daniel Leon Schmidt alias NinetyNine eröffnete die Show mit seinem funkigen „Love on a Budget“, das entfernt an Ed Sheerans Überhit „Shape of You“ erinnerte – aber nicht im Sinne eines bösen Plagiats, sondern eher in Fragen von Vibe und Flow (Platz 7). Die Hamburgerin Leona (20) blieb mit ihrer Katie-Melua-artigen, federzarten Schmerzensballade „Undream You“ trotz Begeisterung im Saal leider kaum im Gedächtnis (Platz 9).

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Foto RND
Eine spartanisch-verkopfte „Katze“

Das Duo Galant ging mit einer spartanischen, aber etwas verkopften Electropop-Spielerei namens „Katze“ an den Start. Trios Casio-Sound und die Neue Deutsche Welle ließen grüßen (Platz 5). Floryan, Sieger einer Wildcard in der zusätzlichen ARD-Entscheidungsshow „Ich will zum ESC!“ mit Conchita Wurst und Rea Garvey, entzückte mit seiner Selbstermächtigungs-Ballade „Scars“ zwar die queere ESC-Fanbasis, hatte aber einige nervositätsbedingte Gasttöne in seinem Vortrag (Platz 8).

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Niederländisch-kanadische Altstimme: Sängerin Bodine Monet beim deutschen ESC-Vorentscheid 2024.

© Quelle: IMAGO/Future Image

Bodine Monet, Niederländerin mit kanadischen Wurzeln, war mit einem ganz starken Song ins Studio Adlershof in Berlin gereist: Mit ihrer hübsch verqualmten, aus der Tiefe des Raums kommenden Stimme lieferte sie eine feine Performance ab („Tears Like Rain“, Platz 4). Rick Jurthe alias Ryk (34) aus Bad Nenndorf, vor fünf Jahren schon mal Dritter beim Vorentscheid (als Michael Schulte gewann), trat mit einer ebenso reizvollen wie komplexen Schattenmanngrübelei namens „Oh Boy“ an. Die ESC‑Bubble erinnerte der Titel in seiner spartanischen Möblierung entfernt an Duncan Laurences Siegertitel „Arcade“ von 2019 in Tel Aviv. Am Ende reichte es für Platz 3.

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Foto RND
Die Rückkehr des Max Mutzke

Das Showfinale gehörte dann den bekanntesten Namen: ESC-Legende Max Mutzke legte 20 Jahre nach seinem achten Platz in Istanbul („Just Can‘t Wait Until Tonight“) eine stabile Ballade namens „Forever Strong“ hin, in der man sich dank seiner Samtstimme sofort heimisch fühlte (Platz 2). Und Schlagerküken Marie Reim, eine optische und akustische Eins-zu-Eins-Kopie ihrer Mutter Michelle (ESC-Achte vor 23 Jahren in Kopenhagen), lieferte ein industriell gefertigtes Schlagerprodukt namens „Naiv“ ab, das in seiner Karnevalsbumsigkeit dann aber doch zu billig war (Platz 6).

ESC-Rückkehrer nach 20 Jahren: Max Mutzke singt "Forever Strong" beim deutschen ESC-Vorentscheid 2024. Für das Ticket nach Malmö zum ESC-Finale reichte es aber nicht.

© Quelle: Christoph Soeder/dpa

Inhaltlich war es das Jahr der emotional stabilisierenden Mutmachballade. So viel „Du schaffst das!“, so viel „Du darfst sein, wer du bist!“ war selten. Die ganze Show – ein Musik gewordenes Empowerment-Seminar für die traumatisierten Sinnsucher der Generation Nabelschau.

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Wieder verzichtete der federführende NDR darauf, das Votum vollständig in die Hände derer zu legen, die sich am besten damit auskennen, was normale Menschen mögen: normale Menschen. Stattdessen trafen nicht weniger als acht „internationale Fachjurys“ eine Vorauswahl, bevor das Publikum an der Reihe war. Das Votingprozedere des Vorentscheids machte wie im Vorjahr den legendären „Tutti Frutti“-Spielregeln den Ehrentitel als komplexestes und meistbekichertes TV-Regelwerk der jüngeren Fernsehgeschichte streitig.

