Linde beschließt Abschied von der Frankfurter Börse

19 Jan 2023
Linde

Der Dax-Konzern Linde plc verabschiedet sich von der Frankfurter Börse. Die Aktionäre hätten mit mindestens etwa 93 Prozent der Stimmen für diesen Schritt votiert, teilte das weltgrößte Industriegase-Unternehmen am Mittwoch im britischen Woking mit.

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Der Rückzug von der Frankfurter Börse soll den Angaben zufolge voraussichtlich zum 1. März oder um das Datum herum wirksam werden. Damit verliert der Dax sein wertvollstes Mitglied: Zuletzt wurde die Gesellschaft mit rund 150 Milliarden Euro bewertet.

Die Aktionäre von Linde plc sollen für je eine Aktie ein Papier der neuen Linde-Holdinggesellschaft erhalten, die an der New Yorker Börse Nyse gelistet wird. Lindes Nachfolger im Dax dürfte laut Index-Experten der Deutschen Bank und der Société Générale, der Rüstungskonzern und Automobilzulieferer Rheinmetall werden.

Größte Aktie von Deutschland nur noch an Wall Street handelbar

Das deutsche Traditionsunternehmen ist mit dem US-Gashersteller Praxair eine Fusion eingegangen. Seitdem liegt ein Schwerpunkt in den USA und auch an der Börse dort. Die Entscheidung, die eigenen Aktien nicht mehr in Frankfurt, sondern nur noch in New York an der Wall Street handeln zu lassen, fiel im Verwaltungsrat von Linde bereits im Oktober. Es folgte nun eine außerordentliche Aktionärsversammlung in den USA. Der schließt sich noch ein Gerichtsverfahren in Irland an, wo Linde seit der Fusion mit Praxair den Firmensitz hat.

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Das operative Tagesgeschäft wird auch nicht mehr in München geleitet, sondern von Guildford bei London. Dort liegt nun der unternehmerische Schwerpunkt. Nach Umsätzen zugeordnet macht Linde den Großteil seiner Erlöse seit der Fusion mit Praxair auf dem amerikanischen Markt. Ein Viertel entfällt im Gasgeschäft noch auf Europa und etwa 20 Prozent in Asien.

Insgesamt ist der Konzern in rund 100 Ländern weltweit tätig. Die Anwendungen reichen von Herstellungsprozessen in Industrie und Handwerk bis hin zur Medizintechnik. Seit vielen Jahren ist Linde damit kein deutsches Unternehmen mehr sondern ein Global Player. Als solcher ist der Konzern weltweit aktiv und agiert dabei auch flexibel, teils mit Verkäufen oder Verlagerungen verschiedener Bereiche.

Mit bayerischen Brauereien und einem Universitätsprofessor fing es an

Mehrere Vorläufer der späteren Linde AG, die inzwischen eine PLC (Public Limited Company) nach britischem und irischem Recht ist, wurden von dem Münchner Universitätsprofessor, Industriepionier und Erfinder Carl von Linde (1842-1934) gegründet. Den ersten Anlauf nahm der Ingenieur mit Kältemaschinen für Münchner Brauereien, für die er ein Patent hatte, das er in Teilen an seine ersten Investoren verkaufte. Aus dieser Kältetechnik wurden später Kühltruhen und Kühlschränke, wie jeder sie heute kennt.

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Carl von Linde (1842 - 1934)

Gründungen in Wiesbaden, München und Aschaffenburg

Auf vielen Umwegen führte das zu einer Unternehmensgründung in Wiesbaden, wo Professor Linde sich aber nicht lange aufhielt. In München setzte er seine Forschungen fort und machte dabei weitere Erfindungen wie ein Verfahren zur Luftzerlegung in einzelne Gasbestandteile und ihre industrielle Verwendung. Ein Beispiel sind die bekannten Gasflaschen mit dem geschwungenen Linde-Schriftzug.

In Pullach bei München entstanden große Ingenieurbüros für den industriellen Anlagenbau zur Errichtung von Produktionsanlagen an vielen Standorten. Daraus ist die Engineering Sparte des späteren Weltkonzerns geworden.

