Umfrage: Umfrage zur NATO
Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hat vom Umfrageinstitut dimap eine repräsentative Umfrage durchführen lassen, die sowohl in den USA als auch in Deutschland Meinungen über die aktuelle globale Sicherheitslage, Bedrohungswahrnehmungen sowie Einstellungen zur NATO abgefragt hat.
Am 9. Juli beginnt in Washington der NATO-Gipfel. In diesem Jahr steht das 75-jährige Bestehen des Militärbündnisses im Vordergrund. Diskutiert werden Fragen des russischen Kriegs gegen die Ukraine, des Israel-Hamas- Kriegs und des Umgangs mit der Volksrepublik China. Erstmalig kommt das Bündnis nun mit 32 Mitgliedsstaaten zusammen. Vor dem Hintergrund des Superwahljahres 2024, insbesondere der US-Wahlen im November, sind Zustimmungswerte für die NATO und sicherheitspolitische Einstellungen in Deutschland und den USA von großem Interesse.
Die NATO wurde zur gemeinsamen Verteidigung Europas und des transatlantischen Raums gegründet. Während des Kalten Krieges war die kollektive Verteidigung gegen die Bedrohung durch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt die raison d’être der NATO. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes verlagerte das Bündnis seinen Fokus auf internationale Missionen im Rahmen von Krisenmanagement und –prävention, während die Territorialverteidigung in den Hintergrund rückte. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich die Lage drastisch geändert. Noch kurz vor diesem Krieg wurde die NATO immer mehr infrage gestellt, prominent durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Aber auch auf europäischer Seite erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron 2019 die NATO für „hirntot“. Heute ist die NATO wichtiger denn je.
Gleichzeitig stehen die USA, wichtigste Führungsmacht und unverzichtbarer Garant für das Sicherheitsversprechen der NATO, mitten in einem Wahljahr. Es gibt kontroverse Positionen in der Außenpolitik: Eine eher isolationistische Haltung Trumps steht der Fortsetzung des internationalen Engagements als Weltmacht gegenüber.
In Deutschland hat es seit der Annexion der Krim durch Russland 2014 langsam wachsende Verteidigungsetats gegeben. Zuvor war das Militärische immer mehr aus dem Sicherheitsbegriff der Deutschen verdrängt worden. Politisch galt seit den 1990ern das Prinzip der „Friedensdividende“. Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine änderten sich Sicherheitswahrnehmung und politische Priorisierung drastisch. Ein Sondervermögen für die Bundeswehr wurde eingeführt und die Bundeswehr umstrukturiert, um die Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung zu gewährleisten.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind die Ergebnisse der vorliegenden Umfrage ermutigend für alle, die von der Notwendigkeit einer starken NATO und einer wirkungsvollen gemeinsamen Verteidigung überzeugt sind. Auf beiden Seiten des Atlantiks genießt die NATO mehrheitliche Unterstützung, in Deutschland noch mehr als in den USA. Bei der Bedrohungswahrnehmung gibt es deutliche Unterschiede bei der Bewertung der Bedrohung durch China, nicht jedoch hinsichtlich Russlands. Auch bei der Bewertung der Effektivität der NATO gibt es Unterschiede, die jedoch der allgemeinen Unterstützung nicht entgegenstehen. Interessant ist die Differenzierung der Meinungen nach Parteipräferenzen auf beiden Seiten des Atlantiks.
1. Wachsende Bedrohungswahrnehmung – in Deutschland noch stärker als in den USA
Mit sehr großen Mehrheiten schätzen die Befragten in den USA und in Deutschland die Bedrohungslage als zunehmend risikoreich ein. Dass dies die Deutschen mit 79% noch mehr als die Amerikaner (69%) so sehen, liegt sicherlich auch an der geografischen Nähe Deutschlands zum Kriegsschauplatz Ukraine. Die Rückkehr des Krieges nach Europa und die weltweiten Spannungen und Konflikte haben auf beiden Seiten des Atlantiks zu einer von den Bevölkerungen als gefährlich empfundenen Lage geführt. In beiden Ländern ist die Bedrohungswahrnehmung bei den über 60-Jährigen am höchsten, in den USA ist der Unterschied zur jungen Generation allerdings deutlich größer.
In beiden Ländern wird die Bedrohung durch Russland ähnlich betrachtet. Rund 55% der US-amerikanischen Befragten halten Russland für eine „große militärische Bedrohung“, in Deutschland sind es 63%. Bezüglich der Parteipräferenz gibt es bei dieser Frage in den USA nur geringe Unterschiede zwischen den Anhängern der beiden großen Parteien, in Deutschland fällt dagegen auf, dass die Anhänger von AfD und Linkspartei die Bedrohung durch Russland deutlich niedriger einschätzen als der Durchschnitt.
Dagegen fällt die Einschätzungen der Bedrohung durch China insgesamt deutlich unterschiedlich aus: In den USA sehen 57 % der Befragten China als große militärische Bedrohung, also sogar etwas mehr als Russland. In Deutschland sind es nur 31%. Eine Erklärung liegt sicher darin, dass das Weltmachtstreben Chinas unter der Führung von Präsident Xi in den USA von beiden großen Parteien seit Jahren sehr kritisch diskutiert wird. Außerdem sind die USA Schutzmacht Taiwans. Auffällig ist in diesem Kontext wiederum die Differenzierung nach Altersgruppen: In den USA sehen fast doppelt so viele der über 60-Jährigen China als große Bedrohung im Vergleich zur jüngsten Altersgruppe (72% - 38%). In Deutschland sind es dagegen die Jüngsten, die China am stärksten als Bedrohung sehen.
