Attentat auf slowakischen Ministerpräsidenten: Rasche Genesung ...

17 Mai 2024

Ein Mann wartet mit slowakischer Flagge vor dem Krankenhaus, in dem Robert Fico behandelt wird: Regierungschef mit schwerwiegenden Verletzungen

Robert Fico - Figure 1
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Denes Erdos / AP

Nach dem Attentat auf ihn ist der slowakische Regierungschef, Robert Fico, zwar außer Lebensgefahr, mit einer schnellen Genesung ist trotzdem nicht zu rechnen. Der 59-Jährige befand sich am Donnerstag nach einer fünfstündigen Operation weiter auf der Intensivstation des Universitätskrankenhauses in Banska Bystrica. Über das weitere Vorgehen, etwa eine Verlegung in die Hauptstadt Bratislava, müsse ein ärztliches Konsilium entscheiden, sagte die Klinikdirektorin Miriam Lapunikova der Zeitung »Dennik N«. Das Gremium werde voraussichtlich am Montag zusammenkommen.

Der Verteidigungsminister und Vizeregierungschef Robert Kalinák bezeichnete Ficos Gesundheitszustand am Donnerstag als weiterhin ernst. Der Regierungschef sei von vier Kugeln getroffen worden, die Verletzungen seien sehr schwerwiegend. Er könne jedoch schon wieder ein wenig sprechen. »Den Ärzten ist es gelungen, den Zustand zu stabilisieren«, sagte Kalinák. Lapunikova warnte, die Folgen der Schussverletzungen könnten eine Genesung erschweren. Ein erfahrener Chirurg, der nicht zum Behandlungsteam gehört, sagte »Dennik N«, die nächsten drei bis vier Tage dürften entscheidend sein.

Rücktritt Ficos aus gesundheitlichen Gründen könnte gesamte Regierung zu Fall bringen

Sollte es zum Rücktritt des Regierungschefs aus gesundheitlichen Gründen kommen, würde damit gemäß der slowakischen Verfassung automatisch die gesamte Regierung zu Fall gebracht. Dass ein Ministerpräsident wegen eines Attentats die Amtsgeschäfte nicht fortführen kann, scheinen die Väter des Grundgesetzes nicht berücksichtigt zu haben.

Allerdings könnte der Wechsel an der Spitze der Regierung 2018 als Muster dienen. Damals hatte Fico unter öffentlichem Druck nach dem Mord am Journalisten Ján Kuciak sein Amt niedergelegt. Die Koalitionsparteien einigten sich auf Peter Pellegrini als gemeinsamen Kandidaten für die Nachfolge, der dann von der Präsidentin ernannt wurde. 2023 kehrte Fico nach gewonnenen Wahlen für eine vierte Amtszeit als Ministerpräsident zurück. Solange Fico bis zur vollen Genesung nur pausiert, führen seine Stellvertreter in der Zeit die Regierungsgeschäfte weiter – mit Kalinák als Erstem in der Reihenfolge.

Robert Fico - Figure 2
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Polizisten vor der Wohnung des mutmaßlichen Attentäters

Foto: Alex Halada / AFP

Gegen den mutmaßlichen Attentäter wurden derweil strafrechtliche Ermittlungen wegen versuchten Mordes aufgenommen. Es handelt sich um einen 71-Jährigen aus der Kleinstadt Levice. Der Mann sei ein »einsamer Wolf«, der mit der politischen Entwicklung in der Slowakei unzufrieden sei, sagte Innenminister Matúš Šutaj Eštok. Er sei jedoch kein Mitglied einer radikalisierten politischen Gruppierung, weder einer rechten noch einer linken.

Sicherheitsleute im Zentrum der Kritik

Das Augenmerk richtet sich inzwischen auch auf mögliche Versäumnisse bei den Sicherheitsmaßnahmen in der Kleinstadt Handlova, wo es nach einer Kabinettssitzung zu den Schüssen kam, als Fico an einem Zaun versammelten Anhängern die Hände schütteln wollte. Die Behörden prüfen, ob seine Personenschützer den Regierungschef nicht ausreichend geschützt haben oder Vorfälle dieser Art in einer offenen Gesellschaft schlicht kaum zu verhindern sind.

Mehrere Experten kritisierten die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort oder sprachen sogar von einem »Versagen«. Auf den Aufnahmen des Attentats, die auch im öffentlichen Fernsehen übertragen wurden, ist zu sehen, dass die Wachmänner den Schützen zunächst nicht davon abhalten konnten, fünf Schüsse auf den Premierminister abzufeuern und ihn dann einige Sekunden lang angeschossen auf dem Boden liegen ließen. Selbst nachdem Fico in das Auto gebracht worden war, seien die Sicherheitsleute verwirrt herumgelaufen und hätten ihn nicht weggefahren, so »Dennik N« .

Trotzdem habe Innenminister Eštok erklärt, dass »alle Kräfte getan haben, was sie tun sollten«. Seiner Ansicht nach sei kein Fehler passiert, so die Zeitung. Der Innenminister sehe dementsprechend keine Veranlassung, den Direktor des Amtes für den Schutz von Verfassungsbeamten, Pavel Krejčí, zu entlassen. Manche Medien warfen zudem die Frage auf, wie ein offenbar auf einer Polizeiwache – möglicherweise sogar von einem Beamten – aufgenommenes Video des mutmaßlichen Attentäters an die Öffentlichkeit gelangen konnte.

Während Fico im Krankenhaus lag, appellierte die scheidende Präsidentin Zuzana Čaputová, »aus dem Teufelskreis von Hass und gegenseitigen Anschuldigungen herauszutreten«. Laut Čaputová ist »die angespannte Atmosphäre des Hasses unsere kollektive Arbeit« gewesen.

Čaputová und ihr gewählter Nachfolger Pellegrini luden zudem die politischen Parteien zu gemeinsamen Gesprächen ein. Pellegrini rief die Parteien auf, ihren Wahlkampf vor der Europawahl am 9. Juni vorerst auszusetzen oder zumindest einzuschränken. Im Nachbarland Tschechien sagten die Gewerkschaften einen für den 21. Mai geplanten Protesttag mit Demonstrationen aus Rücksicht auf die Situation in der Slowakei ab.

Fico ist das jüngste in einer langen Liste politischer Opfer im Nachkriegseuropa. Am berüchtigtsten ist vielleicht die Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme 1986 sowie die Ermordung der Außenministerin Anna Lindh im Jahr 2003.

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