Luft zerlegen und in Gasflaschen abfüllen - oder verflüssigen

Später kamen noch die Verflüssigung von Luft und zahlreiche weitere Verfahren hinzu, die heute sehr bekannt sind und zum Industriestandard wurden. Deren historische Bedeutung kann man daran erkennen, dass der langjährige Weltmarktführer und ewige Linde-Konkurrent "Air Liquide" ("Flüssige Luft") aus Frankreich bis heute das Produkt im Firmennahmen trägt, mit dem auch von Linde sich lange beschäftigt hatte.

Ein Ziel der Fusion mit Praxair war es, größer als Air Liquide zu werden und den Franzosen den Spitzenplatz im Gasgeschäft endlich streitig zu machen – das ist gelungen.

Selbst Praxair war schon Erfindung Carl von Lindes

Der erfinderische Professor in München, der lange Zeit seines Lebens zugleich Beamter beim Freistaat Bayern und privater Unternehmer war, hatte aber noch mehr Ideen. Ein Beispiel sei genannt: Linde war auch Maschinenbauer. So entwickelte er Patente für Hydraulik-Anlagen, die eine Grundidee für die spätere Produktion von Gabelstaplern in Aschaffenburg lieferten. Selbst beim US-Unternehmen Praxair hatte der alte Firmengründer noch die Hände mit im Spiel.

100 Jahre nach Trennung kommt es zur Wiedervereinigung

Bei Praxair handelte es sich um ein früheres Tochterunternehmen von Linde, das im Ersten Weltkrieg von der US-Regierung konfisziert worden war und danach eigene Wege ging. Rund 100 Jahre später feierten beide eine Fusion unter Gleichen, mussten aber erst einmal aus Kartellrechtsgründen Firmenanteile in Europa und in den USA an andere Konkurrenten verkaufen. Im Kern wurden Linde und Praxair aber zusammen Weltmarktführer für die Herstellung industrieller Gase.

Das Engineering, der Anlagenbau, mit Sitz in Pullach bei München gehört immer noch dazu. Grundsätzlich steht seit etwa 20 Jahren die Steigerung des Marktwerts bei Linde ganz eindeutig im Mittelpunkt. Es wird also alles getan, um den Börsenkurs zu steigern und die Aktionäre damit zufrieden zu stellen.

Andere Bereiche des traditionsreichen Firmenerbes verkauft

Andere Geschäftsbereiche wie die Kältetechnik (Kühltruhen und Haushaltsgeräte) und die Gabelstapler von Linde waren vorher schon verkauft worden, um sich auf einen wesentlichen Bereich möglichst erfolgreich zu konzentrieren. Damit entfiel der Konglomerat-Abschlag für Börsenunternehmen mit mehreren unterschiedlichen Geschäftsbereichen, die nicht zwingend zusammengehören.

Anleger bevorzugen das sogenannte "Pure Play" von Unternehmen, die sich auf eine möglichst aussichtsreiche Sache konzentrieren und dort am besten Weltmarktführer werden. Beides hat Linde geschafft und damit den Aktienkurs massiv steigern können.

Als globale Nummer Eins inzwischen "zu gut" für DAX

Tatsache ist, dass Linde im Dax40 ein übergroßes Schwergewicht ist und der Index ohne seinen Spitzenwert ärmer wird. Genau das ist ein Grund für das erfolgreiche Traditionsunternehmen, den Dax zu verlassen.

Von den deutschen Unternehmen gehört schon lange keines mehr zu den TOP 100 der weltweit wertvollsten Börsenunternehmen. Linde mit Platz 59 wäre die große Ausnahme, wenn es noch ein deutsches und kein irisches Unternehmen wäre. An der Wall Street notiert die Linde Group zusammen mit vielen ähnlich hoch bewerteten Unternehmen, so dass eine marktgerechte Kursfindung kein Problem ist.

In Deutschland fehlt es dagegen an Vergleichbarem, weshalb die Bewertung der Linde-Aktien auf beiden Seiten des Atlantiks zuletzt oft unterschiedlich ausfiel. Diesen Ärger will man sich künftig ersparen und nimmt dafür in Kauf, aus einigen Fonds und anderen Finanzprodukten herauszufallen, die den Dax abbilden.

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