Wahlen in Frankreich: Was folgt auf Macrons Auflösung des ...

Die neusten Entwicklungen

Frankreich wählt ein neues Parlament: Rechtsbündnis erreicht mehr als 33 Prozent der Stimmen +++ Tausende demonstrieren in Frankreich gegen extreme Rechte

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat vor drei Wochen überraschend das Parlament aufgelöst. Die erste Wahlrunde findet am Sonntag statt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Unterstützer des rechtsnationalen Rassemblement national feiern am Sonntagabend das Resultat des ersten Wahlgangs.

Thibault Camus / AP

Die neusten Entwicklungen Das Rassemblement national (RN) hat die erste Runde der Wahlen in Frankreich für sich entschieden. Wie das französische Innenministerium am frühen Montagmorgen (1. 7.) mitteilt, hat das Bündnis von Marine Le Pen 29,2 Prozent der Stimmen erreicht. Zusammen mit der verbündeten Union de l’extrême droite (UXD) kommt das Rechtsbündnis somit auf 33,15 Prozent. Das linke Bündnis Nouveau Front populaire folgt auf Platz zwei mit rund 28 Prozent. Die Gruppe um die Regierungspartei Renaissance erhält rund 20 Prozent und liegt auf Platz drei.In Paris und etlichen anderen Städten gingen am Sonntagabend (30. 6.) Tausende von Menschen auf die Strasse und demonstrierten gegen die Partei von Marine Le Pen und einen Rechtsruck in Frankreich. In der Hauptstadt versammelten die Demonstranten sich nach einem Aufruf des neuen Linksbündnisses auf der Place de la République. Auch führende Linkspolitiker schlossen sich dem Protest dort an. In Nantes, Dijon, Lille und Marseille kam es ebenso zu Kundgebungen und Protestmärschen. In Frankreichs drittgrösster Stadt Lyon kam es laut Medienberichten zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei.Frankreich verzeichnet bei der Parlamentswahl eine historisch hohe Wahlbeteiligung. Bis zur Urnenschliessung um 20 Uhr gaben 67,5 Prozent der eingeschriebenen Wählerinnen und Wähler ihre Stimme ab, wie das Institut Elabe mitteilt. Das sind knapp 20 Prozentpunkte mehr als bei der regulären Parlamentswahl vor zwei Jahren und die höchste Beteiligung seit fast vierzig Jahren.Präsident Emmanuel Macron hat für die zweite Runde der Parlamentswahl zu einem Zusammenschluss gegen das rechtsnationale Rassemblement national aufgerufen. Es sei die Zeit für einen grossen, klar demokratischen und republikanischen Zusammenschluss angesichts der Partei um Marine Le Pen gekommen, hiess es unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen aus dem Élyséepalast.Marine Le Pen ist in ihrem Wahlkreis Hénin-Beaumont erneut direkt ins Parlament gewählt worden. Das Rassemblement national habe den Block von Präsident Macron ausgelöscht, sagte Le Pen. Sie warb zudem bei den Wählern dafür, dem RN am kommenden Sonntag im zweiten Wahlgang zu einer absoluten Mehrheit zu verhelfen. Der Parteichef Jordan Bardella sagte am Abend, er nehme das Amt des Premierministers nur an, wenn das RN mindestens 289 Sitze erreiche.Jean-Luc Mélenchon, Chef der linken Partei La France insoumise, spricht von einer deutlichen Niederlage des Lagers des Präsidenten. Der einzige und wichtigste Gegner seines Bündnisses Nouveau Front populaire für die zweite Runde sieht er im rechtsnationalistischen Rassemblement national. Mélenchon sagte, seine Partei sei bereit, in Wahlkreisen, in denen man in der ersten Runde auf dem dritten Platz lande, die Kandidaturen zurückzuziehen. Es ginge vor allem darum, den Sieg des RN zu verhindern.Der umstrittene Vorsitzende der konservativen Partei Les Républicains, Éric Ciotti, hat alle Konservativen aufgerufen, sich seinem Schulterschluss mit dem Rassemblement national (RN) anzuschliessen. «Heute Abend ist der Sieg in Sicht», sagte Ciotti nach dem starken Abschneiden des RN und der Républicains-Kandidaten, die sich mit Ciotti für eine Unterstützung des RN entschieden hatten.
Die Hintergründe

Die Stimmung in Frankreich ist nervös. Präsident Emmanuel Macron hat vor drei Wochen überraschend das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angeordnet. Macron reagierte damit auf die krachende Niederlage seiner Partei bei der Europawahl Anfang Juni. Der erste Wahlgang ist am Sonntag, der zweite in einer Woche.

Der Entscheid von Macron hat viele Franzosen wachgerüttelt. Im Vorfeld haben sich mehr als zwei Millionen Wählerinnen und Wähler eine Prokura besorgt, damit jemand sie bei der Stimmabgabe vertreten darf, weil sie selbst verhindert sind. Das sind fünfmal so viele wie bei der letzten Wahl 2022 – und deutet auf eine hohe Wahlbeteiligung hin.

Wie laufen die Wahlen ab?

Die Assemblée nationale wird im Mehrheitswahlrecht bestimmt. Das bedeutet, dass die Kandidaten mit den meisten Stimmen in den jeweiligen Wahlkreisen im zweiten Wahlgang zur Stichwahl antreten, derjenige mit den meisten Stimmen erhält den Sitz.

Für die Wahlen haben sich drei grosse politische Blöcke gebildet. Die konservativen Républicains hat die Frage nach einer Koalition mit dem RN gespalten. Rund 60 Kandidaten der Partei, unter ihnen der Präsident, sind ein Bündnis mit dem RN eingegangen. Der Rest tendiert zur Mitte.

