Warum Manchester City verdient Meister wurde
Manchester City hat Historisches geschafft. Arsenal und Liverpool haben mitgeholfen. Warum die Skyblues verdient englischer Meister wurden und doch ein kleiner Schatten auf dem Triumph liegt. Eine kommentierende Analyse von Thomas Böker.
Zum vierten Mal in Serie kürten sich die Cityzens zum englischen Meister. IMAGO/News Images
Manchmal braucht man gar nicht so viel Fantasie, um den Ablauf einer Entscheidung im Titelkampf vorherzusagen. Denn dass es Phil Foden war, der am Sonntag mit seinem Doppelpack früh die Weichen zugunsten des Spitzenreiters stellte, darf nur als folgerichtig eingestuft werden. Schließlich ist dieser fantastische Spieler, der in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft Weltfußballer werden könnte, gerade erst zum "Spieler der Saison" gewählt worden in England. Und das völlig zurecht.
Foden traf zweimal, Rodri einmal beim Meisterstück, beim 3:1 gegen West Ham United, Arsenals 2:1 gegen Everton war wertlos. Kommt einem bekannt vor? Fast. Die Dramaturgie war eine andere, als Ilkay Gündogan vor zwei Jahren gegen Villa ebenfalls doppelt einnetzte und auch Rodri zu den Torschützen zählte am letzten Spieltag. Jetzt Foden statt Gündogan.
Fodens Klasse macht die Ausfälle vergessenUnd das ist irgendwie symbolisch. Natürlich kann man nun sagen, dass es ja keine große Sensation ist, die Cityzens wieder auf Rang 1 zu sehen. Und doch war es nach dieser Saison, vor allem nach dieser Hinserie, nicht selbstverständlich. Es war vor allem Foden, der in Abwesenheit Gündogans (ging nach Barcelona) und Kevin De Bruynes (fiel bis Januar verletzt aus), seine Mannschaft trug, gemeinsam mit Rodri und dem alten und neuen Torschützenkönig Erling Haaland, wenngleich der nicht mehr die Dominanz seiner ersten Saison ausstrahlte.
Ohne Gündogan und De Bruyne, diesen Qualitätsverlust fängt kein Team der Welt auf, nicht mal ManCity, so veränderte sich Statik und Systematik im Team von Trainer Pep Guardiola. Und das verlief eben nicht reibungslos. Das League-Cup-Aus in Newcastle und die zwei Niederlagen in Wolverhampton und bei Arsenal folgten in den nationalen Wettbewerben hintereinander, wenig später gab es bei Chelsea (4:4), in Liverpool (1:1), gegen Tottenham (3:3) und bei Aston Villa (0:1) viermal keinen Sieg. Zwei eklatante Schwächephasen.
Citys Marathon in der zweiten SaisonhälfteUnd doch heißt der Meister ManCity. Weil sie es eben waren, die danach nicht mehr verloren. Bei 23 Ligaspielen am Stück ohne Niederlage verbietet es sich, von einem Schlussspurt zu sprechen, das war ein Marathon, brutal konstant, brutal stark. Und genau den legten die Gunners und Liverpool, beide selbst lange Tabellenführer in einer packenden Saison, eben nicht hin. Arsenal patzte vor allem neulich gegen Villa daheim, bei den Reds war nach dem 0:2 in Everton die Luft raus. Solche Patzer leistete sich City nicht, deswegen sind sie es, die 91 Punkte haben und verdient Meister sind. Ein würdiger Champion, der allerdings auch Glück hatte, als er in Liverpool beim Stand von 1:1 in der Nachspielzeit einem Elfmeterpfiff entging, der aber vor allem Geschichte schreibt, denn vier Titel in Serie - das schaffte kein großes Team zuvor in der Premier League, und davon gab es wahrlich genug. Ebenso Trainer.
