Rammstein: Warum die Ermittlungen gegen Till Lindemann ...

30 Aug 2023

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann eingestellt. Was bedeutet das, für ihn, aber auch für Medien wie den SPIEGEL, die über die Vorwürfe gegen ihn berichtet hatten?

Rammstein-Sänger Till Lindemann - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

30.08.2023, 21.42 Uhr

Frontmann Lindemann

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Christoph Soeder / picture alliance / dpa

Am Dienstagmittag postete Rammstein-Sänger Till Lindemann einen Link bei Instagram. Er führte zur Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Berlin. Die teilte mit, sie habe das Ermittlungsverfahren »wegen des Verdachts der Begehung von Sexualdelikten wie auch Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz« gegen den Rammstein-Sänger eingestellt. Lindemann schrieb dazu: »Ich danke allen, die unvoreingenommen das Ende der Ermittlungen abgewartet haben.«

Was bedeutet das? Warum hat die Staatsanwaltschaft so entschieden? Und hätten Medien wie der SPIEGEL nicht über Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Till Lindemann berichten dürfen? Eine Einordnung.

Warum ermittelte die Staatsanwaltschaft überhaupt?

Ende Mai erhob die Irin Shelby Lynn in sozialen Netzwerken den Vorwurf, ihr seien im Rahmen eines Rammstein-Konzerts Drogen ins Getränk gegeben worden. Sie berichtete von Erinnerungslücken, postete Fotos von Verletzungen an ihrem Körper. Zudem habe sie ein Mitarbeiter in einer Pause des Auftritts in einen kleinen Raum gebracht, offenbar, um dort mit Lindemann Sex zu haben. Lindemann habe ihr Nein akzeptiert. Rammstein und Lindemann bestreiten die Schilderungen Lynns.

Medien recherchierten daraufhin zu diesen Vorwürfen und denen anderer Frauen. Zunächst berichtete der Rechercheverbund von NDR, WDR und »Süddeutscher Zeitung«, etwas später die »Welt am Sonntag« und der SPIEGEL.

Rammstein-Sänger Till Lindemann - Figure 2
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Bei den Vorwürfen ging es um ein perfides Castingsystem rund um die Band, das offenbar dazu diente, Frontsänger Lindemann mit Frauen für Sex zu versorgen. Es ging um Alkohol und Kontrollverlust und die Frage, ob Lindemann seine Macht gegenüber jüngeren, weiblichen Fans missbraucht habe.

Aufgrund der Medienberichte zeigten Dritte, die keine eigenen Vorwürfe vorbrachten, Lindemann an. Wer diese Personen sind, ist unklar. Mitte Juni wurde bekannt, dass die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet hatte.

Warum wurden die Ermittlungen eingestellt?

Die Staatsanwaltschaft teilte mit, dass »die Auswertung der verfügbaren Beweismittel« keine Anhaltspunkte erbracht hätten. Sie stellte allerdings auch klar, dass ihre Beweismittel vor allem die Medienberichte waren. Denn: keine einzige Frau, die Lindemann sexualisierte Gewalt vorwirft, konnte durch die Ermittler befragt werden. Sie hätten ausschließlich mit Journalistinnen und Journalisten gesprochen, so die Staatsanwaltschaft.

Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft Medien gebeten, die Namen und Adressen von Quellen zu benennen, auch den SPIEGEL. Aus Gründen des Quellenschutzes haben wir mit Verweis auf unser Zeugnisverweigerungsrecht abgelehnt, die anderen Medien offenbar ebenso. Wir haben allerdings den Informantinnen, mit denen wir in Kontakt waren, die Bitte der Staatsanwaltschaft weitergegeben.

Darüber hinaus haben die Ermittler laut ihrer Pressemitteilung Akten zum Fall der Irin Shelby Lynn gelesen und mit der YouTuberin Kayla Shyx gesprochen, welche sich in einem Video zu den Vorwürfen geäußert hatte. Diese hätte »kein eigenes Erleben strafrechtlich relevanter Vorfälle schildern« können. Das hatte Shyx allerdings auch nie behauptet, sondern lediglich das Castingsystem beschrieben.

Rammstein-Sänger Till Lindemann - Figure 3
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Zum Fall einer Frau, die im Alter von 15 Jahren eine sexuelle Beziehung mit Lindemann eingegangen sein soll und über die der SPIEGEL berichtete , schreibt die Staatsanwaltschaft, dass auch diese Zeugin anonym geblieben sei und »deshalb nicht vernommen werden« konnte. In ihrem Fall hatte die Staatsanwaltschaft beim SPIEGEL allerdings gar nicht angefragt.

Sollte sich eine neue Beweislage ergeben, kann die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen bis zur Verjährungsfrist jederzeit wieder aufnehmen.

Warum haben die Frauen nicht mit der Staatsanwaltschaft gesprochen?

Es gibt vielfältige Gründe, warum mutmaßlich Betroffene sexualisierter Gewalt eher mit Medien sprechen als mit Justizbehörden. Manche haben Angst. Denn wenn sie aussagen, landen ihre Namen auf jeden Fall in den Akten – und damit auch bei der Gegenseite. Die Anwaltskanzlei, die Till Lindemann beauftragt hat, verkündete sehr früh, sie werde nicht nur gegen Medien, sondern auch gegen die einzelnen Frauen vorgehen, die Vorwürfe erhoben haben. Manche können sich keinen Anwalt leisten, der sie bei einem möglichen Verfahren begleiten könnte. Und manche fürchten die mentale Belastung, die mit teils jahrelangen Prozessen einhergehen kann.

Hätten Medien nicht darüber berichten dürfen?

Dieser Schluss lässt sich aus der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft nicht ziehen. Bei deren Ermittlungen ging es um Strafrecht, journalistische Texte müssen medienrechtlichen Kriterien standhalten. Es ist die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, Hinweisen über mutmaßliches Fehlverhalten nachzugehen – unabhängig davon, ob es dazu schon ein juristisches Verfahren oder sogar ein Urteil gibt.

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Das gilt für Korruption oder Wirtschaftskriminalität genauso wie für Machtmissbrauch oder sexualisierte Gewalt. Wenn es genügend belastbare Indizien gibt, kann im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung darüber berichtet werden – hier können Sie mehr dazu lesen.

Ob die Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung auch im Fall Rammstein in jeder Hinsicht gewahrt wurden, darüber wird derzeit vor den Zivilgerichten gestritten. Auch dem SPIEGEL sind gegenwärtig einzelne Aussagen untersagt, für die das Landgericht Hamburg keine hinreichende Verdachtsgrundlage sieht. Der Kernvorwurf eines perversen Groupie-Castingsystems ist von den Unterlassungen aber unberührt.

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