TV-Duell zwischen Höcke und Voigt: So schätzen Experten die ...

12 Apr 2024
TV-Duell Höcke Voigt

Nach dem umstrittenen TV-Duell zwischen dem Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt und Björn Höcke, dem Chef der rechtsextremen AfD Thüringen, gibt es nach Ansicht verschiedener wissenschaftlicher Experten keinen klaren Sieger. In dem über 70 Minuten langem Rededuell auf dem Sender Welt-TV konnte keiner der Kontrahenten restlos überzeugen.

Experten ziehen unterschiedliches Fazit

Der Kommunikations- und Medienpsychologe Tobias Rothmund von der Universität Jena sah ein Gespräch ohne Gewinner: "Das Duell hat aber gezeigt, wie schwer es ist mit Rechtspopulisten zu diskutieren. Das Vorhaben, Höcke inhaltlich zu stellen, hat Voigt oft nicht halten können." Der Historiker Jens-Christian Wagner kam in etwa zum gleichen Fazit, drückte es aber schärfer aus: "Das war ein TV-Duell, auf das man hätte verzichten müssen. Es hat sich bewahrheitet, dass man mit Rechtsextremen nicht reden kann."

Für den Theologen Frank Hiddemann aus Gera und den Wirtschaftswissenschaftler Andreas Freytag von der Uni Jena gab es zwei unterschiedliche Sieger. Hiddemann sagte, Höcke habe bei dem Duell gewonnen. "Nicht inhaltlich und argumentativ, aber vermutlich an Zuspruch. Voigt hat den Fehler gemacht zurück zu pöbeln. Das hat seinen sachlichen Argumenten geschadet." Freytag hingegen sah einen kämpferischen Mario Voigt: "Er hat am Ende mindestens einen leichten Vorteil gehabt. Das TV-Duell wird ihm im Wahlkampf vielleicht noch nutzen können."

Theologe erwartete "Fight auf Augenhöhe"

Schon im Vorfeld hatten sich die Experten sehr unterschiedlich zu dem TV-Duell positioniert. Der Theologe Frank Hiddemann erwartete einen "Fight auf Augenhöhe", den Voigt gewinnen könnte, wenn es im Duell um konkrete landespolitische Themen gehen sollte. Vorteile für Höcke sah er bei allgemeinen politische Themen, auf die der AfD-Spitzenkandidat das Gespräch lenken könnte. Hiddemann befürwortete das Duell und räumte Voigt insgesamt die besseren Chancen ein: "Ich habe in Ostthüringen mehrere Gesprächsrunden auch mit AfD-Politikern moderiert und bin dabei zur Überzeugung gekommen, dass alle unsere Politiker in der Lage sind, solche Debatten für sich zu entscheiden. Das traue ich auch einem Mario Voigt zu."

Wagner: "Verlierer ist die Demokratie"

Dem widersprach der Geschichtswissenschaftler Jens-Christian Wagner, der auch Direktor der Stiftung KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora ist. "Schon vor dem Duell kann sich Höcke als Sieger fühlen. Dass mit diesem TV-Duell einem Rechtsextremen ein Podium geboten wird, ist ein Erfolg für die AfD", sagte Wagner MDR THÜRINGEN. Höcke bekäme hier die Chance, seine rechtsextreme Gesinnung als eine Meinung zu präsentieren, die innerhalb eines demokratischen Korridors zulässig wäre. Die rassistische Ideologie der AfD sei aber alles andere als demokratisch, sagte Wagner und schlussfolgerte: "Die Demokratie kann hier nur verlieren." Zwar sei die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD wichtig, aber hierfür müssten demokratische Parteien mit den Wählern darüber ins Gespräch kommen, was die Politik der AfD für die Gesellschaft und die Demokratie bedeuten würde."

