Andreas Brehme: Was ihn zum Volksphilosophen machte

21 Feb 2024

Andreas Brehme und seine Zitate

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Andreas Brehme - Figure 1
Foto RND

Andreas Brehme in seiner letzten Profisaison 1997/98: Er ging mit dem Titel – und verabschiedete sich mit einem Satz mit klassischer Brehme-Syntax.

Mit Andreas Brehme ist nicht nur einer der größten deutschen Fußballer der vergangenen Jahrzehnte gestorben, sondern auch ein Mensch, der mit einfachen Mitteln kleine sprachliche Kunstwerke erzeugte. Die Würdigung eines Volksphilosophen.

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Ja gut, ich sach mal, das wäre dann auch zu kitschig gewesen. 9. Mai 1998, Volksparkstadion Hamburg, natürlich, wo auch sonst, in seiner Heimatstadt. Andreas Brehme, 37 ist er mittlerweile, bestreitet das letzte Spiel seiner langen Fußballerlaufbahn. Zehn Kilometer sind es von hier bis zur „Barmbeker Anfield“, Spielstätte des HSV Barmbek-Uhlenhorst, wo alles begann, 1300 Kilometer bis zum Stadio Olimpico in Rom, und noch fünf Minuten bis zum Ruhestand, als ein Pfiff ertönt, der vertraut klingt: Strafstoß, exakt in der 85. Minute, wie damals, 1990.

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„Lass Andi schießen!“, raunt Kaiserslauterns Ratinho seinem Teamkollegen Olaf Marschall zu – ahnend, dass hier ein rührendes Brehme‘sches Selbstzitat zum Abschluss einer großen Karriere auf dem Elfmeterpunkt liegt. Aber weder neigt Brehme, Siegtorschütze im WM-Endspiel gegen Argentinien acht Jahre zuvor, zu derlei Egozentrik, sich der Sache nun höchstselbst annehmen zu wollen, noch hat Torjäger Marschall vor, sich die Chance auf das 1:1 nehmen zu lassen. Er macht ihn rein. Mit rechts flach ins linke Eck. Wie damals Brehme. Und der sagt am Ende seines letzten Arbeitstages etwas, das sowieso viel schöner ist als jedes Abschiedstor: „Ja gut, ich sach mal, es war eine schöne Zeit. Und jetzt, ich sach mal, ist Schluss.“

Andreas Brehme, geboren am 9. November 1960, viel zu früh gestorben am 20. Februar 2024, war ein Volksphilosoph, ohne es zu wissen. Er ließ lieber seine Füße reden, Pässe, Flanken, Schüsse waren seine Worte. Hach, diese Schüsse, rechts wie links. Ein Vielsprachiger des schönen Spiels. Seine Fußrücken waren Kalligrafen.

Andreas Brehme - Figure 2
Foto RND

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Wer so spielen konnte wie Andreas Brehme, der brauchte nichts weiter zu sagen. Und doch hielten sie ihm die Mikrofone vors Gesicht. Und Brehme, ja was sollte er schon tun? Er machte den Mund auf. „Das Unmögliche möglich zu machen, wird ein Ding der Unmöglichkeit“, sagte er dann. Oder: „Von der Einstellung her stimmte die Einstellung.“

Das sind großartige, vor allem aber: ehrliche Weisheiten. Weil Brehme ungefiltert sprach, ungeplant, manchmal wirkte es gar, als würden die Sätze nur so an die Oberfläche quellen – und er wüsste selbst gar nicht so recht, woher nun genau. Brehme machte sich keinen Kopf um das Gesagte, er hat seine Worte nie groß abgewogen, sie kamen einfach. So, wie seine Füße erst im Moment des Schusses untereinander ausmachten, wer von beiden nun abzieht, funktionierte auch das Zusammenspiel von Herz, Hirn und Zunge.

Wer über Brehmes Sentenzen – und das haben einige getan im Laufe der Jahre – abfällig witzelt, hat übrigens keine Ahnung. Schlichte Sprache ist nicht gleichzusetzen mit einem schlichtem Gemüt. Andreas Brehme war nicht dumm. Er war einfach kein sonderlich begabter Rhetor. Dass er Sätze gerne mit „Ja gut“ oder „Ich sach mal“ – oder am besten direkt mit „Ja gut, ich sach mal“ – einleitete, markierte sprachlich, dass er sich dessen bewusst war. Achtung, jetzt folgt ein Brehme-Satz, sollte das heißen, bitte kontextualisieren.

Übrigens konnte er auch Italienisch, sehr gut sogar, es gibt ein schönes Interview bei Youtube auf dem Kanal von Inter Mailand, für den Serie-A-Topklub hatte Brehme von 1988 bis 1992 gespielt. Fließendes Italienisch in schnoddrigem Hamburger Dialekt – es ist fantastisch. Die Sprache lernte er, während er sich nebenbei mit Weltklasseleistungen in die Herzen der Interisti und endgültig ins oberste Regal des internationalen Fußballs spielte. In Mailand ist Brehme seither ein Heiliger.

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Als Trainer war Brehme hingegen weniger erfolgreich. Im Jahr 2000 übernahm er als Lauterer Chefcoach von Otto Rehhagel, hielt sich fast zwei Jahre im Amt, was nach ihm bis heute nur noch zwei Trainer beim FCK schaffen sollten. Die Bilanz aber war durchwachsen. Es folgte eine Saison in Unterhaching, danach ein paar Monate als Assistent von Giovanni Trapattoni beim VfB Stuttgart. Nichts, woran man sich sonderlich erinnern würde, über die Sache ist, mit Brehme gesprochen, „schon lange Schnee gewachsen“. Die Zitate aber blieben weltmeisterlich. „Bärenstolz“ war er einmal auf seine Mannschaft. Ein anderes Mal blickte er mahnend auf den Spielplan: „Uns steht ein hartes Programm ins Gesicht.“

Uns, die ihn verehrt, geschätzt oder einfach gemocht haben, steht nun die Trauer ins Gesicht. Andreas Brehme ist tot, mit gerade einmal 63 Jahren gestorben. Der Junge aus dem Arbeiterviertel Barmbek, der zum Mann des Volkes wurde. Auch, weil er sich von den einfachen Leuten charakterlich nie gelöst hat, der Ruhm konnte Brehmes bodenständiger Art nichts anhaben. „Andi“ war immer „Andi“, das galt bis zuletzt.

Brehme bezweifelte, den „Scheiße am Fuß“–Spruch gesagt zu haben

Dass der vielleicht bekannteste Spruch, der mit ihm verbunden wird („Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“), womöglich gar nicht von ihm stammt: geschenkt. Er hat selbst bezweifelt, ihn jemals gesagt zu haben. Ist auch nicht weiter wichtig, Andreas Brehme hat schließlich genug schöne Dinge gesagt in seinem Leben, das nun leider zu Ende gegangen ist.

Ein Ding der Unmöglichkeit, dass so etwas möglich ist. Dass jetzt, ich sach mal, Schluss ist.

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