Vom »Todesrichter« zum Staatspräsidenten: Wer ist Ebrahim Raisi?

19 Mai 2024

Ebrahim Raisi bei einer Kundgebung vor der US-Botschaft in Teheran, November 2022

Foto: Contributor / Getty Images

Er soll in die iranische Provinz Ost-Aserbaidschan unterwegs gewesen sein, als sein Hubschrauber eine »harte Landung« erlitt: Aktuell ist unklar, ob Irans Staatspräsident Ebrahim Raisi noch am Leben ist. Rettungsteams seien zum Unfallort entsandt worden, berichtete die Nachrichtenagentur Irna.

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Wer aber ist Ebrahim Raisi? Warum gilt der Staatspräsident als Hardliner? Und: Welche Rolle spielte er bei den Massenprotesten in Iran seit 2022? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie wurde Raisi zum Staatspräsidenten?

Im August 2021 wurde Raisi als neuer Präsident Irans vereidigt, zuvor hatte er die Präsidentenwahl im Juni mit knapp 62 Prozent der Stimmen gewonnen. Der 63 Jahre alte erzkonservative Kleriker wurde damit offizieller Nachfolger von Hassan Rohani, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten durfte.

Raisi trat als Spitzenkandidat der politischen Hardliner an sowie als Wunschkandidat und Protegé des Religionsführers Ajatollah Ali Khamenei. Khameneis Regierung steht seit Jahren wegen ihrer repressiven Politik und der Wirtschaftskrise im Land in der Kritik. Raisi gilt bislang als Khameneis Nachfolger auch für den Posten des obersten geistlichen Führers.

Wie begann Raisis Weg an die Macht?

Geboren wurde Raisi 1960 als Sohn eines Geistlichen in der nordiranischen Pilgerstadt Mashhad. Als der Schah Mohammed Reza Pahlewi 1979 gestürzt wurde, war er gerade 18 Jahre alt.

Der junge Theologiestudent Raisi begriff offenbar rasch, welche Chancen der politische Umbruch bot. Obwohl er bis dahin das islamische Recht nur begrenzt kannte, wurde er schon zwei Jahre später zum Staatsanwalt der Stadt Karaj bei Teheran ernannt. Dort wurde er durch die gnadenlose Verfolgung von Regimegegnern bekannt.

Welche Rolle nimmt Raisi in der Islamischen Republik ein?

Raisi gilt innerhalb des islamischen Systems als sehr einflussreich. Über drei Jahrzehnte war er in der Justizbehörde tätig, 2019 wurde er zum Justizchef ernannt. Ihm wird nachgesagt, in seiner früheren Funktion als Staatsanwalt für zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen politischer Dissidenten verantwortlich gewesen zu sein.

Laut Verfassung ist Raisi Regierungschef, während die eigentliche Macht beim Staatsoberhaupt Khamenei liegt; dieser hat in allen strategischen Belangen das letzte Wort. Raisi soll ein enges Verhältnis zu Khamenei pflegen.

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Warum wurde Raisi als »Todesrichter« bekannt?

Irans Staatspräsident Ebrahim Raisi, Mai 2024

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Als einer von vier Scharia-Richtern überwachte Raisi schon 1988 die Hinrichtung Tausender politischer Gefangener. Als 2009 dann Iranerinnen und Iraner gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmoud Ahmadinejad demonstrierten, kamen Regimegegner dafür ins Gefängnis. Raisi sollte Vorwürfe untersuchen, wonach Demonstrierende in den Gefängnissen vergewaltigt worden seien. Als er seine Ermittlungen abschloss, landeten aber nicht die mutmaßlich Verantwortlichen vor Gericht, sondern jene, die Vorwürfe erhoben hatten.

2019 verhängten die USA Sanktionen gegen Raisi wegen Menschenrechtsverletzungen.

Wie füllt Raisi sein Präsidentenamt aus?

Nachdem Raisi zum Präsidenten gewählt worden war, verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation in Iran. Raisi konzentrierte sich allerdings vor allem auf Repressionen gegen Andersdenkende. So verschärfte er die Zensur und die Überwachung der Oppositionellen.

Mit seiner Präsidentschaft stieg die Zahl der Hinrichtungen an. Frauen sowie Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten sind davon überproportional betroffen.

Welche Rolle spielte Raisi bei den Massenprotesten seit 2022?

Im Herbst 2022 löste der Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini massive Proteste in Iran aus. Die junge Frau starb im Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen angeblichen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war.

Landesweit demonstrierten Zehntausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem. Die Sicherheitskräfte reagierten mit Gewalt und harten Strafen. Zehntausende Demonstrantinnen und Demonstranten wurden verhaftet, viele wurden bei den Protesten getötet, mehrere hingerichtet. Die Proteste stürzten die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Raisi beschuldigte ausländische Akteure, die Unruhen geschürt zu haben.

Wie verhält sich das Ausland zu Raisi?

Die EU beschloss mehrfach Sanktionen gegen Iran – wegen Menschenrechtsverletzungen, aber auch wegen der Unterstützung des Regimes für Russlands Kriegs gegen die Ukraine. Zugleich wächst die Sorge, dass Iran zur Atommacht werden könnte. Die internationalen Atomverhandlungen mit Teheran stecken in einer Sackgasse. Unter Raisis Regierung verschlechterte sich auch die Beziehung zum Westen.

Zutiefst verfeindet ist Iran mit Israel. Im April griff das Land Israel erstmals direkt an und nicht über regionale Stellvertreter wie die Huthi-Milizen im Jemen oder die Hisbollah-Miliz im Libanon. Vorausgegangen war die Bombardierung eines iranischen Botschaftsgeländes in Syriens Hauptstadt Damaskus. Auch dieser Angriff hat die Furcht vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten geschürt.

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