Vorläufige EM-Kadernominierung Nagelsmann nominiert Rapper, Jodler und Titelaspiranten

BERLIN · Das Ende der Salami-Taktik: Bundestrainer Julian Nagelsmann verkündet seinen Kader für die bevorstehende Heim-EM. Er nominiert vorerst 27 Spieler für am Ende 26 Plätze und gibt sich angriffslustig.

Bundestrainer Julian Nagelsmann nimmt an der Pressekonferenz zur Nominierung des vorläufigen DFB Kaders für die Fußball Europameisterschaft teil.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Salami-Taktik. Der neue Kniff von Julian Nagelsmann. „Er spricht von einer genialen Idee.“ 13.04 Uhr am Donnerstag in Berlin, das Brandenburger Tor in Sichtweite. Jetzt ist es raus. Gerade sind 27 Namen benannt worden, davon die von vier Torhütern. 26 Spieler kann Nagelsmann mitnehmen zur Heim-EM. „Die Wackelkandidaten wissen Bescheid.“ Die vier Torhüter Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen, Oliver Baumann und Alexander Nübel sollen alle mit. Scheibchen für Scheibchen haben der Bundestrainer und der Deutsche Fußball Bund (DFB) in den vergangenen Tagen die Namen einzelner Spieler des Kaders für die Europameisterschaft bekannt gegeben. Als Tagesschau-Sprecher Jens Riewa am vergangenen Wochenende den Namen des Dortmunder Innenverteidigers Nico Schlotterbeck als ersten EM-Fahrer verkündete, dachte viele an eine undichte Stelle. Steht die Abwehr oder ist das ein Leak? Und so ging es weiter. Ilkay Gündogan grüßte von einem übergroßen Werbeplakat am Alexanderplatz schon Richtung Olympiastadion, Ort des EM-Finals, Antonio Rüdiger meldete sich per Clip aus seinem liebsten Döner-Laden in Kreuzberg.

Oma Lotti, ein Friseur, eine Dachdeckerin, eine Stewardess machen bei der Kader-Vorstellung am Donnerstag in einem eingespielten Video des Verbandes dort weiter, wo der DFB aufgehört hat. Augenzwinkernd sagt der Bundestrainer: „Eine gute Truppe, könnte von mir sein.“ Er betont: „Wir haben einen sehr guten Kader, und jeder will Minuten sammeln.“ Nagelsmann hat gerade einige schwierige Gespräche hinter sich. Zu Wochenanfang habe er dem Dortmunder Mats Hummels und dem Münchner Leon Goretzka die enttäuschende Nachricht überbringen müssen: Sie werden nicht dabei sein, wenn das deutsche Team ab dem 14. Juni mit dem Eröffnungsspiel gegen Schottland sich auf den Weg macht, den vierten EM-Titel nach 1972, 1980 und 1996 einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu gewinnen. Der Trainer als Hiob? Er mache so etwas nicht gern. „Das waren keine bösen Gespräche, aber es gibt angenehmere im Leben.“ Nagelsmann hat nach eigenen Worten alle Spieler angerufen, die er in seiner kurzen Zeit als Bundestrainer in die Nationalmannschaft berufen hatte. Der eine habe geschwiegen, der andere habe nach einer präzisen Begründung gefragt. Es sei auch „emotional“ gewesen. Das kürzeste Gespräch sei nach 1:11 Minute vorbei gewesen, das Längste habe 22:30 Minuten gedauert.

Schon nach den ersten Länderspielen unter seiner Leitung im März gegen Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) hätten er und sein Trainerteam „20 bis 25 Minuten“ mit jedem Spieler über dessen Rolle gesprochen. Beispiel: „Akzeptierst Du, wenn Du Nummer 18 bist?“ Okay, jeder wisse jetzt Bescheid. Falls der Spieler dann in der Vorbereitung doch seine Meinung ändern sollte, gibt sich Nagelsmann entschlossen. „In Weimar gibt’s auch einen guten Bahnhof. Dann fährt er halt wieder“, spielt der Bundestrainer auf das Auftakt-Trainingslager vom 26. bis 31. Mai im thüringischen Blankenhain im Landkreis Weimarer Land an. Er weiß: „Jeder Spieler hat seinen Charakter, hat seinen Wesenszug.“ Und es gehe auch nicht darum: „Passt er zu mir als Trainer? Sondern passt er zu der gesamten Gruppe mit allem, was dazugehört.“

Thomas Müller als „Connector“

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Das ist der EM-Kader der deutschen Mannschaft

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Thomas Müller zum Beispiel sei das, was heute „Neudeutsch Connector“ genannt werde. Er könne Gruppen innerhalb des Teams miteinander verbinden. Ganz im Sinne des Nagelsmann’schen Netzwerks: „Wir kicken.“ Müller, von dem es unter Louis van Gaal hieß: „Müller spielt immer“, könne „mit den Rappern in der Mannschaft, er kann auch mit denen, die gut jodeln“. Rapper, Jodler, „Drecksack“-Mentalität wie Robert Andrich, Künstler wie Ilkay Gündogan, Strategen wie Toni Kroos, Abwehrchef Antonio Rüdiger. Natürlich glaubt Nagelsmann an seine Truppe, die er um Rüdiger und Kroos „als gewisse Achse“ gebaut habe. Er glaube auch daran, dass sie den Titel bei dieser Heim-Europameisterschaft gewinnen können. Er erkenne nach den zwei sehr guten Spielen gegen Frankreich und gegen die Niederlande „eine „wachsende Struktur, die aber immer noch fragil ist“. Nicht alles, aber doch einiges hänge davon ab, wie sie gegen Schottland in das Turnier starteten. Und Schottland sei „nicht mehr kick and rush“, einfach langer Ball nach vorne. Wie war das gleich nochmal bei den Deutschen? „Wir kicken.“

Und nun sechs Wochen Vorbereitung und Turnier. Es ist auch für Nagelsmann sein erstes Turnier als Trainer. „Ich will schon, dass es mitreißend wird, dass es begeisternd wird.“ Er verstehe Fußball prinzipiell als Unterhaltungsbranche. Salami-Taktik ist vorbei. Und jetzt? „Ein gutes Getränk, ein guter Kaugummi, dann läuft das Projekt.“ Wenn er doch in eine Stresssituation geraten sollte, für die er Beratung von außen brauche, habe er Nummern, „da kann ich anrufen“. Doch sein Energielevel sei groß genug. Er will es schaffen – mit seiner Truppe. Rappen, jodeln, aber kein Hilferuf.