US-Geheimdienstakte geleakt: Wie Putin im Ausland morden lässt
Stand: 24.11.2024, 09:13 Uhr
Von: Karsten-Dirk Hinzmann
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Russlands Präsident Wladimir Putin. (Archivbild) © Kristina Kormilitsyna/imagoDas letzte Opfer war 28 Jahre alt und wollte nur weg. Maxim Kusimow wurde ebenso hingerichtet wie andere Kritiker. US-Geheimdienste wissen Bescheid.
Moskau – „Vom Kreml angeordnete Attentate im Ausland werden wahrscheinlich anhalten“, steht in dem Dokument, über das Jason Leopold gerade im Nachrichtendienst Bloomberg berichtet. Der Autor thematisiert darin die Bewertungen von US-Geheimdienstlern über die Attentate im Ausland aufgrund des vermeintlichen Befehls Wladimir Putins. Leopold zerrt damit acht Jahre alte Dokumente ans Licht; allerdings reicht die Todesliste Moskaus offenbar bis in dieses Jahr hinein.
Das Thema schwelt allerdings bereits seit fast 30 Jahren. „Von Vergiftungen über Erschießungen bis hin zu Stürzen aus Fenstern und nun möglicherweise Flugzeugabstürzen – dem Kreml werden zahlreiche tödliche Angriffe vorgeworfen“, hatte beispielsweise der britische Guardian Ende vergangenen Jahres angerissen. Jetzt habe das Büro des Direktors des nationalen Geheimdienstes der USA ein streng gehütetes Memorandum freigegeben, das sich auf die gezielten Attentate auf die politischen Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin beziehe, schreibt Jason Leopold.
Absturz-Opfer Prigoschin: Verbindung zu Auftraggeber Wladimir Putin drängt sich aufPjotr Sauer vom Guardian hatte zu den dem Kreml zugerechneten Morden im Ausland geschrieben: „Die Angriffe haben unterschiedliche Formen angenommen und reichten von mit dem Nervengift Nowitschok befleckter Unterwäsche und mit Polonium versetztem Tee bis hin zu direkteren Morden mit Kugeln.“
Auch Jewgeni Prigoschin taucht unter diesen Personen auf – der putschende Führer der Wagner-Söldner war im August 2023 durch einen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen; die Verbindung zum Auftraggeber Wladimir Putin ist unbewiesen, drängt sich aber auf, weil sich Prigoschin als neuer starker Mann in Russland aufzuspielen versucht hatte.
In der Liste fehlt vor allem der inzwischen in der Haft in Russland verstorbene russische Regimekritiker Aleksej Nawalny, der im August 2020 vergiftet worden war – die Spuren hatten nach Russland geführt, von dort blieb aber jegliche Reaktion aus, wie Gesine Dornblüth berichtet hatte. Das hauptsächliche Indiz gen Moskau lieferte das international geächtete Nervengift Nowitschok. „Man muss es laut sagen: Im 21. Jahrhundert agiert in einem europäischen Land eine professionelle Gruppe von Mördern im Auftrag des Staates. Sie hat die Aufgabe, die politischen Gegner des Regimes zu liquidieren. In diesem Fall die politischen Gegner Wladimir Putins“, sagte Wladimir Kara-Mursa.
Recherche: „Verwendung politischer Attentate als Form der Staatskunst durch die Russische Föderation“Die Deutsche Welle-Autorin Dornblüth zitierte den Regimekritiker, weil auf ihn 2015 und 2017 ebenfalls Giftanschläge verübt worden waren. „Die Investigativplattformen Bellingcat und The Insider sowie der Spiegel haben recherchiert, dass an den Anschlägen auf Kara-Mursa zum Teil dieselben Geheimdienstmitarbeiter beteiligt gewesen sein sollen wie an dem auf Nawalny“, schreibt Dornblüth. Wie Jason Leopold jetzt beweisen können will, hätten US-Geheimdienste schon länger spekuliert, dass einige Todesfälle unter russischen Andersdenkenden durch Wladimir Putin beauftragt worden waren. Die US-Regierungsdokumente waren aber bisher unter Verschluss gewesen.
Leopold hatte die Dokumente nach eigenen Aussagen aufgrund des Freedom of Information Act von den Behörden anfordern können. Der Journalist bezieht sich in seiner Recherche zunächst auf eine Vergiftung des ehemaligen russischen Spions Alexander Litvinenko in London im Jahr 2006. 2015 sei der russische Politiker und lautstarke Kreml-Kritiker Boris Nemzow in Moskau erschossen worden; im gleichen Jahr sei dann der ehemalige Medienunternehmer Michail Lesin in Washington D.C. tot aufgefunden worden aufgrund eines „stumpfen Traumas“, wie die Polizei offiziell bekanntgegeben hatte.
