Mehr Reichweite für Akkus: Wolfspeed und ZF planen moderne ...

1 Feb 2023
Mehr Reichweite für Akkus Wolfspeed und ZF planen moderne Chipfabrik im Saarland

Der Kanzler kommt, der Wirtschaftsminister auch: Das kann keine gewöhnliche Fabrikansiedlung sein, die nun in Ensdorf bei Saarlouis angekündigt wurde. Es geht um Zukunftstechnik – und um hohe Subventionen.

01.02.2023, 18.15 Uhr

Politiker posieren mit Platten: Holger Klein, Chef von ZF, die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolfspeed-CEO Gregg Lowe

Politiker posieren mit Platten: Holger Klein, Chef von ZF, die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolfspeed-CEO Gregg Lowe

Foto: THILO SCHMUELGEN / REUTERS

Erst Intel in Magdeburg, jetzt Wolfspeed im saarländischen Ensdorf: Deutschland zieht mit massiver staatlicher Förderung eine weitere Chipfabrik an Land. Der US-Konzern Wolfspeed will dort ein Werk für umgerechnet 2,75 Milliarden Euro bauen.

Der Haken: Ein großer Teil der Investition müsse über Subventionen finanziert werden, sagte Wolfspeed-Chef Gregg Lowe bei der offiziellen Ankündigung in Ensdorf bei Saarlouis. »Ohne diese Förderung könnte man das Projekt in Europa nicht realisieren.«

Der eigens angereiste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Fabrik als Beitrag zu einer größeren Versorgungssicherheit Europas mit Halbleitern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von einem wichtigen Signal, »dass der Standort Deutschland in einer schwierigen Lage weiter attraktiv ist, auch für Hochtechnologie.« Die Bundesregierung hoffe auf weitere Ansiedlungen von Halbleiterherstellern, die bislang überwiegend in Asien produzieren.

Die Fabrik soll auf dem Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerks entstehen und 600 Arbeitsplätze schaffen. Bund und Land stünden bereit, erhebliche Zuschüsse über den EU-Förderrahmen IPCEI zu leisten, und hätten in Brüssel bereits eine Genehmigung angefragt, sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person. »Das grüne Licht der EU-Kommission steht noch aus.« Die Freigabe sei aber sicher.

Hergestellt werden sollen ab 2027 Siliziumkarbid-Halbleiter, mit denen die Reichweite von Elektroautos gesteigert werden könnte. Sie kommen auch in Energie- und Industrieanlagen zum Einsatz.

Weltgrößte Fertigungsanlage für solche Bauteile

Beteiligt mit Know-how und einem finanziellen Beitrag von rund 170 Millionen Euro ist der Autozulieferer ZF Friedrichshafen. Es werde die weltweit modernste und größte Fertigung dieser Bauteile, erklärten die Unternehmen. Wolfspeed und ZF wollen zudem an einem anderen Standort ein Forschungszentrum errichten, um die Hochleistungschips weiterzuentwickeln.

»Diese Initiativen sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer erfolgreichen industriellen Transformation«, erklärte ZF-Chef Holger Klein. Der zweitgrößte deutsche Autozulieferer und traditionelle Getriebehersteller steckt wie die gesamte Branche mitten im Umbruch zur Elektromobilität. Mit dem weiten Einsatzfeld der Chips eröffneten sich auch für ZF neue Geschäftschancen.

Wolfspeed habe sich nach Prüfen einiger möglicher Standorte in Europa für Deutschland entschieden wegen der qualifizierten Arbeitskräfte. Davon erhofft sich das Unternehmen Lowe zufolge eine besonders profitable Produktion. »Das Niveau an Qualität und Ausbildung von Technikern in Deutschland ist sehr, sehr hoch«, sagte er. »Unsere Aufgabe ist nur, sie für Halbleitermaschinen auszubilden, und dafür haben wir vier Jahre Zeit.« Wolfspeed rechne mit einer Förderung in Höhe von rund 20 Prozent der Gesamtinvestitionskosten, sagte Lowe dem »Handelsblatt«.

Investitionen als Lockmittel

Die Europäische Union (EU) strebt an, die Abhängigkeit Europas von Asien bei Halbleitern zu verringern. Der Chipmangel während der Coronapandemie hat der Industrie die Anfälligkeit globaler Lieferketten vor Augen geführt. Die Autoindustrie kämpfte mit massiven Produktionsausfällen, der Pkw-Absatz sank in Europa trotz hoher Nachfrage auf den tiefsten Stand seit knapp 30 Jahren. Mit einem »European Chips Act« im Volumen von insgesamt 45 Milliarden öffentlicher und privater Investitionen soll der weltweite Produktionsanteil von Halbleitern in Europa binnen zehn Jahren auf 20 Prozent verdoppelt werden.

Die Chipfabrik im Saarland wird demnach ein weiterer Baustein zur Sicherung von Lieferketten für die Auto- und Elektronikindustrie nach der in Magdeburg geplanten Halbleiterfertigung des US-Konzerns Intel. Auch die deutschen Schwergewichte Bosch und Infineon investieren mit staatlicher Unterstützung Milliarden in Chipfabriken in Dresden.

Die deutsche Industrie warnt immer lauter vor Wettbewerbsnachteilen gegenüber den USA, seit US-Präsident Joe Biden im vergangenen Jahr den »Inflation Reduction Act«, ein 370 Milliarden Dollar schweres Förderprogramm klimafreundlicher Technologie, ankündigte. So befürchtet der Verband der Automobilindustrie (VDA) eine Spirale des Protektionismus. »Die transatlantische Partnerschaft muss vertieft statt mit Hürden versehen werden«, erklärte VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

Europas Antwort auf den IRA ist der »Green Deal Industrial Plan«. Das Maßnahmenpaket, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel präsentierte, soll den Weg der Wirtschaft zur CO₂-Neutralität beschleunigen. Scholz begrüßte die Vorschläge.

Aus Sicht der Bundesregierung ist die Chipfabrik im Saarland auch vor diesem Hintergrund ein Kontrapunkt im transatlantischen Standortwettbewerb. »Derzeit gibt es Sorgen, dass die USA mit ihrem Inflation Reduction Act Investitionen aus Europa abziehen – und jetzt zeigen wir, dass ein amerikanisches Unternehmen in Deutschland investieren will«, hieß es in Regierungskreisen.

Wolfspeed ist ein Spezialist für die Siliziumkarbid-Technik. Gegründet 1987, entwickelte die Firma die erste blaue Leuchtdiode. Inzwischen hat Wolfspeed rund 3500 Mitarbeiter weltweit.

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