Nur Krimis? Von wegen! Die versteckte Serienwelt von ARD und ...

27 Mär 2024

Als der von der Politik beauftragte sogenannte Zukunftsrat jüngst seine Ergebnisse zur Reform von ARD und ZDF präsentierte, war auch darin ein immer wieder zu hörender Vorwurf an die Öffentlich-Rechtlichen enthalten. Nicht überwiegend Altbewährtes, sondern mehr Neues, Kühnes sei gefragt, schrieben die Ratsmitglieder den Sendern ins Aufgabenheft. Fehlender Mut, "Genreverarmung", nichts als Krimis - es sind die Klassiker der Kritik am Programm der Öffentlich-Rechtlichen. In einem Manifest der Regie- und Drehbuchverbände war vor einigen Monaten von einem "uniformen und ambitionslosen" Programm die Rede.

ZDF - Figure 1
Foto DWDL.de

Ein schwerer Vorwurf. Und tatsächlich ist es ein Leichtes, den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern ihre Lust auf Krimis um die Ohren zu hauen. Ein "Tatort" und "Polizeiruf" hier, ein Freitags- und Samstagskrimi dort. Dazu Krimis aus Bozen, Kroatien und dem Norden. Ganz zu schweigen von all den Krimis, die als "Fernsehfilm der Woche" getarnt daherkommen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass all die genannten Filme regelmäßig zu den größten Quoten-Hits im deutschen Fernsehen zählen. Das (beitragszahlende) Publikum bekommt also gewissermaßen das, wonach es verlangt.

© BR/Little Dream Entertainment/Christopher Roos von Rosen ARD-Animationsserie "Friedefeld"

Wer ARD und ZDF deswegen generell Ambitionslosigkeit und fehlende Innovationen vorwirft, der hat sich mit dem Angebot der Sender womöglich aber auch schlicht nicht allzu eingehend beschäftigt. Schon ein Blick auf die Startseiten der Mediatheken reicht, um zu erkennen, dass das öffentlich-rechtliche Angebot insbesondere im Fiktionalen breiter ist als man auf den ersten Blick denken mag. Da wäre etwa "Pumpen", eine auf zunächst 25 Folgen angelegte, in einem Fitnessstudio spielende Weekly, die derzeit vorwiegend in der ZDF-Mediathek ausgespielt wird. Oder "Friedefeld", die erste deutsche animierte Sitcom, in Auftrag gegeben von BR, SWR und der Degeto.

Erst wenige Tage zuvor ging in der ARD-Mediathek "Sexuell verfügbar" an den Start; eine Serie, die sich die Frage auseinandersetzt, was passiert, wenn plötzlich alle patriarchalischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt sind und Geschlechterzugehörigkeiten frei im Raum flotieren. Oder "Testo", die neue Bankraub-Serie von und mit Kida Khodr Ramadan, mit der die ARD an den Erfolg des Knastdramas "Asbest" anknüpfen will. Im ZDF wiederum gab's mit "Reset – Wie weit willst du gehen?" erst in der vorigen Woche eine ungewöhnliche Dramaserie mit Katja Riemann zu sehen, die vom Umgang einer Mutter mit dem Suizid ihrer Tochter handelte. Und mit "Push" wiederum widmete sich ZDFneo der Geschichte dreier Hebammen, die radikal und maximal authentisch daherkam.

ZDF - Figure 2
Foto DWDL.de

Und das waren nur einige wenige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Wer tiefer in den Mediatheken gräbt, wird auf noch viel mehr Stoffe stoßen, die alles sind – außer gewöhnlich. In "Ready Daddy Go" etwa thematisierte das ZDF die Geschichte eines schwulen Mannes, der um jeden Preis ein Kind bekommen will, während sich "Everyone is fucking crazy" in der ARD an der Gratwanderung versuchte, eine psychische Krankheit lustig zu erzählen. Culture Clash bot schon im vergangenen Jahr die feinfühlig erzählte Dramedy "Lamia", "Die nettesten Menschen der Welt" wiederum machte sich einen Namen als erste Anthologie-Serie, an die sich die ARD in ihrer langen Historie wagte. Mit "Oderbruch" lieferte man jüngst außerdem eine Mysteryserie, die vor nicht allzu langer Zeit vermutlich im öffentlich-rechtlichen Kosmos ebenso wenig denkbar gewesen wäre wie der sehenswerte ZDF-Grusel "Was wir fürchten".

© ZDF/Anne Wilk ZDFneo-Serie "Deadlines"

Außerdem ist da noch der Versuch des ZDF, das in Deutschland lange brach gelegene Comedyserien-Genre wiederzubeleben – was mit Formaten wie "Doppelhaushälfte" oder dem preisgekrönten "Deadlines" ganz wunderbar funktioniert hat. Inzwischen bietet vermutlich kaum ein deutscher Sender mehr Serien dieser Art als ZDFneo, auch wenn etwa der SWR mit den Phil-Laude-Comedys "Almania" und "Sweat" ebenfalls in die Gänge gekommen ist. Und wenn's ganz schnell gehen muss, setzt das ZDF immer wieder auf "Instant-Fiction", also zeitnah produzierte Serien zu aktuellen Themen. "Aufgestaut", eine Serie über Klimakleber, konnte auf diese Weise nur wenige Monate nach der Ankündigung auf Sendung gehen. Auch die btf-Serie "Freiheit ist das Einzigste, was zählt" von Regisseur und Autor Jan Bonny über "die deutsche Gegenwart und unser schmutziges Unterbewusstsein" war dank der ungewöhnlichen Produktionsweise binnen kürzester Zeit verfügbar.

Überwiegend Altbewährtes? Nicht ambitioniert?

Wer sich ernsthaft mit dem auseinandersetzt, was ARD, die Degeto und das ZDF zuletzt auf die Strecke gebracht haben, wird feststellen, dass dieser Vorwurf eigentlich ins Leere zielt. Im Gegenteil, die Öffentlich-Rechtlichen sind offensichtlich motiviert wie nie zuvor, mit unkonventionellen Stoffen ein junges Publikum anzusprechen, haben in ihrer Experimentierfreude längst die auf Mainstream einschwenkenden Streamer überholt.

Was man den Sender dagegen vorwerfen kann, ist stattdessen, dass sie es offensichtlich nicht schaffen, diese große Vielfalt an Produktionen der Öffentlichkeit auch entsprechend zu vermitteln, wie die anhaltende Kritik zeigt. Wenn also beispielsweise die Regie- und Drehbuchverbände "mehr Sichtbarkeit des Mediathekenprogramms" fordern und kritisieren, dass "unterfinanzierte Innovationen für Sendeplätze produziert werden, die kaum zu finden sind und nur halbherzig beworben werden", dann zielt das schon eher aufs eigentliche Problem.

Daran müssen ARD und ZDF dringend arbeiten - und gleichzeitig ihr Angebot mit Blick auf junge Serien möglicherweise eher wieder etwas schärfen und fokussieren, um die Chancen zu erhöhen, damit auch wirklich durchzudringen. Die Krimis im Hauptprogramm sind ganz sicher nicht das Problem.

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