Guardiola hat es geschafft. Sein Fußball, dieser für manche nervtötende Ballbesitzstil, mag umstritten sein. Aber er ist vor allem eines: sinnvoll und erfolgreich. Und 96 Tore erzielt man in der besten Liga der Welt nicht, wenn man sich die Kugel nur zum Selbstzweck hin und her passt. Wer Citys Spiele anschaut und frustrierte Gegner sieht, darf das genau darauf zurückführen - dass sie kaum am Ball sind. "Rondoisierung des Fußballs" nennen das manche, und das ist eine Kritik an Guardiola. Das ist jedoch respektlos und dem lässt sich entgegnen, dass genau darin das Besondere liegt: den Ball so oft zu passen und sich dabei so gut zu bewegen, dass die anderen oft nur zuschauen müssen. Das ist eine Kunst. Wer das selbst nicht kann, muss es bei anderen nicht verurteilen.
Andere Vereine geben noch mehr Geld ausNatürlich hat Guardiola dazu auch die Spieler, und natürlich hat ManCity dazu vor allem das Geld. Alimentiert mit riesigen Summen aus Abu Dhabi. Doch Fakt ist eben auch: Seit 2019/20 verzeichnen Chelsea, ManUnited und Arsenal in dieser Reihenfolge ein Transferminus von - in genannter Reihenfolge - rund 790, 690 und 635 Millionen Euro. Bei City sind es 380. Macht’s nicht besser, relativiert aber vieles, zumal United und Chelsea in dieser Zeit sogar mehr für Transfers ausgaben, also Abgänge noch nicht verrechnet. Doch dort fehlt eben ein Plan.
Ermittlungen wegen Financial-Fairplay-Verstößen dauern anWas natürlich bleibt und nicht wegzudiskutieren ist, sind 115 Fälle, die die Premier League schon lange untersucht und noch lange untersuchen wird. 115 Fälle, in denen ManCity zwischen 2009/10 und 2017/18 gegen das Financial Fairplay verstoßen haben soll. Und die umso mehr in den Fokus rückten, da Nottingham und Everton bereits in dieser Saison für deutlich weniger Vergehen viele Punkte abgezogen wurden. Dieser Schatten, den die Zahl 115 wirft, wird City so lange verfolgen, bis alles irgendwie geklärt ist. Und das ist auch gut so, irgendwann muss alles aufgeklärt werden.
Und so stellen sich viele die Frage, ob man Citys Erfolge, auch nach 2018, also auch diese Meisterschaft 2024, losgelöst von der 115 sehen darf. Nein, sollte man nicht, denn manches könnte darauf basieren. Man sollte sie aber auch nicht alles überlagern lassen, das würde diesem großartigen Fußball nicht gerecht.
City gehören die entscheidenden MomenteArsenal hätte den Titel ebenso verdient gehabt, Jürgen Klopp und Liverpool hätten ihn viele auf seiner Abschiedstour gegönnt. Doch ManCity und ihr berechnender Fußball lassen keinen Platz für Sentimentalitäten, sodass man rein sportlich einfach Respekt zollen muss. Wer Meister werden will, muss in entscheidenden Momenten da sein. Wie der deutsche Keeper der Skyblues, Stefan Ortega Moreno, der mit einer Superparade den titelebnenden Sieg in Tottenham am Mittwoch festhielt. Ob Bundestrainer Julian Nagelsmann mal über ihn als einen von vier EM-Keepern nachgedacht hat? Nicht so abwegig.
Real Madrid, das bis heute nicht weiß, wie es gegen ManCity ins Halbfinale der Königsklasse eingezogen ist, oder Borussia Dortmund werden sich in knapp zwei Wochen zur erfolgreichsten Mannschaft Europas krönen. So oder so verdient für den, der in Wembley gewinnen wird. Die beste Mannschaft der Welt jedoch, daran ändert diese Endspielpaarung nichts, spielt immer noch in Manchester. Und das ist nicht United, das am kommenden Samstag im FA-Cup-Finale Citys Double verhindern will. Wie die Red Devils das schaffen wollen, dazu wiederum gehört viel Fantasie.