Regierungskrise in Frankreich: 34-jähriger Attal wird Premierminister

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Stand: 09.01.2024, 12:20 Uhr

Von: Robert Wagner

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und Gabriel Attal, Bildungsminister von Frankreich, machen ein Selfie während einer Hafenrundfahrt im Hamburger Hafen.

Gabriel Attal, Bildungsminister von Frankreich, bei einer Hafenrundfahrt in Hamburg in Begleitung von Anke Rehlinger (SPD), Ministerpräsidentin des Saarlandes. Das Foto entstand während der deutsch-französischen Regierungskonsultationen im Oktober 2023. © Wolfgang Rattay/dpa

Frankreich steht vor einer Regierungsumbildung. Gabriel Attal wird neuer Premierminister. Der 34-Jährige gilt als politischer Senkrechtstarter wie Emmanuel Macron selbst.

Paris – Nach dem Rücktritt der ehemaligen Premierministerin Élisabeth Borne hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Amt des Regierungschefs neu besetzen müssen. Borne hatte am Montagabend (8. Januar) nach tagelangen Spekulationen ihren Rücktritt eingereicht, nachdem sich der interne Streit im Macron-Lager im vergangenen Dezember zugespitzt hatte. Der heißeste Kandidat für Bornes Nachfolge hat sich am Ende durchgesetzt.

Bildungsminister Gabriel Attal wird Frankreichs neuer Premierminister. Das teilte der Élyséepalast am Dienstag mit. Attal gilt als politischer Senkrechtstarter wie Macron selbst.

Gabriel Attal: Ein Senkrechtstarter wie Emmanuel Macron selbst – und ein Hardliner

Der erst 34-jährige Attal hat eine beeindruckende Karriere im Politikbetrieb von Paris hingelegt. Nach seinem Wechsel 2017 von den Sozialisten zur Macron-Partei Renaissance, die damals noch En Marche hieß, wurde er zunächst Parteisprecher und dann mit erst 29 Jahren Staatssekretär im Bildungsministerium. Schon damals galt er als das bis dahin jüngste Mitglied einer französischen Regierung seit 1958, wie der Tagesspiegel berichtete. 2022 machte Macron ihn zum beigeordneten Budgetminister und 2023 schließlich zum Bildungsminister.

In diesem Amt sorgte er im vergangenen Sommer für Aufsehen: Er kündigte an, das Tragen von Abayas, islamischen Übergewändern, an französischen Schulen zu verbieten, da diese die Religionszugehörigkeit der Schülerinnen sofort preisgeben würden. Dieses Verbot ist vor dem Hintergrund des staatstragenden Laizismus zu sehen, der Religion und Staat so weit wie möglich voneinander zu trennen versucht, ist aber auch Symptom eines gesellschaftlichen Rechtsrucks, der die Präsenz des Islams aus der Öffentlichkeit zu verdrängen versucht.

Gabriel Attal: Der beliebteste Politiker Frankreichs – und offen homosexuell

Dieser harte Kurs gegen einen an Schulen allzu sichtbaren Islam hat Attal, ein Vertrauter Macrons, politisch offenbar nicht geschadet. Im Gegenteil: Im Dezember 2023 stieg der Überflieger laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zum beliebtesten französischen Politiker auf. Damit hebt er sich von der zurückgetretenen Premierministerin Borne ab, die mit ihrem Ruf als Technokratin bei den Menschen in Frankreich nur mäßig beliebt war.

Attal wird mit der Entscheidung vom Dienstag (9. Januar) nicht nur der bisher jüngste, sondern auch der erste offen homosexuell lebende Regierungschef Frankreichs werden. Sein Lebenspartner ist der Europaabgeordnete Stéphane Séjourné (38), der zugleich auch Vorsitzender der Präsidentenpartei Renaissance ist.

Seine Beliebtheit könnte für Gabriel Attal zum Problem werden

Attal setzte sich damit gegen eine Reihe anderer Kandidaten für die Borne-Nachfolge durch. Laut Tagesspiegel war unter anderem der amtierende Verteidigungsminister Sébastien Lecornu (37) gehandelt worden, der manchen im Macron-Lager aber als zu konservativ galt. Im Gespräch war auch der ehemalige Landwirtschaftsminister Julien Denormandie (43). Beide sollen wie Attal enge Vertraute Macrons sein.

Anders als Lecornu und Denormandie hat der populäre und junge Überflieger Attal nach Ansicht der Nachrichtenagentur AFP allerdings das Potenzial, auf lange Sicht ein Konkurrent Macrons werden zu können. Und das könnte ihm gefährlich werden. Macron hatte sich von seinem ersten Premierminister Edouard Philippe getrennt, als dieser in Umfragen beliebter wurde als er selbst. Ebendiesen Philippe verdrängte Attal mit der Ipsos-Umfrage vom vergangenen Dezember bereits vom Spitzenplatz als beliebtester Politiker Frankreichs.

Regierungsumbildung in Frankreich: Eine Folge des Rechtsrucks Macrons

Es wird damit gerechnet, dass der nächste Premierminister auch zahlreiche Kabinettsmitglieder auswechseln wird. Dazu soll auch Außenministerin Catherine Colonna gehören, die ein gutes Verhältnis zu ihrer deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) hat. Élisabeth Borne hatte ihr Amt aufgegeben, nachdem es schon länger zu internen Streitigkeiten im Marcon-Lager gekommen war.

Macron setzt, getrieben von den starken Rechtsextremisten des Rassemblement National und den konservativen Republikanern, auf einen Rechtskurs und drückte zuletzt im Dezember ein umstrittenes Einwanderungsgesetz durch, das die eigenen Reihen spaltete. Das Gesetz wurde mit den Stimmen der Rechtsextremen und Konservativen angenommen, während ein Viertel des Regierungslagers (Renaissance und verbündete Parteien) ihre Zustimmung verweigerten.

Infolge dieser jüngsten Regierungskrise in Frankreich trat noch im Dezember bereits Gesundheitsminister Aurélien Rousseau zurück. Borne, die den Kurs Macrons mittrug, will vermutlich den Weg frei machen für eine komplette Regierungsumbildung. Präsident Macron nahm ihren Rücktritt an und dankte ihr im Onlinedienst X, dem ehemaligen Twitter, „von ganzem Herzen“ für ihre „vorbildliche“ Arbeit im Dienste Frankreichs. (Robert Wagner)

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