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Foto RND
Aufwändiges Voting-Prozedere mit acht Jurys

Hier die Kurzzusammenfassung: 50 Prozent der Punkte wurden also von acht Jurys aus acht Ländern vergeben, nämlich Spanien, Litauen, der Schweiz, Österreich, Großbritannien, Schweden, Kroatien und Island. Warum? Man weiß es nicht. Der NDR versichert, es handele sich um „internationale ESC-Kenner, erfolgreiche Komponisten, Produzenten und Vocal Coaches“. Na, dann. Diese acht Länderjurys vergaben jeweils 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8, 10 und 12 Punkte an ihre favorisierten Titel (die 7 Punkte wurden nicht vergeben). Der Act, der also nach dem Juryvoting auf Platz eins lag, verfügte dann umgerechnet über zwölf Punkte, der zweite über zehn, der dritte über acht. Sind Sie noch bei mir? Jetzt noch mal konzentrieren beim Mitlesen!

Die anderen 50 Prozent der Wertung stammten vom Publikum der TV-Liveshow, abgegeben per Anruf, SMS oder Onlinevoting. Oder wie die Verantwortlichen schon im Vorjahr in erläuternder Absicht anfügten: „Die gleiche Anzahl an Punkten, die von den internationalen Jurys verteilt wurden, werden im prozentualen Verhältnis des deutschen Televotings auf die Songs verteilt.“ Ähm, ja.

„Wir können beim ESC nicht Letzter werden, wir sind in der Pisa-Studie schon Letzter!“: Moderatorin Barbara Schöneberger beim deutschen Vorentscheid 2024.

© Quelle: Christoph Soeder/dpa

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Dass der ESC auf der ARD-internen Prioritäten­liste inzwischen weiter hinten rangiert als in den meisten Vorjahren, zeigte freilich der Sendeplatz am späten Freitagabend: Die Liveshow lief – wie im Vorjahr – erst nach 22 Uhr im Ersten und auf One (wegen eines „Brennpunkts“ zum Tod des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny noch einmal 15 Minuten später). Barbara Schöneberger moderierte stabil und mit dem rustikalen Charme des erfahrenen Entertainment-Knallbonbons („Wir können beim ESC nicht Letzter werden, wir sind in der Pisa-Studie schon Letzter!“). Auch reduzierte man dankenswerterweise die plüschigen Käseigel-Romantik-Anteile fast auf Null. Das ist sachdienlich, denn wer den ESC als sentimentales Retro-Event missversteht, wird nicht reüssieren.

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Deutschland ist nicht automatisch chancenlos

Und wie stehen nun die Chancen für Isaak in Malmö? In den vergangenen acht Jahren landete Deutschland als Kellerkind des ESC viermal auf dem letzten und dreimal auf dem vorletzten Platz. Nur 2018 gab es Platz vier. Man kann das jedoch nicht oft genug wiederholen: Deutschland ist beim ESC nicht automatisch chancenlos. Bei einem Song, der sich etwas traut, der herausragt aus dem Einheitsbrei, ins Risiko geht und zudem das Glück hat, auch noch den Mantel des Zeitgeistes zu erhaschen, spielt es keine Rolle, aus welchem Land er stammt.

Ist „Always On The Run“ ein solcher Song? Hat das Powerpaket Isaak das Zeug, 200 Millionen Europäer um den Finger zu wickeln? Gewiss wird dieses Lied in Malmö nicht untergehen. Dafür fällt der Act zu sehr auf. Man will ja nicht unbescheiden sein: Schon der drittletzte Platz wäre der größte Erfolg der letzten fünf Jahre. Und das müsste doch zu schaffen sein.

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