«Challengers»: Zendaya spielt mit allen in Guadagninos Tennis ...

Tennis ist ein Einzelsport. Aber hier spielt sich ein Dreier ab: «Challengers» ist ein erstklassiger Sport- und Erotikfilm

Challengers - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Eigentlich ist es schamloser Schund: Zwei Tennisspieler streiten sich um eine Frau, die es in der Hand hat, wo die Bälle landen. Aber bei Luca Guadagnino wird ein verschmitztes und verschwitztes Vergnügen draus.

Die Tennis-Nachwuchsstars Art (Mike Faist, links), Tashi (Zendaya) und Patrick (Josh O’Connor).

MGM

Anna Müller, Tennishoffnung aus der Schweiz, hat keine Chance. Sie wird deklassiert von Tashi Duncan. Die junge Amerikanerin fegt ihre Gegnerin förmlich vom Platz. Tashi, 18 Jahre alt, ist das Wunderkind im College-Tennis.

Staunend im Publikum sitzen Patrick und Art, die beiden Jungs haben gerade zusammen ein Doppelturnier im Nachwuchs gewonnen. Jetzt nehmen sie die nächste Trophäe in den Blick: «Sie ist die heisseste Frau, die ich je gesehen habe», sabbert Patrick.

Später sprechen sie Tashi auf der Party an. Mit Anna Müller habe man ja fast Mitleid haben müssen, meint Art. «Die braucht dir nicht leidzutun», antwortet Tashi. Die Schweizerin sei ein Loser, «and a racist bitch».

Die rassistische Schweizerin bleibt eine Randnotiz. Es geht um die Gewinnerin mit dem dunklen Teint, Tashi Duncan, ein Kid aus der Arbeiterklasse, abgebrüht wie keine andere. Aber auch Art und Patrick spielen gerne offensiv: Wer von ihnen nun Tashis Nummer bekomme, baggern sie.

Bald küssen alle durcheinander

Die beiden könnten Brüder sein: spitzbübische Gesichter, faustdick haben sie’s hinter den Segelohren. Im Internat teilen sie seit Jahren das Zimmer, zusammen lässt es sich besonders ungehemmt pubertär sein.

Dem Regisseur Luca Guadagnino gefällt’s ein bisschen obszön, sexuelles Erwachen reizt ihn. Unvergessen aus Guadagninos grossem schwulen Liebesfilm «Call Me by Your Name» (2017) ist die Szene mit Timothée Chalamet und dem Pfirsich als Sexspielzeug: Die beiden hier, Patrick und Art, sind ähnlich drauf.

Auf der Party neckt Tashi die frühreifen Boys, die um sie buhlen: Sie wolle ihre Liebe zueinander doch nicht zerstören, sagt sie. «I am not a homewrecker.» Noch zerstört sie nichts. Der Abend endet dann zu dritt im Zimmer, Tashi knutscht erst mit dem einen, dann mit dem andern. Bald küssen sich alle wild durcheinander.

Tennis gibt es im Einzel und im Doppel. Aber hier gibt es Tennis nun auch als Dreier. Guadagnino erzählt in seinem neuen Film verschmitzt und verschwitzt, wie nur er das kann, eine Dreiecksgeschichte innerhalb der Welt des Sports.

Amouröser Dreisätzer

So unverschämt muss man sein, die Ausgangslage ist eigentlich schamlosester Schundroman: Zwei Tennisspieler streiten sich um eine Frau, die es in der Hand hat, wo die Bälle landen. Denn über Sieg oder Niederlage entscheidet der Kopf. Und der ist nicht immer beim nächsten Return oder beim Vorhandwinner. Man verausgabt sich auf dem Platz, aber ebenso sehr off-court: «Challengers» ist ein erstklassiger Sport- und auch Erotikfilm.

Was anfangs ein klar umrissenes Liebesdreieck ist, bekommt zusehends Ecken und Kanten. Guadagnino erzählt nicht Punkt für Punkt, er springt vor und zurück in dem amourösen Dreisätzer: Im Zimmer mit Tashi war das Vorspiel, gut zehn Jahre später kommt es dann auf dem Court zum Finale: Art contra Patrick. Ein Match, der über alles entscheidet. Karriere, Freundschaft, Liebe.

Das Wiedersehen der Jugendfreunde findet bei einem kleinen Turnier in New Rochelle, New York, statt. Die Laufbahnen von Art Donaldson und Patrick Zweig hätten unterschiedlicher nicht sein können. Art gehört inzwischen zur Weltspitze. Aber er hat gerade ein Tief, nichts geht mehr. Beim drittklassigen Turnier an der Ostküste soll er für das US Open wieder Vertrauen fassen.

Art war immer der Ehrgeizigere der beiden. Ein eleganter Spieler, Typ einhändige Rückhand. Gut in der Beinarbeit, starker Aufschläger, auch taktisch klug. In der Spielanlage nicht unähnlich einem Roger Federer. Patrick hingegen hat nie etwas aus seinem Talent gemacht. Zu ungestüm, ein unbeständiger Rowdy im ärmellosen T-Shirt, vom Temperament her irgendwo zwischen Nadal und McEnroe. Nur kläglich erfolglos.

