Neuwahl in Frankreich : Frankreichs Wahl zwischen den Extremen

3 Tage vor
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Neuwahl in Frankreich Frankreichs Wahl zwischen den Extremen

Präsident Macron verliert seine riskante Wette und plädiert für ein Bündnis gegen Rechts. Doch gewinnen die Rechten in der Stichwahl, droht Stillstand – mit Folgen für Deutschland und die EU.

Frankreich steuert auf eine politische Blockade zu, deren Folgen auch in Deutschland und ganz Europa zu spüren sein werden. Bei der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahlen landeten die Kandidaten des Parteienbündnisses von Präsident Emmanuel Macron in zahlreichen der 577 Wahlkreise abgeschlagen auf Platz 3 – oder sogar noch dahinter.

Das Rennen machten wie vielfach erwartet vor allem Bewerber des rechtsextremen Rassemblement National (RN) und in mehreren Dutzend Wahlkreisen im Zentrum und Südwesten sowie Nordwesten des Landes auch solche des Linksbündnisses Neue Volksfront (NFP). Das bedeutet, dass das Macron-Lager demnächst im Parlament womöglich eine politisch unbedeutende Minderheit ausmachen wird.

Gewinnen die Rechten in der Stichwahl, müsste der Staatschef in einer sogenannten Kohabitation mit einem Kabinett zusammenarbeiten, dessen Mitglieder bei den Wählern vor allem wegen der Opposition gegen Macrons Arbeitsmarktreformen, seiner Überzeugung für ein starkes, vereintes Europa und nicht zuletzt auch wegen seiner Vorstöße bei der Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg punkteten. Wirtschaftlich und finanzpolitisch wäre das eine Zäsur. Linke und das Macron-Bündnis wollen dies in einem gemeinsamen Kraftakt noch verhindern. Aber auch dieser Schulterschluss hat seinen politischen Preis.

Wahl in Frankreich: Keine Barriere gegen Rechts

Macrons Idee, nach der deutlichen Niederlage seines Bündnisses bei der Europa-Wahl am 9. Juni, die Franzosen nur drei Wochen später erneut vor die Wahl zu stellen, hat sich als genau der Bumerang erwiesen, den viele befürchtet hatten. Die Wählerinnen und Wähler wollten sich nicht mehr von ihm in die Reihe zwingen lassen. Schon gar nicht mit einer Drohung ihres Staatschefs, das Land werde in Chaos und Bürgerkrieg versinken, wenn andere als seine Mitstreiter an der Regierung sind.

Erstmals seit 2002, als Jean-Marie Le Pen es als Vertreter der damals noch Front National genannten französischen Rechtsextremen in die Stichwahl für das Präsidentenamt gelangte, fruchtete der Appell nicht mehr, bei Wahlen gemeinsam eine undurchdringliche Barriere gegen Rechts zu schaffen. Stattdessen gaben in einer Umfrage vor der Wahl diesmal 44 Prozent an, sie wollten eine Regierung der Macronisten verhindern. 47 Prozent hatten vor, mit ihrer Stimme ein Linksbündnis von der Macht fernzuhalten. Für 57 Prozent hatte dagegen die Aussicht auf eine rechte Regierung nicht nur jeden Schrecken verloren, sondern an Attraktivität hinzugewonnen.

Macron bleibt im Amt – wenn er nicht zurücktritt

Nach sieben Jahren sind die Franzosen ganz offenbar Macrons und seiner Art überdrüssig, schöne Reden zu halten, Entscheidungen im Zweifelsfall aber per Dekret am Parlament und damit am Volkswillen vorbei durchzusetzen und sie mit ihren Sorgen allein zu lassen. Die Ironie in Form der französischen Verfassung will aber nun, dass nicht der Präsident selbst sein Amt verliert. Tritt er nicht zurück, stehen Präsidentschaftswahlen in Frankreich erst wieder 2027 an.

Das würde schlimmstenfalls drei Jahre Stillstand und Rückabwicklung in der zweitstärksten Volkswirtschaft Europas bedeuten.

„Der wahrscheinlichste Ausgang ist ein Parlament ohne Mehrheit, mit einem RN, der die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt, aber keine Koalition bilden kann. Das heißt: Unsicherheit und Blockade für eine unbestimmte Dauer, bis die wirkliche Entscheidung über den künftigen Weg Frankreichs in der nächsten Präsidentenwahl fallen wird,“ urteilt Ulrich Hege von der Toulouse School of Economics.

Für die EU, die europäische Politik und das Verhältnis zu Deutschland heißt das ebenfalls: keine Änderung, aber auch keine neuen Initiativen, bis zu diesem Entscheidungsdatum. Ob Frankreich danach ein konstruktiver Partner bleibt oder zum Blockadefaktor der milden (Meloni) oder harten (Orban) Variante wird, hängt von der Weisheit von etwa 50 Prozent der französischen Wähler ab, die bereit sind, europafeindliche Parteien zu wählen.

