Altmaier und Zverev: Neue deutsche Welle bei den French Open

Huch, was ist denn da plötzlich im deutschen Herrentennis los? Jahrelang musste Alexander Zverev den Alleinunterhalter geben, gewann zweimal das Jahresabschlussturnier der acht Besten, wurde Olympiasieger und war auch bei allen anderen bedeutenden Turnieren der einzige, von dem Erfolge erwartet werden durften. Auch Wohl und Wehe im Davis Cup hingen vor allem vom Hamburger ab. Zverev gut, alles gut, so lautete die unausgesprochene Lösung.

Doch plötzlich rauscht eine neue deutsche Welle heran, die ein paar alte Bekannte mit sich trägt. Jan-Lennard Struff, 33 Jahre alt und aus Warstein, Yannick Hanfmann, 31, aus Karlsruhe, und Daniel Altmaier, 24, aus Kempen schlagen einer nach dem anderen Top-Ten-Spieler und lassen die Tenniswelt aufhorchen und staunen.

„Ich bin unglaublich überrascht“

In der Weltrangliste geht es für alle nach oben auf Plätze zwischen 23 und 58, außer für den eigentlichen Wellenreiter Zverev, der bei den French Open nach seinem Halbfinaleinzug aus dem Vorjahr viele Punkte zu verlieren hat. „Ich bin unglaublich überrascht und glücklich darüber, was das deutsche Männertennis gerade zu bieten hat“, sagte Zverev, nachdem er bei den French Open sein Zweitrundenmatch gegen den Slowaken Alex Molcan am späten Donnerstagabend souverän 6:4, 6:2, 6:1 gewonnen hatte.

Überraschung und Glück könnten sich bei den French Open sogar ins Unglaubliche steigern. Nämlich dann, wenn sowohl Zverev (gegen den Amerikaner Francis Tiafoe) als auch Altmaier (gegen den Bulgaren Grigor Dimitrow) ihre Drittrundenbegegnungen an diesem Samstag gewönnen und dadurch im Achtelfinale aufeinanderträfen. Altmaier erreichte bereits einmal in Roland Garros die Runde der letzten Sechzehn, das war 2020 bei seinem Grand-Slam-Debüt.

Zverev dagegen hat dort eine Art Stammplatz. Elfmal nacheinander stand er im Achtelfinale eines der vier wichtigsten Turniere, ehe er nach monatelanger Verletzungspause im Januar bei den Australian Open in der zweiten Runde scheiterte. „Für ihn wäre es ein Wahnsinnserlebnis, für mich wäre es auch super“, sagte Zverev, der sich als „riesen Daniel-Altmaier-Fan“ bezeichnete. Mit der Wertschätzung steht die deutsche Spitzenkraft in Paris nicht alleine.

Altmaiers Match gegen den Weltranglistenneunten und Mitfavoriten Jannik Sinner war mit 5:26 Stunden Spielzeit nicht nur das längste im bisherigen Turnierverlauf, sondern auch eines der packendsten: voller Drehungen im Kleinformat, die sich aufs große Ganze auswirkten. Altmaier hatte im vierten Satz zwei Matchbälle abwehren müssen und fand danach für die Spannungsbögen bei seiner Begegnung mit dem Südtiroler eine feine Formulierung: „Jeder Punkt hat im Tennis seine eigene Geschichte.“

„Auf der großen Bühne zeigen“

Der letzte Punkt zum 6:7 (0:7), 7:6 (9:7), 1:6, 7:6 (7:4), 7:5 war eher ein Ausrufezeichen – er servierte ein Ass. Am Ende löste sich die ganze Anspannung des 24-Jährigen in Tränen auf. Als Altmaier beim Siegerinterview auf dem Court Suzanne Lenglen seine Rührung einigermaßen überwunden hatte und wieder sprechen konnte, bekannte er, wie viel ihm der Sieg bedeute: „Ich will mich einfach auf dieser großen Bühne zeigen.“

Das letzte Mal, als Altmaier aus sportlichen Gründen heulte, war nach dem Davis-Cup-Qualifikationsspiel Anfang Februar gegen die Schweiz. In Trier hatte er das entscheidende Einzel gegen Stan Wawrinka verloren, aber daraus eine wichtige Erkenntnis gewonnen. „Ich habe den Jungs gesagt, dass wir das Davis-Cup-Feeling auch auf die Tour bringen müssen. Jeden Tag, an dem wir auf den Platz gehen, können wir uns als Team formen.“ Altmaier ist einer, der sich nicht als Einzelkämpfer fühlt und aufführt, sondern an und mit seinem Umfeld wächst.

Dabei scheut sich der Sohn eines ukrainischen Vaters und einer russischen Mutter nicht, ungewöhnliche Wege zu gehen. Am Niederrhein aufgewachsen, hat Altmaier den Mittelpunkt seines Sportlerlebens 2018 nach Argentinien verlegt. Dort trainiert er seit dieser Saison mit dem früheren Tennisprofi Alberto Mancini, der einst das Davis-Cup-Team seines Landes betreute.

Altmaier imponiert das Arbeitsethos im Land des Fußball-Weltmeisters, er ist fokussiert, ehrgeizig, will einen Grand-Slam-Titel gewinnen. Bei aller Plackerei besticht er mit seiner einhändigen Rückhand à la Roger Federer und Wawrinka. Als Profi stehe er in der Verantwortung, „ein vernünftiges Spiel auf dem Platz zu lassen“, sagte er nach seinem Sieg gegen Sinner.

In den vergangenen Jahren spielte und siegte Altmaier vor allem auf Turnieren der unterklassigen Challenger- und Future-Serien. Relativ gut Geld hat er dort verdient, aber Weltranglistenpunkte werden eher spärlich verteilt. Anders als bei einem hochrangig besetzten Masters-Turnier wie in Madrid, wo Altmaier im vergangenen Monat ins Hauptfeld nachrückte und sich dann bis ins Viertelfinale durchschlug; oder wie beim Höhepunkt der Sandplatzsaison in Paris.

142.000 Euro hat er hier schon verdient, in der Weltrangliste wird er nach dem Turnier von Rang 79 um mindestens 20 Plätze nach vorne rücken. Aber nach vorne schauen oder zurück, das ist nichts für Daniel Altmaier. „Mein Fokus liegt auf dem Hier und Jetzt.“ Alexander Zverev könnte noch früh genug seine Wege kreuzen.

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