Brorhilker: So fädelte Cum-Ex-Jägerin den Wechsel ein, das macht ...

Der Wechsel der obersten Cum-Ex-Jägerin Anne Brorhilker ist ein Coup für die Anti-Finanz-Lobby Finanzwende. Sie dürfte sich in ihrem neuen Job bald mit manchen ihrer bisherigen Kollegen anlegen – und mit den Bremsern in der Politik

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Foto Capital - Wirtschaft ist Gesellschaft

Es war eine Bewerbung, mit der bei der Bürgerbewegung Finanzwende niemand gerechnet hatte. Im vergangenen Frühjahr hatte die Anti-Finanzlobby-Organisation eine Führungsstelle für den Bereich Finanzkriminalität ausgeschrieben. Die Ausschreibung stand bereits eine Weile auf der Website, als sich aus heiterem Himmel eine prominente Bewerberin meldete: Anne Brorhilker, Oberstaatsanwältin und Cum-Ex-Jägerin aus Köln, vielen auch bekannt als „Deutschlands mächtigste Staatsanwältin“. 

Als er von Brorhilkers Interesse erfuhr, sei er „fast vom Stuhl gekippt“, sagt Gerhard Schick, Gründer und Vorstand von Finanzwende. Man habe vertrauliche Gespräche geführt, den Aufsichtsrat hinzugezogen, seit Montag ist nun klar: Die Ermittlerin hat um Entlassung aus dem Staatsdienst gebeten und wird als weitere Geschäftsführerin bei Finanzwende anfangen. Startzeitpunkt: je nachdem, wann ihr bisheriger Dienstherr, das Land Nordrhein-Westfalen, das Beamtenverhältnis auflösen wird.

Der Wechsel einer der prominentesten Staatsanwältinnen, deren Namen seit Jahren eng mit der Aufklärung des größten Steuerskandals der Republik verbunden ist, direkt an die Spitze einer NGO ist ein spektakulärer Schritt. Dass Ermittler in großen Wirtschaftsfällen im Laufe der Zeit abgezogen werden oder innerhalb des Justizapparats den Posten wechseln, kommt durchaus vor. Jüngst war dies etwa so im Wirecard-Skandal, wo die jahrelange Münchner Chefermittlerin während des noch laufenden ersten Prozesses die Ermittlungsbehörde verließ und nun bei der Generalstaatsanwaltschaft für Vermögensabschöpfung zuständig ist. 

Aber dass eine Oberstaatsanwältin nach elf Jahren Ermittlungsarbeit in einem Fall wie Cum Ex, in dem es um den größten Steuerraub in der deutschen Geschichte und um politische Verwicklungen bis hin zum heutigen Bundeskanzler geht, nicht erst um Versetzung bittet, sondern gleich den Staatsdienst verlässt, hat es wohl so noch nicht gegeben.

Abstriche beim Gehalt

Brorhilkers Schritt nötige ihm „höchsten Respekt“ ab, sagt Finanzwende-Gründer Schick, als er am Tag nach der völlig überraschenden Personalie über den Coup und die Pläne mit seiner künftigen Kollegin berichtet. Er habe nicht „auf Heller und Pfennig ausgerechnet“, auf wie viel Geld Brorhilker durch ihren Wechsel verzichte. Aber klar sei, dass die bisherige Oberstaatsanwältin einen „finanziellen Einschnitt“ hinnehme – etwa, weil ihr Ausscheiden aus dem Staatsdienst Folgen auch für ihre Altersversorgung hat. Er finde gut, dass Brorhilker „nicht zu Deloitte geht und ihr Wissen zu Geld macht“, sagt Schick – sondern künftig mit Finanzwende dafür streitet, die unzureichenden Strukturen im Kampf gegen Finanzkriminalität in Deutschland zu verbessern und den Einfluss der Finanzlobby zurückzudrängen, insbesondere auch auf die Justiz.

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Brorhilker selbst spricht an diesem Tag nicht. Solange sie noch im Staatsdienst sei, werde sie keine weiteren Pressetermine machen, heißt es. Doch welche Beweggründe hinter ihrer Entscheidung stehen, als Staatsanwältin hinzuschmeißen, hatte die 50-jährige Cum-Ex-Jägerin schon in einem bemerkenswerten Interview mit dem WDR am Montag angerissen. Darin erhob sie auch Vorwürfe gegen die Politik.

Die führende Oberstaatsanwältin im Cum-Ex-Skandal, Anne Brorhilker, schmeißt hin. Sie kritisiert die langsame Aufarbeitung – und wechselt zu einem neuen Arbeitgeber

Sie sei „mit Leib und Seele Staatsanwältin“, aber „überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, sagt Brorhilker da. Die Justiz sei hier oft zu schwach, die Beschuldigten könnten sich mithilfe der besten Anwälte aus den Verfahren oft „schlicht rauskaufen“. Doch solche Deals seien ungerecht und könnten dazu führen, dass die Menschen „das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren“. Auch Brorhilker teilt das Rechtsempfinden, das manche Bürgerinnen und Bürger beschleicht, wenn es um Steuerkriminalität geht: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Eine bemerkenswerte Feststellung für eine Oberstaatsanwältin. 

