Neuer Verteidigungsminister Pistorius: Ein Vollblutpolitiker, der ...

18 Jan 2023

Analyse

Stand: 17.01.2023 18:48 Uhr

Wer sich mit dem designierten Verteidigungsminister Pistorius anlegt, sollte mit schlagkräftiger Gegenwehr rechnen. Der Niedersachse ist Vollblutpolitiker und was er tut, hat er sich gut überlegt.

Von Michael Stempfle, ARD-Hauptstadtstudio Berlin

Die CDU-Innenminister der Länder können ein Lied davon singen. Bei der Innenministerkonferenz in München Anfang Dezember etwa lautete ihr Vorwurf: Die Sozialdemokraten in der Bundesregierung legten beim Thema Migration den Schwerpunkt auf Humanität. Das SPD-geführte Bundesinnenministerium vernachlässige es aber, Ordnung zu schaffen. Gemeint waren die Vorhaben, die Kettenduldung zu beenden oder die Fristen für den deutschen Pass zu verkürzen, ohne aber mehr Ausreisepflichtige abzuschieben.

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Dass die Konservativen damit auch Niedersachsens Innenminister auf den Plan riefen, war ihnen sicherlich klar. Ebenso, dass Boris Pistorius die SPD-Vorhaben nach allen Regeln der Kunst verteidigen würde. Immerhin hatte Pistorius das Migrationspaket in den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien selbst mitverhandelt.

Und genau so kam es: Der Ampel sei ein "Paradigmenwechsel" in der Migrationspolitik gelungen, ein Neuanfang, so Pistorius. Umgekehrt kramten Friedrich Merz und die Union aus seiner Sicht noch immer in der "Mottenkiste der 90er-Jahre" - die CDU sei getrieben von der Furcht vor der AfD.

Eine Stimme, die Gewicht hat

Die Stimme von Innenminister Pistorius hat Gewicht. Eine "starke Stimme", bescheinigt auch Amtskollege Armin Schuster aus Sachsen, die der SPD in der Innenministerkonferenz wohl bald fehlen werde. Pistorius ist nicht nur schlagfertig. Vermutlich steckt noch immer der Oberbürgermeister aus Osnabrück in ihm: Ein Politiker-Typus also, der anpackt - mit einem sicheren Gespür für Themen und für pragmatische Lösungen.

Pistorius warb dafür, afghanische Ortskräfte auszufliegen

So warb Pistorius im Juni 2021 dafür, Hürden abzusenken, um Ortskräfte aus Afghanistan nach Deutschland zu holen. Ein Thema, das zu der Zeit in der Politik nicht allzu beliebt war. Immerhin war in diesem Jahr Bundestagswahl und viele seiner Kollegen in Berlin sorgten sich davor, im Wahlkampf eine Flüchtlingsdebatte führen zu müssen. Eine Sorge, die vermutlich vielen Ortskräften am Hindukusch das Leben gekostet hat. Im Rückblick mögen einige bedauern, damals nicht auf Pistorius gehört zu haben.

Maier: Pistorius hervorragend geeignet

Für Georg Maier, SPD-Innenminister in Thüringen, ist klar: "Boris Pistorius ist hervorragend für das Amt des Verteidigungsministers geeignet." Er sei durchsetzungsstark und entscheidungsfreudig. Er könne sich schnell in komplexe Themen einarbeiten und agiere in Verhandlungen sehr geschickt und zielorientiert.

Bei all den guten Referenzen wird auch für Pistorius die große Herausforderung darin liegen, den Sprung von der Landes- in die Bundespolitik zu schaffen. Andere Politiker, etwa die frühere Familienministerin Anne Spiegel oder der frühere SPD-Parteichef Kurt Beck, sind schon an dieser Aufgabe gescheitert.

Selbstbewusst und ehrgeizig

Pistorius ist selbstbewusst, ehrgeizig - er selbst wird sich das zutrauen. Und doch warten neue, vermutlich härtere Herausforderungen auf ihn, zumal im Verteidigungsministerium. Wer aus einem Bundesland kommt und die große Berliner Bühne betritt, kann nicht die gleichen Truppen hinter sich scharen - wie andere Player, die schon seit Jahren hier vernetzt sind, heißt es in Berlin.

Pistorius mit den großen Themen vertraut

Dass Pistorius inhaltlich mit den großen Themen in der Hauptstadt nicht vertraut wäre, wäre jedoch ein Trugschluss. Landesinnenminister sind nicht nur für die innere Sicherheit zuständig, sondern müssen innere und äußere Sicherheit zusammen denken. Das gilt für die Fragen von Migration ebenso wie für die Abwehr von Cyberangriffen, die aus dem Ausland gesteuert werden.

Wenn es um die Sache geht, ist Pistorius hartnäckig. Als Bundeskanzler Olaf Scholz vor knapp einem Jahr von der "Zeitenwende" sprach und im Bundestag für ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr warb, meldete sich kurz darauf Pistorius zu Wort. Seine Botschaft: Militärische Verteidigung ist wichtig, aber der Staat müsse sich ebenso um die zivile Verteidigung kümmern. Er präsentierte einen Finanz- und Aktionsplan, aus dem hervorging, dass Deutschland in zehn Jahren zehn Milliarden Euro investieren müsse - für Transporthubschrauber oder die Abwehr von chemischen, biologischen oder radiologischen Gefahren. 

Pistorius weiß, sich zu verteidigen

Der ehemalige Chef des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und jetzige Innenminister in Sachsen, Armin Schuster, hat ebenso für dieses Anliegen gekämpft. Dass Pistorius bald Teil der Bundesregierung ist, könne ein Vorteil sein. Seine Hoffnung steige, so Schuster, dass die Bundesregierung zusätzlich zehn Milliarden Euro für die zivile Verteidigung in die Hand nimmt.

Schon an diesem Beispiel zeigt sich: Der Erwartungsdruck auf Pistorius ist hoch - von vielen Seiten. Und allzu viel Zeit, um sich einzuarbeiten, hat er nicht. Und doch dürften alle vorgewarnt sein, denn Pistorius weiß sich einzuarbeiten und sich zu verteidigen.

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