TV-Duelle beleben die Demokratie

Der Kommunikations- und Medienpsychologe Tobias Rothmund sagte, er könne die Kritik an dem TV-Duell nachvollziehen. Zugleich hätten sich diese politischen Formate aber in den Medien etabliert. "Allgemein denke ich, dass solche Duelle schon einen Mehrwert für die Demokratie haben, weil sie insgesamt das Interesse an Politik beleben", sagte Rothmund MDR THÜRINGEN. Er erwartete, dass der AfD-Chef versuchen würde sich zahm und harmlos darzustellen. "Herr Voigt hingegen wird versuchen die Unterschiede der Parteien klar zu machen und dabei trotzdem auf Themen der AfD zu sprechen kommen, um sie für sich zu besetzen." Von der großen Aufmerksamkeit des TV-Duells würden letztlich wohl beide profitieren.

Europapolitik als Trumpf für Mario Voigt?

Der Wirtschaftswissenschaftler Andreas Freytag erklärte vor dem Duell, dass Mario Voigt als Gewinner hervorgehen könnte, wenn er Höcke bei der Europapolitik stellt. "Hier kann Voigt gute Punkte machen, denn das was die AfD fordert, wäre schädlich für unsere Wirtschaft und hätte dramatische Konsequenzen." Um das deutlich zu machen, müsse Voigt aber gut vorbereitet sein, denn Freytag erwartete, einen ausweichenden Höcke. Das TV-Duell befürwortete der Professor der Uni Jena: "Ich halte es für wenig zielführend immer nur über die AfD zu sprechen. Die Probleme, die die AfD anspricht, sind ja teilweise da, aber ihre Lösungen stimmen nicht." Voigt könnte das im Duell einem breiten Publikum aufzuzeigen und somit auch den Wahlkampf wieder spannend machen.

Voigt punktet mit Migrationspolitik der CDU-Landräte

Seine Erwartung sah Freytag nach dem Gespräch größtenteils erfüllt. "Voigt war in seinen Aussagen oft klarer, insbesondere bei der Migrationspolitik". Hier konnte Voigt laut Freytag punkten, als er Höcke vorhielt, dass der AfD-Landrat in Sonneberg es weder schaffe Bezahlkarten einzuführen, noch Geflüchtete zur Arbeit zu verpflichten. Beides sei den CDU-Landräten im Saale-Orla-Kreis und Greiz gelungen.

Der Themenkomplex zu Europa kam für Freytag zu kurz. Hier hätte Voigt auch deutlicher widersprechen müssen. "Die Behauptung von Höcke, den Briten gehe es nach dem Brexit besser, ist hanebüchen", so Freytag. "Auch das Gerede, die EU nütze nur Globalisten und Großunternehmern, ist Unsinn." Hier hätte sich Freytag auch ein stärkeres Moderatorenteam gewünscht. Höcke erlebte er über weite Strecken fahrig und nervös. "Man hatte auch den Eindruck, dass Höcke Kreide gefressen hätte", sagte Freytag. Zum Beispiel beim Thema Remigration hätte er plötzlich davon gesprochen, dass er nur ausgewanderte Deutsche zurückholen wolle. "Das war Unsinn. Ich habe ihm das nicht abgenommen."

Höcke betreibt "Selbstverharmlosung"

Ähnlich sah es auch der Historiker Jens-Christian Wagner. "Millionenfache Migration ist in Deutschland nicht mehrheitsfähig, das weiß auch die AfD. Deshalb hat Höcke versucht den Begriff umzudeuten." Im gesamten Gespräch sei Höcke den Vorgaben des rechtsextremen Vordenkers Götz Kubitschek gefolgt, der zu seinen Vertrauten zählt: "In einem Aufsatz hat Kubitschek das als 'Selbstverharmlosung' beschrieben". Das sei auch deutlich geworden, als Höcke den Holocaust zwar verurteilte, dann aber an seiner "Erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" festhielt, sagte Wagner. "Er sprach davon, das Positive zu betonen, um eine gesunde Identität der Deutschen zu bekommen. Das heißt nichts anderes, als dass Deutschland an seiner Erinnerungskultur kranken würde. Das ist die klassische Schuldkult-Rhetorik."