„Es wird der Anfang von Macrons Ende sein“

Mit einem starken RN würde sich vieles in Frankreich, aber auch in Europa ändern, meint auch Ökonom Armin Steinbach von der HEC Business School. „Es wird der Anfang von Macrons Ende sein. Es wird einen Stillstand in der französischen Innenpolitik bedeuten. Präsident und Premierminister werden sich gegenseitig die Kompetenzen streitig machen. Ein Premierminister des RN wird keine Gelder für die Ukraine locker machen, wird in der Europapolitik Macron nicht das Stimm- und Entscheidungsrecht überlassen, wird bei der Bestimmung der neuen EU-Kommissionsmitglieder mitreden wollen. Macron wird seinerzeit Projekte des RN verschleppen, wird Gesetze nicht gegenzeichnen oder den Verfassungsrat anrufen. Das Regierungshandeln wird gelähmt sein.“

Europa werde eine schwierige Zeit vor sich haben mit den neuen populistischen Kräften. „Der RN wird viele Konflikte mit der EU heraufbeschwören. Beim EU-Strombinnenmarkt, bei der Behandlung von Nicht-Franzosen in der Sozialpolitik. Und Europa wird deutlich protektionistischer werden“, ist Steinbach überzeugt. Der RN werde auf mehr Handelsschutzinstrumente der EU drängen, zum Beispiel gegen chinesische Importe. Neue Freihandelsabkommen werde es absehbar nicht geben. „Das wird auf Kosten Deutschlands sein, das auf offene Märkte angewiesen ist. Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich werden offen zu Tage treten, zumal Macron nicht mehr allein Europapolitik machen kann.“

Ein Schock war der Wahlausgang für viele Mitstreiter Macrons vermutlich nicht. Sie hatten die Lage bereits in den vergangenen Monaten oft realistischer eingeschätzt als der Staatschef, der den Umfragen nicht trauen wollte. Unmittelbar stehen sie nun aber vor einer schwierigen Aufgabe: Sollen sie, obwohl auf Platz drei, auf ihrer Teilnahme an der Stichwahl nächsten Sonntag beharren? Das Recht dazu haben viele erworben, weil sie aufgrund der hohen Wahlbeteiligung die vorgeschriebenen Stimmen von mindestens 12,5 Prozent aller Wahlberechtigten bekamen. Ihre Teilnahme würde in zahlreichen Wahlkreisen aber eben bedeuten, der dort im ersten Wahlgang führenden RN einen Vorteil zu verschaffen. Die beiden anderen würden sich die Stimmen derer teilen müssen, die eine rechte Regierung verhindern wollen.

Nach Einschätzung des Sozialforschungsinstituts Ipsos gibt es diesmal in 285 bis 315 Wahlkreisen derartige Dreierkonstellationen. Lediglich in 150 bis 170 Wahlkreisen zeichneten sich bis zum späten Sonntagabend Stichwahlen zwischen zwei Bewerbern ab. Und etwa 65 bis 85 Sieger standen gleich nach dem ersten Wahlgang fest.

Brandmauer gegen Rechts

Macron wollte die Mitglieder des noch amtierenden Kabinetts ursprünglich an diesem Montag gegen Mittag treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Er hatte sich bisher darüber ausgeschwiegen, ob er an der bisherigen Brandmauer der französischen Politik festhalten und eher ein Linksbündnis als die extreme Rechte in Regierungsverantwortung akzeptieren würde. Die Kandidaturen für die Stichwahl müssen binnen 48 Stunden, also bis Dienstagabend verbindlich erklärt werden. Am Sonntagabend plädierte er aber in einer von französischen Medien verbreiteten Erklärung für „ein großes, eindeutig demokratisches und republikanisches Bündnis“, um die Rechte zu verhindern. Aus der Umgebung des Präsidenten war in den vergangenen Tagen verlautet, er wolle sowohl die Rechte als auch das Linksbündnis zu Gegnern erklären. Das wurde nicht nur von den Linken scharf verurteilt, sondern stieß auch in Macrons eigenem Lager auf Unverständnis. Noch-Premierminister Gabriel Attal kündigte an, dass etwa 60 drittplatzierte Bewerber ihre Kandidatur zurückziehen würden. Die NFP werde dadurch aber keine absolute Mehrheit im Parlament erreichen können, sagte er.

Um das Dilemma zu verstehen, reicht es nicht, auf Macrons Unwillen zu verweisen, sein politisches Vermächtnis den Gegnern auszuliefern. Dass er das bereits durch seine Überreaktion am Abend des 9. Juni getan oder mindestens riskiert hat, bestreitet er. Insbesondere unter einer rechten Regierung würde sich Frankreich in den nächsten Jahren auch deutlich von dem Frankreich unterscheiden, das seine Partner in der EU und insbesondere Deutschland schätzen.

Eine verantwortliche Fiskalpolitik in der Wartezeit bis zu den Präsidentschaftswahlen 2027 sei ausgeschlossen, mutmaßt Ökonom Hege. Versuche, Sparpakete durchs Parlament zu bringen, sind zum Scheitern verurteilt. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass der rechte und linke Rand sich zusammentun, um Reformen der Renten- und Arbeitslosenversicherung wieder zurückzudrehen, was für die prekären Staatsfinanzen Gift wäre.