Doch die Konservativen werden den Ausgang der Wahl nicht entscheiden: Die Parteien treten in drei grossen Blöcken an. Links steht der Nouveau Front populaire, welcher die vier massgeblichen linken Parteien vereint. In der Mitte haben sich Emmanuel Macrons Renaissance, Sympathisanten und die heimatlosen Konservativen positioniert. Rechts aussen steht das Rassemblement national, unterstützt von den abtrünnigen Konservativen.

In den Umfragen liegt das Rassemblement national deutlich vor dem Nouveau Front populaire, die Mitteparteien liegen abgeschlagen auf dem dritten Platz.

Erst nach dem zweiten Wahlgang am 7. Juli wird klar sein, ob im Parlament eine klare Mehrheit zustande kommt. Vermutlich wird in vielen Wahlkreisen die Stichwahl zwischen einem RN-Kandidaten, einem Mitte und/oder einem linken Kandidaten ausgemacht. Die Frage wird sein, wie stark die Bereitschaft und der Wille sind, sich gegen das RN zu verbünden und Kompromisse zu machen – sowohl bei den Kandidaten wie auch bei den Wählern.

Was hat zu den Neuwahlen geführt?

Das rechtsnationale Rassemblement national (RN) hat die Europawahl am 9. Juni in Frankreich deutlich gewonnen. Die Partei erhielt fast 32 Prozent der abgegebenen Stimmen und damit mehr als doppelt so viele wie Macrons Partei Renaissance. Für Macron, der sich als grosser Europapolitiker positioniert, war die Niederlage ein herber Schlag.

Kurz nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen wandte sich der französische Präsident mit einer Ansprache an sein Volk. Er habe die Botschaft der Wähler gehört und werde sie nicht unbeantwortet lassen. Das Parlament werde aufgelöst, Ende des Monats sollten Neuwahlen stattfinden. Er habe Vertrauen in die Fähigkeit des französischen Volkes, die richtige Entscheidung für sich selbst und künftige Generationen zu treffen.

Mit einem solchen Schritt hatte in Frankreich niemand gerechnet, vermutlich nicht einmal diejenigen, die in den vergangenen zwei Jahren wiederholt die Auflösung der Nationalversammlung gefordert hatten. Nach dem ersten Schock kam Bewegung in die Parteienlandschaft. Es dauerte keine vier Tage, bis sich die drei Blöcke herausgebildet hatten.

Warum hat sich Macron zu diesem Schritt entschieden?

Der Präsident hatte bis zum Tag der Europawahl darauf bestanden, dass europäische Wahlen auch nur europäische Konsequenzen haben. Als er sich drei Tage später vor der Presse erklärte, brachte er die Lage im Parlament als Argument für seinen radikalen Schritt vor. Seit der letzten Parlamentswahl ist das Regieren für Macron mühsam geworden, weil seiner Partei eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung fehlte.

Immer wieder war die Regierung mit Misstrauensvoten konfrontiert, die aber nie erfolgreich gewesen waren. Macron sagte, dass er mit den Neuwahlen einem drohenden Misstrauensvotum in der Budgetdebatte im Herbst zuvorkommen wollte. Frankreich brauche politische Klarheit, sagte der Präsident.

Warum ist die Rechte in Frankreich so erfolgreich?

Marine Le Pen hat in den vergangenen Jahren versucht, ihre Partei mehr in die Mitte zu rücken. Ihr Spitzenkandidat Jordan Bardella ist vor allem bei jungen Wählern beliebt.

Sarah Meyssonnier / Reuters

Macron hatte bei seiner Wahl zum Präsidenten versprochen, mit ihm an der Spitze werde es keine Gründe für die Wahl rechtsnationaler Parteien mehr geben. Doch die Gruppe um die ehemalige Parteichefin des RN, Marine Le Pen, wird immer stärker. Die Unzufriedenheit mit dem Präsidenten ist bei vielen französischen Wählern gross. Laut einer Umfrage der Universität Sciences Po vom Februar vertraut nur jede dritte Person in Frankreich der Politik. Knapp 70 Prozent bezweifeln, dass die Demokratie in Frankreich grundsätzlich funktioniert.

Le Pen spricht das Misstrauen der Bevölkerung an, indem sie sich als Stimme des Anti-Establishments positioniert. Zudem hat sie in den vergangenen Jahren ihre Partei thematisch geöffnet: Sie versuchte sich als Fürsprecherin der Gelbwesten zu positionieren (was ihr nicht gelang) und kämpfte an vorderster Front gegen die von Macron durchgedrückte Rentenreform.

Le Pen ist es gelungen, ihre Partei bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen. RN-Politiker sind bemüht, ihre Ansichten als weniger radikal erscheinen zu lassen.

Was passiert mit Macron, wenn seine Partei bei den Wahlen verliert?

Da der Präsident in Frankreich direkt gewählt wird, ist Macrons Position vom Wahlergebnis nicht betroffen. Er ist noch bis 2027 im Amt und schloss bisher einen frühzeitigen Rücktritt aus. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass er künftig mit einer Regierungschefin oder einem Regierungschef aus einer anderen Partei zusammenarbeiten muss.

In Frankreich war es bisher oft so, dass die Partei des Präsidenten auch die stärkste Kraft im Parlament ist und somit den Premierminister stellt. Eine sogenannte Cohabitation, also einen Premierminister und einen Präsidenten aus verschiedenen Parteien, gab es in der Fünften Republik erst drei Mal.

Der Premierminister bestimmt das politische Tagesgeschäft. Gewinnt eine andere Partei als Renaissance eine Mehrheit im Parlament, könnte Macron nur noch in der Aussenpolitik und bei der Verteidigung den Takt vorgeben.

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