Schwach erlebte Wagner den Auftritt von Voigt, der ihm zeitweise fast nicht anwesend zu sein schien und der es nicht schaffte Höcke inhaltlich zu stellen. Als Beispiel nannte Wagner die Diskussion über Antisemitismus in Deutschland. Voigt hätte Höcke sogar zugestimmt, dass muslimischer Antisemitismus ein Problem sei. "Da hätte Voigt dringend korrigieren müssen. Muslimischer Antisemitismus mag in Großstädten ein Problem sein. In Thüringen erleben wir aber einen rechtsextremen Antisemitismus." Insgesamt sei das Gespräch desaströs verlaufen. Daher schloss Wagner: "Die Demokratie hat heute verloren. Dabei bleibe ich."

Gehacktes- oder Mettbrötchen?

Die Erwartungen des Theologe Frank Hiddemann wurden von Mario Voigt bitter enttäuscht. "Ich fürchte, Höcke hat gewonnen", sagte er nach dem Gespräch. Höcke habe aber nicht gewonnen, weil er inhaltlich überzeugte, sondern weil Voigt immer wieder den Fehler machte "zurück zu pöbeln". Damit habe er seinen sachlichen Argumenten selbst geschadet. "Etwa als er Höcke den 'Reichskanzler' genannt hat, das war in der Form nicht präsidial und einem kommenden Ministerpräsidenten nicht würdig", sagte Hiddemann. Skurril wurde es auch, als Voigt Höcke aufklären wollte, dass man in Thüringen nicht Mettbrötchen sagte, sondern Gehacktesbrötchen.

Den Abschnitt zur Remigration erlebte auch Hiddemann als Augenwischerei: "Das war ein strategisches Statement. Er sagt das, um argumentativ in den bürgerlich konservativen Raum vorzustoßen. Da kann man Höcke nicht trauen." Den eigentlich Skandal des Abends machte Hiddemann aber beim Moderationsteam aus: "Die sind zum Teil auf Höcke losgegangen. Das war unprofessionell und ein kapitaler Fehler", urteilte Hiddemann. "Da wird sich die AfD jetzt wieder als Opfer stilisieren und sagen können, es gäbe keine unabhängige Presse mehr."

Populistische Rede ist schwer zu dekonstruieren

Der Kommunikationspsychologe Tobias Rothmund sah drei Phasen des TV-Duells: "Voigt wirkte anfangs fahrig und Höcke war präsenter. In der zweite Phase, als es um die Geisteshaltung von Höcke ging, lief das Duell fast aus dem Ruder. Da wurde es ziemlich chaotisch und Voigt hat kaum eine Rolle gespielt. Nach hinten raus wurde Voigt dann klarer und direkter." Inhaltlich blieb das TV-Duell oft vieles schuldig. Höcke habe teilweise trickreich argumentiert, was meist weder Voigt noch das Moderationsteam entlarven konnten. Hier hätte dem Duell ein Live-Faktencheck gut getan.

"Das Gespräch hat einmal mehr gezeigt: Die populistische Rede kann man in solchen Gesprächen schlecht dekonstruieren. Dadurch leidet die Qualität der inhaltlichen Auseinandersetzung." Trotzdem müsse man sich öfter dieser Auseinandersetzung stellen, auch wenn das Duell dafür kein Lehrbeispiel gewesen sei, so Rothmund. "Immerhin sind die Positionen heute deutlich geworden. In den kommenden Monaten wird die Auseinandersetzung sicher noch intensiver geführt werden. Das Duell war nur der Auftakt zum Wahlkampf. "

Laut der Wahlumfrage von Infratest Dimap im Auftrag des MDR vom März liegt die AfD bei 29 Prozent (minus 5 Prozentpunkte), die CDU bei 20 Prozent (minus 1), die Linke bei 16 Prozent (-4), das BSW bei 15 Prozent, die SPD bei 9 Prozent, die Grünen bei 5 Prozent. Weitere Parteien wären aufgrund der Fünf-Prozent-Klausel zu diesem Zeitpunkt nicht in den Thüringer Landtag gewählt worden.

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