Mit Challenger-Turnieren, bei denen sich die drittklassigen Spieler für die Grand Slams qualifizieren können, hält sich Patrick knapp über Wasser. Auf dem Konto hat er noch 70 Euro, im Hotel verweigert sich entsprechend die Kreditkarte. Die erste Nacht schläft er im Auto auf dem Parkplatz der Tennisanlage. Für die zweite sucht er sich auf Tinder einen One-Night-Stand.

Art, der alte Zimmergenosse aus dem Internat, nächtigt derweil im Luxushotel – zusammen mit Tashi, denn die ist mittlerweile nicht nur seine Frau, sie ist auch sein Coach. Nach einer bösen Knieverletzung hat Tashi die eigene Karriere aufgeben müssen. Jetzt trainiert sie ihren Mann, managt ihn, leitet seine Foundation. Ohne sie ist Art aufgeschmissen. Tashi hat den ungezügelten Spund nicht nur gezähmt, sie hat ihn zum Schosshund domestiziert. Doch jetzt langweilt er sie. Während sie gleichzeitig vom unberechenbaren Playboy Patrick nie ganz losgekommen ist.

Produziert vom «Euphoria»-Star

Die Hollywoodschauspielerin Zendaya trumpft auf in der Rolle dieser heimlichen Spielmacherin. Der «Euphoria»-Star hat den Film mitproduziert, genüsslich geht sie zur Sache. Sie gibt Tashi als flotte Biene, die auch ein manipulatives Miststück sein kann. Tashi packt die Männer bei den Rackets. Mit der Moral hält sie sich nicht auf. Guadagnino genauso wenig. Das macht den Film zum herrlich frivolen Vergnügen.

Der Italiener ist ein genussgetriebener Regisseur, wie es ihn nicht zweimal gibt. So ist ihm mit «Bones and All» ein unwahrscheinliches Genrekunststück geglückt, eine kannibalistische Jugendromanze. Sich nacheinander verzehren wurde hier wörtlich genommen. Guadagnino-Filme sind aber immer so: wunderbar fleischig.

Kino kann noch lustvoll sein. Wer «Challengers» schaut, dem wird wieder einmal klar, was sich beim Film verändert hat in den letzten Jahren: Die Filmkunst vertrocknet zusehends. Gerade im Streaming geht dem Content die Sinnlichkeit ab. Das Erzählen ist ökonomisiert, Filmemacher fabrizieren vor allem noch, sie vergessen zu romantisieren. Oder um es einmal ordentlich profan zu sagen: Kino ist kaum mehr sexy.

Ausser bei Guadagnino. Seine Filme stehen im Saft. Den Maestro muss man sich auch genau so vorstellen: die Dolce Vita verkörpernd. Vor einigen Jahren kam er ans Zurich Film Festival, das Treffen mit ihm hat sich dem jungen Filmjournalisten eingeprägt. Stars empfangen sonst zu kurzen Audienzen in unpersönlichen Hotelräumlichkeiten. Guadagnino bat ins Restaurant, wo er gerade zu Mittag gegessen hatte. Kaum hatte man sich gesetzt, fragte er, ob man mit ihm ein Dessert teilen möchte. Ein Teller, zwei Löffel.

Er hat keine Kontaktscheu, das färbt ab auf sein Kino. Es sucht die Nähe, Geruch, Geschmack, die Körper. In «Challengers» klebt die Kamera (geführt vom Thailänder Sayombhu Mukdeeprom, «Memoria») gerne an den kurzen Tennis-Shorts, Guadagnino geht auch mit in die Duschen. Oder die grosse Aussprache zwischen den Kontrahenten findet schliesslich in der Sauna statt. Die Handtücher sitzen locker, die Dialoge sitzen.

Film ohne Fett: Art (Mike Faist) und Tashi (Zendaya) stärken sich fürs Training.

Niko Tavernise / MGM

Die Athletik macht die Ästhetik

Der Tennissport dient dem Filmemacher als Metapher: Was sich auf dem Platz abspielt, spiegelt die Dynamik daneben. «Tennis ist eine Beziehung», buchstabiert es schon die 18-jährige Tashi aus. Und wie jede Beziehung ist auch Tennis gleichzeitig banal und hochkomplex: Was geht im Opponenten vor? Täuscht er einen Stoppball an, oder geht er auf Gewinnschlag? Guadagnino gelingt es, aus der simplen Beziehungskiste einen raffinierten psychologischen Thriller zu machen.

Der Brite Josh O’Connor, der in «The Crown» den jungen Prinzen Charles spielt, tobt sich aus in der Rolle des rebellischen Patrick Zweig. Und nach seiner Darbietung des Bandenführers Riff in Steven Spielbergs «West Side Story» ist Mike Faist nun enorm fokussiert als Art Donaldson: Den beiden nimmt man die Tennisprofis auch physisch voll ab. In jeder Hinsicht. «Challengers» ist ein Film ohne ein Gramm Fett.

Die Athletik macht die Ästhetik. Guadagnino hat Stil, aber er verliert sich nicht in Stilübungen. Er verkünstelt nichts. Seine Filme erlauben sich auch eine Spontaneität, die es gerade im amerikanischen Kino kaum noch gibt. Dieser Regisseur schiesst aus der Hüfte. Wie im Tennis landet nicht jeder Schlag im Feld. Manchmal sucht die Kamera einen Winkel und verzieht. Aber genau diese Wagnisse machen «Challengers» aus. Ein Film, der lebt. Luca Guadagnino gewinnt mit der einfachsten Taktik: Er tritt an, um zu spielen.

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