Pressestimmen zur Wahl in Frankreich: »Emmanuel Macron hat ...

3 Tage vor

Am Tag nach der ersten Wahlrunde in Frankreich scheint die internationale Presse einig: Präsident Macron hat sich verzockt. Für die Stichwahl wollen viele Kommentatoren die Hoffnung allerdings noch nicht aufgeben.

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01.07.2024, 09.32 Uhr

Emmanuel Macron: Frankreichs Präsident hat vor der Stichwahl zur Bildung einer breiten demokratischen Union aufgerufen

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Yara Nardi / AFP

Der extrem rechte Rassemblement National (RN) ist als stärkste Kraft aus der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich hervorgegangen . Am Tag nach der Abstimmung ist eine strahlende Marine Le Pen auf den Titelblättern vieler französischer und internationaler Zeitungen zu sehen. In der Stichwahl am 7. Juli könnte sich der RN die absolute Mehrheit im Parlament sichern. Es wäre ein historischer Einschnitt für das Land. In der internationalen Presse herrscht große Einigkeit darüber, wer für diese Situation verantwortlich ist.

»Wall Street Journal«

»Wenn Sie mit Emmanuel Macron in einem Casino sind, dann ahmen sie nicht seine Einsätze nach«, rät das US-amerikanische »Wall Street Journal« nach dem ersten Wahlgang. »Der französische Präsident zockte, indem er eine kurzfristige Wahl zur Nationalversammlung ansetzte, und am Sonntag endeten er und seine Zentrumspartei auf einem schwachen dritten Platz im ersten Wahlgang.« Die großen Sieger seien die Parteien der Rechten und der Linken. »Das ist ein peinliches Ergebnis für Macron, der die unnötige kurzfristige Wahl ansetzte, nachdem der Rassemblent National gut bei der kürzlichen Wahl zum Europäischen Parlament abgeschnitten hatte«, analysiert das Blatt weiter.

»Seine Wette war, dass die Wähler wieder nüchtern würden, wenn es um die Nationalversammlung geht. Sie schenkten sich stattdessen noch einen Doppelten ein, mehr daran interessiert, eine Botschaft der Unzufriedenheit auszusenden als an Macrons Version einer zentristischen Nüchternheit.«

»De Tijd«

Die belgische Zeitung »De Tijd« kommentiert am Montag besonnen: »Letztlich sagen diese Ergebnisse noch nicht viel über die endgültige Verteilung der Sitze im Parlament aus.« Nun käme es auf die zweite Runde an – und »dann kommen taktische Erwägungen bei der Stimmabgabe ins Spiel. Wenn es ein RN-Kandidat in die zweite Runde schafft – was angesichts der Ergebnisse der ersten Runde kein Problem ist –, schließen sich die anderen Parteien normalerweise zusammen, um ihn zu besiegen.«

Nur stelle sich nun die Frage, welches Lager den Herausforderer des RN in den Wahlkreisen schlagen könne. »Macron rechnete damit, dass sein Bündnis vorn liegen würde. Er wurde jedoch von der raschen Bildung einer Linksfront überrascht, die unmittelbar auf seine Ankündigung vorgezogener Wahlen folgte«, erklärt das Blatt. »Nun läuft Macron Gefahr, die Initiative der Linken überlassen zu müssen, wenn sein Kandidat nur Dritter wurde.« Nüchternes Fazit der belgischen Zeitung: »Macron sah die vorgezogenen Wahlen als eine Art Volksabstimmung über seine Politik in der Mitte seiner zweiten Amtszeit. Aber er hat seine Stärke eindeutig überschätzt.«

»El País«

Der Sieg des Rassemblement National in der ersten Runde der Parlamentswahl nehme anderen Parteien in die Verantwortung, kommentiert die spanische Zeitung »El País«. »Entweder sie schließen sich in der zweiten Runde zusammen, um Marine Le Pens RN zu besiegen, oder sie riskieren, in einer Woche den Weg für eine rechtsextreme Regierung in Frankreich zu ebnen.«

Das Blatt sieht mögliche Schwierigkeiten bei der Bildung einer Front gegen die Rechten aufgrund politischer Differenzen – meint aber zugleich: »Zum Glück scheint es eine Bereitschaft zu geben, diese Unterschiede zu überbrücken.« »El País« verweist zudem auf den Aufruf von Macron, eine »breite, eindeutig demokratische und republikanische Union« zu bilden.

»La Stampa«

Macron habe das Spiel verloren, kommentiert die italienische »La Stampa«. Dort heißt es: »Mit seiner Entscheidung, die Abgeordnetenkammer aufzulösen, wollte Präsident Emmanuel Macron eine Front von Republikanern um sich scharen, um sich als einziges echtes Bollwerk gegen die extreme Rechte zu positionieren, und wie 2017 und 2022 seine politische Wette erneut gewinnen. Aufgrund der zahlreichen Spaltungen zwischen der gemäßigten Linken und der radikalen Linken von Jean-Luc Mélenchon rechnete er nicht damit, dass sich diese Kräfte für die Wahl in Form einer neuen Volksfront zusammenschließen. Emmanuel Macron hat dieses Spiel verloren.«

»Zeit Online«

Bei »Zeit Online« ist von einem »historischen Moment« die Rede. Zudem attestiert die Seite dem RN nicht nur einen Sieg, sondern einen Triumph. »Denn zum ersten Mal hat die Partei Marine Le Pens, der Rassemblement National, eine Parlamentswahl gewonnen. Mehr noch, sie hat nicht nur gewonnen, sie hat triumphiert. Damit rückt in Reichweite, was noch vor vier Wochen undenkbar schien: Zum ersten Mal seit der Gründung der Fünften Republik 1958 könnte ein Vertreter der extremen Rechten Premierminister werden. Käme es so, bliebe auch die europäische Politik davon nicht unberührt.«

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