Tarifkonflikt bei der Bahn: Letzte Station: Unbefristeter Streik

Am Donnerstag hatte die Deutsche Bahn noch nicht einmal mehr die Wahl zwischen Pest und Cholera, sie muss mit beidem fertig werden: Kurzfristig stört ein heranziehendes Unwetter den Zugverkehr in Deutschland, demnächst wird es wieder die bei der Bahn ungeliebte Eisenbahnergewerkschaft EVG sein. Sie rüstet sich für einen unbefristeten Streik mitten in der Sommerferienzeit. Ein Ausstand von solcher Dimension hat es seit mehr als 30 Jahren in Deutschland nicht gegeben.

Vier bis fünf Wochen werde es wohl dauern, bis die dafür notwendige Urabstimmung unter den 110.000 Mitglieder abgeschlossen ist. Stimmen 75 Prozent der Befragten dafür, können die Streikvorbereitungen beginnen. Bis in den September ziehen sich die Sommerferien. Gut möglich also, dass Millionen Urlauber betroffen sein werden, auch weil die EVG Warnstreiks während der Urabstimmung nicht ausschließen möchte.

Dabei hatte es in der vergangenen Woche nicht schlecht ausgesehen: Insgesamt sechs Tage lang verhandelten die Tarifvertragsparteien, „intensiv und konstruktiv“, hieß es von beiden Seiten. Herausgekommen ist ein Tarifvertrag von stattlichen 140 Seiten mit etlichen Unterpunkten und strukturellen Veränderungen im Lohngefüge des Bahnkonzerns mit seinen mehr als 200.000 Beschäftigten.

DB-Personalvorstand Martin Seiler wähnte sich nach mehr als vier Monaten mit konfrontativen und – im wahrsten Sinne des Wortes kurzweiligen – Tarifrunden endlich am Ziel. „Wir waren kurz davor“, heißt es jetzt frustriert aus dem Staatsunternehmen, das derzeit mit vielen Baustellen zu kämpfen hat, tatsächlich und im übertragenen Sinne: Mehr als 1000 im Jahr sind es auf dem überlasteten Schienennetz, hinzu kommen eine anstehende Generalsanierung mit etlichen Vollsperrungen, ein Konzernumbau und chronische Geldsorgen. Da wäre es schön gewesen, wenigstens mit den Beschäftigten einen zwar teuren, aber fairen Tarifabschluss zu erreichen.

Orientierung an Privatbahnen

Aber „kurz davor“ bedeutet noch lange nicht, im Ziel angekommen zu sein. Das weiß jeder, der kurz vor dem Frankfurter Hauptbahnhof noch scheinbar endlos vor der letzten Kurve darauf warten muss, dass das Gleis frei wird. Für die EVG-Tarifkommission und den Bundesvorstand war dieser Abschluss noch nicht gut genug. Die angebotene Laufzeit von 27 Monaten ist in den Augen der Gewerkschafter zu lang, und auch die Lohnerhöhung von insgesamt 400 Euro im Monat, aufgeteilt in zwei Schritten mit Beginn im Dezember, zu mickrig und zu spät. Außerdem hatte die Bahn noch eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie von knapp 3000 Euro angeboten, ebenfalls auszuzahlen in zwei Schritten.

Bei einigen Privatbahnen, allen voran dem Bahnunternehmen Transdev, ist die EVG dagegen schon am Ziel: 420 Euro im Monat für alle Beschäftigten plus Inflationsausgleichsprämie bei einer Laufzeit von 21 Monaten. Für die Beschäftigten bedeutet dies Steigerungen zwischen 9 und 18 Prozent.

Dies sei auch bei der Bahn ein Maßstab, findet die EVG, wenngleich die Welt beim Staatskonzern eine ganz andere ist: Viel größer und komplexer ist die Beschäftigtenstruktur der Bahn. Schon die früheren Angebote der Bahn summierten sich auf 1,3 Milliarden Euro im Jahr. Der weitere Verhandlungsspielraum für Personalchef Seiler ist gering, gleichzeitig stärkt die dauernde Personalknappheit die Verhandlungsposition der Gewerkschaft: Wolle die Bahn neues Personal gewinnen, müsse sie kräftig drauflegen, argumentiert sie.

Die Arbeitgeberseite kritisierte die Eskalation am Donnerstag scharf und machte deutlich, was das Scheitern der Tarifverhandlungen aus ihrer Sicht bedeutet: „Alles bisher in den Verhandlungen erreichte ist nun weg“, stellte Seiler klar. Ein Ergebnis werde durch die Urabstimmung um Monate hinausgeschoben. Für die Beschäftigten bedeutet dies, dass sich auch die angebotene Inflationsausgleichsprämie verzögert.

Damit könnte nicht nur den Urlaubern durch den Bahnstreik die Ferienzeit „vermiest“ werden, wie Seiler es formuliert, sondern auch den Beschäftigten. Der Bahn-Manager hatte stets betont, dass die Beschäftigten auf diesen steuerfreien Zuschuss warteten – vor allem mit Blick auf die Sommerferien. Sicherheitshalber schob er deshalb noch einmal nach: „An der DB liegt es nicht, sie ist weiterhin lösungsbereit.“

Und was wäre mit Schlichtung?

Verhandlungsbereit ist auch die EVG. Sollte ein neues Angebot von der Deutschen Bahn kommen, werde man sich dies natürlich anschauen. Auch der Möglichkeit einer Schlichtung werde man sich nicht verschließen, sagte der EVG-Vorsitzende Martin Burkert. Ein moderiertes Gespräch mit konstruktiven Impulsen könnte den Verhandlungen noch einmal Schwung verleihen, immerhin hat auch eine Frankfurter Arbeitsrichterin die EVG vom letzten großen Warnstreik bei der Deutschen Bahn abgehalten – allerdings drohte sie damals auch mit der Untersagung des Streiks, den die EVG deshalb auf die Privatbahnen beschränken musste.

Nach dem Warnschuss von der Richterbank kamen die Tarifvertragsparteien zum ersten Mal richtig ins Verhandeln. Den Spieß drehte EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch jetzt allerdings um: Der 50-stündige Warnstreik habe bei den Privatbahnen immerhin zu den gewünschten Abschlüssen geführt.

Eine Schlichtung hatte zuletzt auch im Öffentlichen Dienst den Durchbruch gebracht, dort wurde die Tarifeinigung schon vor Monaten erreicht. Seitdem blickt die Bahn neidvoll auf den Ausgang dieses Tarifkonflikts. In ihren bisherigen Angeboten hat sich die Deutsche Bahn stets daran orientiert – auch mit dem Argument, dass man als Staatskonzern mit einem Schuldenberg von mehr als 30 Milliarden Euro schwerlich den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes toppen könne.

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