2. USA und Deutschland: Partner bei der Sicherheit?
Sowohl amerikanische als auch deutsche Befragte sehen beide Länder mehrheitlich als Partner beim Umgang mit zentralen Sicherheitsfragen, beim Schutz der europäischen Sicherheit, beim Umgang mit Russland und mit China.
Beim Umgang mit China ist allerdings die Mehrheit der deutschen Befragten, die eine gute Partnerschaft sehen, mit 48% relativ knapp. Immerhin 43 % der Deutschen sehen das transatlantische Verhältnis beim Umgang mit China negativ. Hier könnten Befürchtungen eine Rolle spielen, dass außenwirtschaftliche Interessen Deutschlands in China Schaden nehmen. Insgesamt wird das deutsch-amerikanische Verhältnis als überwiegend partnerschaftlich bewertet.
3. Einstellungen zur NATO
Mit 57% in den USA und mit 78 % in Deutschland wird die NATO positiv bewertet. Die Unterschiede der positiven Bewertung könnten zum einen durch die Nähe zum Ukraine-Krieg zu erklären sein, aber auch durch wiederholte Debatten in den USA, in denen ein faireres Burden-Sharing und mehr europäische Investitionen in die NATO verlangt werden. Dennoch hat die NATO in beiden Ländern ein stabiles Fundament an Zustimmung.
Hinsichtlich der Parteipräferenzen ist in den USA die positive Bewertung der NATO bei den Anhängern der Demokratischen Partei mit 71% deutlich höher als bei den Republikanern mit 54%. In Deutschland liegt der Anteil derjenigen, die eine sehr positive oder eher positive Meinung zur NATO habe über die Anhänger aller Parteien hinweg über 50%, bei den Parteien der Ampel und der CDU bei 90% und höher.
Unterschiede gibt es bei der Frage, ob die NATO seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr zeitgemäß ist. Für nicht mehr zeitgemäß halten die NATO 40% der Befragten in den USA, während dies in Deutschland nur 30% so sehen.
Die Forderung, dass die USA die Schutzgarantie der NATO nur für Länder gelten lassen sollten, die ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber der NATO erfüllen, unterstützt in den USA eine deutliche Mehrheit. Auch in Deutschland wird diese Meinung von 49% der Befragten geteilt. Diese Forderung hatte Donald Trump aufgestellt. Sie war in den USA und international auf viel Kritik gestoßen, weil sie die Beistandspflicht der NATO unglaubwürdig mache.
4. Sichert die NATO den Frieden?
Dass die Abschreckungskraft der NATO den Frieden sichert und mögliche Aggressoren von Angriffen abhält, hält in beiden Ländern eine Mehrheit für glaubwürdig: in Deutschland mit 65 % deutlicher als mit 55 % in den USA. Damit wird die NATO in Ihrer zentralen Funktion als friedenssicherndes Bündnis von klaren Mehrheiten getragen.
5. Wehrpflicht wieder einführen?
Hier unterscheiden sich beide Länder aufgrund der unterschiedlichen Geschichte der öffentlichen Debatte grundsätzlich. In den USA, wo die Einführung der Wehrpflicht kein Thema ist, lehnen 62% die Wehrpflicht ab. Dagegen findet diese politische Forderung in Deutschland, wo auch der deutsche Verteidigungsminister diese Forderung unterstützt, eine Zustimmung von 59%. Blickt man auf in die Alterskohorten, dann ist allerdings die von einer Wehrpflicht betroffene Kohorte der bis 29-Jährigen mehrheitlich mit 54% gegen die Wiedereinführung.
6. Finanzierung von internationalem militärischen Engagement
Auf die Frage nach den Ausgaben für internationale Militäreinsätze ist in Deutschland mit 37% die größte Gruppe der Auffassung, dass zu wenig ausgegeben wird. In den USA ist die größte Gruppe mit ebenfalls 37% der Auffassung, dass zu viel ausgegeben wird. Dieser Unterschied gründet sicher auch darin, dass die USA als Weltmacht ungleich höhere Militärausgaben haben. Jeweils 27% in beiden Ländern halten die Ausgaben für internationale Einsätze für gerade richtig. Es gibt in beiden Ländern keine Mehrheiten, sich aus dem internationalen Engagement zurückzuziehen, was gerade mit Blick auf isolationistische Debatten im US-Wahlkampf bemerkenswert ist.
In Zeiten wachsender Bedrohungen erlebt die NATO eine transatlantische Renaissance. Die NATO wird von breiten Mehrheiten in den USA und in Deutschland getragen. Ihre friedenssichernde Funktion durch die Abschreckung von Aggressoren wird anerkannt. Dennoch wird von relativ vielen die NATO als nicht mehr zeitgemäß eingestuft. Welche Reformwünsche hinter dieser Haltung stehen, ist in dieser Umfrage nicht abgefragt worden.
Die transatlantische Partnerschaft in der Sicherheitspolitik wird überwiegend positiv eingeschätzt. Deutliche Unterschiede gibt es bei der Einschätzung Chinas. Hier sehen die Befragten in den USA China als deutlich größere Bedrohung als die in Deutschland Befragten. Dabei spiegeln sich auch die politischen Debatten über China wider, die in den USA unter dem Vorzeichen von Systemgegnerschaft und Great Power Competition geführt werden.
Insgesamt haben die Ergebnisse gezeigt, dass der NATO auch nach 75 Jahren eine zentrale Funktion der Friedenssicherung zugewiesen wird und die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks ihr mehrheitlich vertrauen.
Diese Umfrage erschien erstmals am 8. Juli 2024 in der FAZ.