NFP hatte sich binnen Tagen nach der Ankündigung vorgezogenen Neuwahlen allein zur Verhinderung des RN formiert. Auf deutsche Verhältnisse übertragen ließe es sich treffend als ein Bündnis von SPD, Linken, Grünen und dem Bündnis Sahra Wagenknecht beschreiben, mit dem Ziel, eine AfD-Regierung zu verhindern. Sie haben durchaus prominente Befürworter: Der ehemalige Präsident François Hollande, Ex-Premierminister und Deutschland-Freund Jean-Marc Ayrault und sogar der frühere IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn zählen dazu.

Die gleichen Parteien, die sich im Wahlkampf zur Europa-Wahl noch mit Kritik und Häme überzogen, wollen bereits in den ersten beiden Wochen an der Regierung das Renteneintrittsalter wieder auf 60 Jahre zurückdrehen, die Saläre der Beamten um zehn Prozent anheben, die Grundrente ebenfalls erhöhen sowie die Anhebung des Mindestlohns um 200 Euro auf 1600 Euro monatlich beschließen.

Französinnen und Franzosen sollen sehr schnell nach der Wahl mehr Geld in der Tasche haben. Binnen der ersten 100 Tage würde das Bündnis ein Grundeinkommen schaffen für Bürgerinnen und Bürger, die älter als 18 Jahre sind und unter der Armutsgrenze leben. Später dann sollten die Renten an künftige Lohnsteigerungen angeglichen werden und Lohnerhöhungen an die Inflation gekoppelt werden. Letzteres hatten die Sozialisten 1983 unter Präsident François Mitterrand abgeschafft und damit eine galoppierende Inflation beendet.

Wiedereinführung der Vermögenssteuer

Darüber, wie die Maßnahmen gegenfinanziert werden sollen, lässt NFP niemanden im Unklaren: Die Einkommensteuer soll wieder progressiv und in 14 Stufen erhoben werden, ebenso die auf alle Einkommensarten anfallende Sozialsteuer CSG. Das Programm sieht außerdem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer vor. Sie soll um einen Klimabeitrag ergänzt werden. Zudem soll die Deckelung der Steuerbelastung für sehr reiche Bürger aufgehoben und die sogenannte Exit Tax für Franzosen mit Steuersitz im Ausland wieder eingeführt werden.

Die RN-Parteiführung versuchte in den vergangenen drei Wochen einen Spagat zu schaffen: Einerseits wollten sie mit ihrem Programm Vertrauen auf den Finanzmärkten gewinnen und den rechten Flügel der bürgerlichen Republikaner auf ihre Seite ziehen. Andererseits wollten sie nicht riskieren, ihre bisherige Stammwählerschaft zu enttäuschen.

Das scheint gelungen zu sein. Dass RN Frankreich von unerwünschten Migranten zu befreien verspricht, scheint den Franzosen zunächst wichtiger als die immer wieder großspurig versprochene generelle Rücknahme des unter Macron auf 64 Jahre festgelegten Renteneintrittsalters.

Ein Programm der so getauften „Nationalen Union“ würde – zumindest vorerst darauf verzichten. Als Grund nennt der RN-Vorsitzende und politische Zögling von Marine Le Pen, Jordan Bardella, die miserable Haushaltslage Frankreichs. Macron habe das Land an den Rand des finanziellen Bankrotts gewirtschaftet. Wegen einer Staatsverschuldung von gut 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einem Haushaltsdefizit, das auch dieses Jahr mehr als 5 Prozent des BIP betragen wird, soll nur noch in den Genuss einer Rente mit 60 kommen, wer mit weniger als 20 Jahren anfing zu arbeiten und 40 Jahre in die Rentenkasse einbezahlt hat.

Fordernder will RN allerdings bei der EU in Brüssel auftreten. Allem voran mit einer Ausnahmeregelung, die die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Öl, Gas und Kraftstoffe von derzeit 20 auf 5,5 Prozent erlaubt. Sie soll den Franzosen mehr Kaufkraft verschaffen. Außerdem will RN geringere Beiträge zum EU-Haushalt beisteuern, weitere Freihandelsverträge blockieren und die Umsetzung der EU-Richtlinien erst einmal pausieren. Dafür soll der nächste französische EU-Kommissar sorgen.

Das Programm, mit dem Marine Le Pen 2022 noch in den Präsidentschaftswahlkampf startete, wurde eiligst überarbeitet. Ihm ist anzumerken, dass ein Investmentbanker, François Durvye von Otium Capital, Bardella beriet, die Finanzmärkte möglichst nicht zu verunsichern. Der 28-Jährige verspricht nun, „vernünftig haushalten“ und „verantwortungsvoll regieren“ zu wollen. Ob es dazu kommt, entscheiden die Franzosen am Sonntag.

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