Aus diesem Anlass sollte das Büro des Direktors des nationalen Geheimdienstes (Office of the Director of National Intelligence – ODNI) Recherchen anstellen über „die Verwendung politischer Attentate als Form der Staatskunst durch die Russische Föderation seit dem 1. Januar 2000“, wie der Gesetzgeber seinen Auftrag formuliert hatte. Laut der Analyse, die gekürzt veröffentlicht wurde, sei eine Liquidierung aus 2004 in Katar der erste seit dem Jahr 2000 „eindeutig“ Wladimir Putin zuzuordnende Auftagsmord gewesen. Dort seien zwei russische Geheimdienstler verurteilt worden für den Mord an dem tschetschenischen Führer Selimchan Jandarbijew, der von den USA und den Vereinten Nationen als Terrorist eingestuft worden war.
„Tiergartenmord“: Mörder durch Gefangenenaustausch umjubelt in seine Heimat Russland zurückgekehrtNach dem ehemaligen Präsidenten Tschetscheniens hatten auch die Russen gefahndet, weil er als wichtiges Bindeglied im Finanznetzwerk der tschetschenischen Rebellen gegolten und Gelder aus dem Ausland weitergeleitet hatte. Der US-Sender NBC hatte berichtet, dass Jandarbijew durch eine Autobombe getötet worden sein soll. Explosionen sind dabei nur ein Mittel aus dem Portfolio russischer Attentate: „Die Angriffe haben unterschiedliche Formen angenommen und reichten von mit dem Nervengift Nowitschok befleckter Unterwäsche und mit Polonium versetztem Tee bis hin zu direkteren Morden mit Kugeln“, schrieb Guardian-Autor Pjotr Sauer Ende vergangenen Jahres.
Bestätigt hatte Russland tatsächlich, dass der als „Tiergartenmörder“ bekannt gewordene Vadim Krassikow ein Geheimdienstmitarbeiter war. Krassikow hatte 2019 den tschetschenisch-stämmigen Georgier Selimchan Changoschwili als „Banditen“ und „Terroristen“ im Berliner Kleinen Tiergarten mit zwei Kopfschüssen hingerichtet und war später im Zuge eines Gefangenenaustausches umjubelt in seine Heimat Russland zurückgekehrt. „Kann so ein Mord wieder geschehen?“, fragte die Tagesschau im Oktober. Offenbar.
Trotz der etliche Jahre zurückliegenden Fälle aus den US-Dokumenten, wollen Journalisten den Bezug zu aktuellem weltpolitischen Geschehen als fest geknüpft festhalten – Anlass gab ihnen der unnatürliche Tod von Maxim Kusimow. Der ehemalige Hauptmann der russischen Luftstreitkräfte war kein Regime-Kritiker im eigentlichen Sinne; lediglich ein Deserteur, der seinen Hubschrauber im August vergangenen Jahres vom russischen Kursk aus während eines Transports von Material etwa 20 Kilometer tief auf ukrainischem Gebiet landete, anschließend überlief und sich dann mit einer Belohnung und ukrainischen Papieren in Spanien niederließ.
Erschossener Ex-Offizier Kusimow: In Russland den Auftrag erhalten, den „Verräter“ zu beseitigenIm Februar wurde der 28-Jährige an seinem Zufluchtsort Villajoyosa an der Südostküste Spaniens in der Garage seines Hauses hingerichtet. Fünf bis zwölf Schüsse sollen den Deserteur niedergestreckt haben, bevor er zusätzlich vom Fluchtfahrzeug in der Garagen-Ausfahrt überrollt wurde. Die Deutsche Welle soll einen spanischen Kriminalexperten dahingehend verstanden haben, dass die Tötung professionell organisiert und „äußerst brutal“ gewesen sein soll – die beiden mutmaßlichen Täter hätten laut der Aussage erfolgreich vermieden, auf Überwachungskameras in der spanischen Stadt aufgenommen zu werden. Auch Einwohnern seien sie aus dem Weg gegangen, berichtete Zeit Online.
Sergej Naryschkin hatte Kusimow vorher als „Verräter und Verbrecher“ bezeichnet, wie Zeit Online schrieb.. Er sei „in dem Moment, in dem er sein dreckiges und schreckliches Verbrechen begangen hat, zur moralischen Leiche“ geworden, äußerte der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes öffentlich. Spanische Geheimdienste seien Medienberichten zufolge davon ausgegangen, dass Kusminow in Moskau inoffiziell zum Tode verurteilt worden war. Laut Zeit Online sei der russische Ex-Offizier schon lange bedroht worden: „In einem Bericht des russischen Staatsfernsehens vom Oktober 2023 drohten mutmaßliche Mitarbeiter des Militärgeheimdiensts GRU Kusminow an, ,eine Gerichtsverhandlung nicht mehr zu erleben‘. Sie hätten den Auftrag erhalten, den ‚Verräter‘ zu beseitigen, was nur eine ,Frage der Zeit‘ sei.“
Russische Spezialkräfte hätten demnach angekündigt, auf der „Jagd“ nach ihm zu sein. Dies sei nie zu verhindern, hatte der Tagesschau gegenüber der Jurist Gerhard Conrad erläutert. Laut dem ehemaligen Agenten des Bundesnachrichtendienstes müsse ansonsten versucht werden, „ein ganzes Netz an nahezu lückenloser Beobachtung über potenzielle Anschlagsopfer oder -objekte zu spannen“, wie er der Tagesschau erläuterte: „Das hört sich nicht nur mehr als ambitioniert an, das ist es auch.“