Auch im Fall Cum Ex, das macht sie in dem WDR-Interview deutlich, vermisst Brorhilker den Rückhalt aus der Politik. Sie habe gemerkt, wie „schwer es ist, Unterstützung für die Cum-Ex-Ermittlungen zu bekommen“, sagt sie – obwohl allen klar sei, dass das Thema angesichts des Milliardenschadens sehr wichtig sei. 

Machtkampf mit Minister

Als einen Grund dafür führt sie die Zersplitterung der Zuständigkeiten in der Justiz durch den Föderalismus an – wohl eine Andeutung dafür, dass sich Kollegen in den Justizbehörden anderer Länder eher bemühten, die Ermittlungen ihres Kölner Teams zu bremsen, als diese zu unterstützen. Etwa die in Hamburg, wo die Privatbank Warburg tief in die illegalen Cum-Ex-Deals verstrickt war, sich aber auf das Wohlwollen des Senats unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz verlassen konnte. 

Die Konsequenzen der Tatsache, dass Staatsanwaltschaften in Deutschland der Politik unterstellt sind, musste Brorhilker zuletzt aber auch daheim in NRW feststellen. Im September 2023 sorgte Landesjustizminister Benjamin Limbach (Grüne) mit einem geplanten Eingriff bei der Kölner Staatsanwaltschaft für Schlagzeilen. Chefermittlerin Brorhilker sollte einen Kollegen an die Seite gestellt bekommen – angeblich, um die Ermittlungen gegen die bundesweit rund 1800 Beschuldigten zu beschleunigen. Doch von vielen wurden Limbachs Pläne als Entmachtung der Cum-Ex-Jägerin und politische Sabotage ihrer Ermittlungen interpretiert – durchaus auch von Brorhilker selbst. 

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Die Staatsanwältin macht heute kein Geheimnis daraus, dass sie Limbachs Vorstoß damals überrascht habe – und dass sie ihn keinesfalls als die Entlastung aufgefasst habe, als die sie der Minister verkaufen wollte. Zwar ließ Limbach nach scharfer öffentlicher Kritik seine Pläne fallen. Dennoch dürfte das Kräftemessen mit ihrem obersten Dienstherrn Brorhilker in ihren Wechselabsichten bestärkt haben. Schon 2020 war die Ermittlerin einmal von Vorgesetzten zurückgepfiffen worden, als sie im politisch besonders brisanten Fall der Warburg Bank eine Razzia in Hamburg plante.

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Was Brorhilkers Kündigung so bemerkenswert macht, ist, dass sie offenbar überzeugt ist, an der Spitze einer NGO jetzt mehr für den Kampf gegen Finanzkriminalität bewirken zu können als in ihrer Ermittlerrolle. Finanzwende-Gründer Schick, als früherer Finanzpolitiker für die Grünen im Bundestag selbst ein Seitenwechsler, kann dies nachvollziehen. Man werde die „Wirkung“ der Personalie schon bald sehen, kündigt er am Dienstag an – auch wenn Brorhilkers in ihrer neuen Rolle weiter an die Verschwiegenheitspflichten aus ihrem Ermittlerjob gebunden sein wird. 

„Schwachpunkte“ Hamburg und Stuttgart

Dabei macht Schick deutlich, dass die Organisation im Komplex Cum Ex etwa auch den Druck auf Strafverfolgungsbehörden erhöhen will, die bislang „Schwachpunkte“ seien – anders als die Kölner, die auch ohne Brorhilker gut aufgestellt seien. Konkret nennt Schick als erstes die Hamburger Staatsanwaltschaft, die bislang bei der Verfolgung der Cum-Ex-Deals ein „Totalausfall“ sei – obwohl mehrere Hamburger Banken in den Skandal verwickelt seien, neben Warburg auch die frühere Landesbank HSH. 

Die Frage sei, ob die Behörde in der Hansestadt inkompetent, korrupt oder faul sei, sagt Schick – oder ob es womöglich politische Weisungen gegeben habe, sich zurückzuhalten, weil es in diesem Komplex Verbindungen zu Ex-Bürgermeister Scholz und seinem Nachfolger Peter Tschentscher (beide SPD) gibt. Ähnliches gilt laut Schick für die Staatsanwaltschaft in Stuttgart, die im Fall der Landesbank LBBW seit vielen Jahren ohne greifbare Ergebnisse ermittelt. Hier stünden die Hamburger Justizsenatorin von den Grünen und die baden-württembergische CDU-Justizministerin in der Pflicht: „Ob Finanzkriminalität richtig bekämpft wird, ist eine Frage des politischen Willens.“

Ähnlich hörte sich das in ihren ersten Äußerungen auch bei Schicks künftiger Finanzwende-Kollegin Brorhilker an. Es könnte sein, dass Deutschlands mächtigste Staatsanwältin außer Dienst bald nicht nur in der Öffentlichkeit bisherigen Kolleginnen und Kollegen auf die Füße tritt, wenn diese aus ihrer Sicht zu rücksichtsvoll mit Finanzkriminellen umgehen – sondern sich auch mit den Bremsern in der Politik anlegt.

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