Eigenbrauer-Syndrom: Betrunken ohne Alkohol – wen es treffen kann

5 Tage vor

Seltene Krankheit Betrunken ohne Alkohol: Wen das Eigenbrauer-Syndrom treffen kann

Eigenbrauer-Syndrom - Figure 1
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Beim "Eigenbrauer-Syndrom" braut der Körper selbst Alkohol

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2,1 Promille im Blut und keinen Tropfen getrunken? Das gibt es tatsächlich. Beim Eigenbrauer-Syndrom stellt der Körper von Betroffenen nach dem Essen selbst Alkohol her – eine Scheibe Brot wirkt wie ein Glas Wein

Stellen Sie sich vor, Sie fahren Auto und fühlen sich plötzlich wie benommen. Da gelangen Sie in eine Polizeikontrolle. Nach dem Pusten zeigen die Polizisten auf das Display. Über 2 Promille. Sie beteuern wahrheitsgemäß, nichts getrunken zu haben, was die Polizisten ihnen natürlich nicht glauben.

Diese Geschichte hat sich genau so ereignet. Der betrunkene Mann hatte in seinem Darm selbst Alkohol produziert. Er leidet am Eigenbrauer-Syndrom (auf Englisch "Auto-Brewery Syndrome"). Der Name passt. Denn der Körper von Betroffenen braut von selbst Alkohol im Darm. Was lustig klingt, bringt Betroffene der Krankheit jedoch immer wieder in teils gefährliche Situationen. 

Was dabei genau im Körper vor sich geht, warum Pizza betrunken macht – und wen es treffen kann.

Was ist das Eigenbrauer-Syndrom?

Bei Menschen mit Eigenbrauer-Syndrom ist die Mikrobiologie des Darmes gestört, etwa durch ein schwaches Immunsystem oder nach der Einnahme von Antibiotika. In der Folge siedeln sich bestimmte Hefepilze (Saccharomyces cerevisiae) im Darm an. Die Hefepilze werden sonst zum Backen und beim Bierbrauen verwendet. Sie können sich so stark vermehren, dass dadurch eine alkoholische Gärung entsteht – der Betroffene wird betrunken. Durch die starke Belastung der Leber kann die Erkrankung langfristig und unbehandelt sogar zu einer Zirrhose führen, die in 50 Prozent der Fälle tödlich enden kann. Außerdem setzen sich die unfreiwillig Betrunkenen natürlich Gefahren aus, etwa wie oben beschrieben beim Autofahren, oder bei der Arbeit mit Maschinen. Menschen werden nicht mit dem Eigenbrauer-Syndrom geboren, können es aber entwickeln, wenn sie bereits an einer anderen Darmerkrankung leiden.

Eigenbrauer-Syndrom - Figure 2
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Wie entsteht die Krankheit? Wie kann man sie behandeln? 

Häufig kommt es zu dem Gärungsprozess nach dem Verzehr von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln, wie Pizza oder Brot. Es wird angenommen, dass die Hefepilze im Darm Kohlenhydrate zu Alkohol fermentieren. Somit ist eine Behandlungsmöglichkeit, die Hefepilze aushungern zu lassen. Das gelingt ganz einfach durch den Verzicht auf Kohlenhydrate. Die Gabe von Antipilzmitteln hilft ebenso, probiotische Bakterien können zudem den Darm unterstützen. 

Wenn Teenager Drogen ausprobieren, bis zur Bewusstlosigkeit Alkohol trinken und in riskanten Mutproben ihr Limit austesten, machen sich Mütter und Väter oft große Sorgen. Die Psychologin Karina Weichold erklärt, weshalb daraus aber nur selten dauerhafte Probleme entstehen. Und wie Eltern erkennen, wann ihre Kinder wirklich in Gefahr sind

Welche bekannten Fälle gibt es vom Eigenbrauer-Syndrom?

Erstmals wurde 1972 in Japan über die Krankheit berichtet. Mittlerweile gibt es einige Dutzend Fallberichte in der medizinischen Literatur über das Eigenbrauer-Syndrom. Ärzte gehen davon aus, dass die Krankheit unterdiagnostiziert ist, was bedeutet: Es dürften viel mehr Menschen darunter leiden als jene, bei denen man die Krankheit offiziell festgestellt hat.

Hier einige Fallbeispiele:

Eigenbrauer-Syndrom - Figure 3
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2001: Ein nur 3-jähriges Mädchen mit Kurzdarmsyndrom ist nach dem Trinken eines kohlenhydratreichen Fruchtgetränks wiederholt betrunken. Dies äußert sich in bizarrem Verhalten, Schläfrigkeit, Orientierungslosigkeit. Ein Arzt vermutet, dass sie Alkohol missbraucht. Als sie nach einer Alkoholvergiftung untersucht wird, finden Ärzte in ihrer Magenflüssigkeit Hefepilze. Eine Behandlung mit Fluconazol (Mittel gegen Pilzinfektionen) beseitigt die Symptome.

2010: Ein Mann aus Texas (USA) leidet seit fünf Jahren unter seltsamen Beschwerden. Nach zwei Bier oder einer Praline mit Alkohol hat er 3,3 oder 4 Promille Alkohol im Blut, ist also sturzbetrunken. 2009 kommt er mit 3,7 Promille in die Notaufnahme, obwohl er keinen Alkohol getrunken hat. Ein Arzt stellt einen hohen Blutdruck und zu hohe Blutfettwerte fest. Tests ergeben, dass er Hefepilze im Stuhl hat. Der texanische Patient wird mit dem Pilzmittel Fluconazol behandelt und bekommt Bakterienkulturen verabreicht, um ein gesundes Darmmikrobiom wiederherzustellen. Nach 10 Wochen ist er durchgehend nüchtern.

2014: Ein 46-Jähriger aus Richmond (USA) klagt über Wesensveränderungen und Gedächtnisstörungen. Zudem hat er wegen Trunkenheit am Steuer immer wieder Ärger mit der Polizei, obwohl er beteuert, nichts getrunken zu haben. Die Uniklinik Richmond checkt ihn durch. Sein Dünndarm ist mit Hefepilzen besiedelt. Die Ärzte verordnen dem Pizza-Liebhaber eine strikt kohlenhydratarme Ernährung und ein Antipilzmittel. Nach eineinhalb Jahren kann er auch ohne Medikamente und Beschwerden wieder Brot und Pizza essen. 

2024: Der aktuellste Fall kommt aus Brügge (Belgien). Ein Mann wird vor Gericht wegen wiederholten Fahrens unter Alkoholeinfluss (2,1 und 1,6 Promille Alkohol) angeklagt. Eine ärztliche Untersuchung ergibt, dass der Angeklagte unter dem Eigenbrauer-Syndrom leidet. Der 40-Jährige wird freigesprochen.

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